Rede von Lamya Kaddor Naher Osten und Nordafrika
Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der Nahe und Mittlere Osten ist derzeit in einem Umbruch begriffen, den es so in den vergangenen Jahrzehnten noch nicht gegeben hat.
Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten, feierte gestern den 75. Jahrestag. Mazel tov! Gleichzeitig befindet sich der Staat in seiner wohl größten innenpolitischen Krise. Der Umbau des Justizsystems spaltet die Gesellschaft und treibt jede Woche Hunderte von Menschen auf die Straße; vor einem Monat konnte ich mich selbst davon überzeugen. Das ist Ausdruck lebendiger Demokratie. Trotzdem sind die Pläne bisher nur vertagt und nicht zurückgenommen. Ein politischer Konsens ist nicht absehbar.
Die Abraham Accords haben eine positive Dynamik in der Region entfaltet. Sie haben das Potenzial für weitere israelisch-arabische Annäherungen, auch wenn die aktuelle israelische Politik in den palästinensischen Gebieten diese Dynamik bremst.
In Syrien nutzt Diktator Assad das schreckliche Erdbeben, um sich auf internationaler Bühne zu rehabilitieren – leider mit Erfolg. Die Normalisierung der Beziehungen zu den Nachbarstaaten in der Region ist in vollem Gange, flankiert vom Verbündeten Putin. Aus dem Blick gerät dabei, dass der IS in der Region wieder stärker wird. Jeden Tag werden Menschen durch Anschläge von Islamisten getötet.
Im Iran gehen mutige Demonstrantinnen und Demonstranten seit nunmehr sieben Monaten auf die Straße für ihre Freiheit und gegen ein Regime, das Menschen unterdrückt, einsperrt, hinrichtet. Hunderte Schülerinnen werden vergiftet, und das Regime schafft es weder, dies aufzuklären, noch, es zu verhindern. Zudem gefährdet die nukleare Aufrüstung und Anreicherung die gesamte Region.
Derweil nähern sich die Erzfeinde Iran und Saudi-Arabien wirtschaftlich und politisch an. Dabei wird auch hier der wachsende Einfluss Chinas in der Region deutlich. Zudem gibt es Friedensverhandlungen zwischen Saudi-Arabien und den jemenitischen Huthis. Das ist an sich ein gutes Zeichen. Allerdings darf man den innerjementischen Aussöhnungsprozess nicht vergessen, womit ein dauerhafter Frieden auch gefährdet wäre.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, all dies zeigt die Dynamiken und Herausforderungen im Nahen und Mittleren Osten. Auch dort findet eine Zeitenwende längst statt. Einerseits ist es natürlich gut, dass endlich zu Gesprächen einstiger Erzfeinde getrommelt wird; andererseits scheinen Menschenrechte und das Völkerrecht keine Rolle zu spielen. Die Zusammenarbeit von theokratischen und diktatorischen Regimen muss uns beunruhigen.
Unsere roten Linien sind klar, auch im Nahen Osten: Den Aggressionen Putins müssen wir uns auch in dieser Region stellen. Per Handstreich eine Rehabilitierung von Regimen, die massenhaft Menschen ermorden, foltern und internieren, darf es nicht geben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sagen Sie das auch Herrn Habeck?)
Hier ist unsere Außenministerin Annalena Baerbock sehr deutlich. Sie führt den Dialog auf Augenhöhe und erteilt der Strategie des erhobenen Zeigefingers eine Absage.
In Ihrem Antrag, sehr geehrte Damen und Herren von der Union, stehen einige Punkte, die wir durchaus teilen und angehen. Was jedoch auffällt – ich komme zum Schluss –: In Ihrem Forderungskatalog scheinen die Menschenrechte keine große Rolle zu spielen. Sie sind aber ein wesentlicher Baustein einer engagierten und nachhaltigen Strategie für diese Region.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Lechte [FDP])
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Alexander Radwan das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)