Rede von Deborah Düring Nahrungsmittelversorgung sicherstellen

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08.04.2022

Deborah Düring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltweit hungern zurzeit über 800 Millionen Menschen. Das entspricht der Bevölkerung der EU und Nordamerikas zusammen. Aber wer sich jetzt hierhinstellt und einfach nur mehr Weizenproduktion gepaart mit weniger Klimaschutz fordert, der hat das Problem in Gänze nicht verstanden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

44 Millionen Menschen stehen kurz vor dem Hungertod, und die Zahl steigt rasant an. Deswegen brauchen wir jetzt eine massive Aufstockung des chronisch unterfinanzierten Welternährungsprogramms. Wir müssen den akuten Hunger bekämpfen, ja. Aber das allein reicht nicht aus. Wir haben aktuell genug Lebensmittel in der Welt. Sie sind einfach nur ungerecht verteilt. Das ist an sich auch keine neue Erkenntnis. Aber wenn ich die Anträge so lese und mir die Redebeiträge hier anhöre, dann scheint das wohl noch nicht bei allen hier im Plenum angekommen zu sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Ina Latendorf [DIE LINKE])

Unsere Freihandelspolitik hat die Abhängigkeit des Globalen Südens von Nahrungsmittelimporten geschaffen. Zu den aktuellen Hungerkrisen haben wir in der EU und mit unserem Weltwirtschaftssystem beigetragen. Diese Politik hat lokale Ernährungssysteme systematisch zerstört, Kleinbäuerinnen und ‑bauern verdrängt und die Übermacht von multinationalen Konzernen begünstigt. Liebe Union, Ihre Verweigerung in den letzten 16 Jahren, die Klimakrise konsequent anzugehen, diese Haltung hat auch dazu geführt, dass Tausende von Menschen auf der Suche nach Wasser und Weideland jetzt schon vertrieben werden. Klimakrisenbedingte Dürren und Heuschreckenplagen führen zu massiven Ernteausfällen und werden es auch weiter tun. Deswegen müssen wir für mehr Klimaschutz sorgen und nicht für weniger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Hinzu kommt noch die Coronapandemie, die zu extremen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen im Globalen Süden geführt hat. In den letzten zwei Jahren sind die Lebensmittelpreise gerade wegen dieser Polypandemie noch weiter rasant gestiegen. Der Krieg gegen die Ukraine hat diese Preisproblematik noch mal verschärft. Staaten müssen sich jetzt weiter verschulden, um das Brot für ihre Bevölkerung zu subventionieren, damit sich die Menschen dieses überhaupt noch leisten können. In einigen Ländern im Globalen Süden geben Familien mehr als 60 Prozent ihres gesamten Einkommens für Nahrungsmittel aus. Genau das meine ich, wenn ich sage: Diese Krisen hängen zusammen, sie verstärken sich gegenseitig. Und: Es gibt keine eindimensionalen Lösungen à la Union für diese mehrdimensionalen Probleme.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir müssen aufhören, mit kurzfristig gedachten Lösungen diese langfristigen Probleme anzugehen. Klima- und Umweltschutz darf nicht gegen Ernährungssouveränität ausgespielt werden. Stattdessen müssen wir an die Strukturen ran. Ansonsten stehen wir doch bei den nächsten Krisen genauso da, wie wir jetzt dastehen. Wir brauchen den biologischen Umbau der globalen Landwirtschaft. Wir müssen Nahrungsmittelspekulationen regulieren und Schuldenmoratorien ermöglichen. Wir müssen die globalen Ernährungssysteme endlich resilienter machen. Das gilt es jetzt anzugehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Knut Gerschau [FDP] und Ina Latendorf [DIE LINKE])

Dafür müssen wir vor allen Dingen im Globalen Süden die lokale Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln wieder in Gang bringen. Wir müssen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Globalen Süden stärken. Agrarökologische Ansätze müssen ausgebaut werden, um die Abhängigkeit von Pestiziden und Mineraldüngern zu verringern.

Im Globalen Norden, ja, auch hier müssen wir handeln. Wir müssen die Nahrungsmittelverschwendung drastisch reduzieren. Auch wenn es einigen hier nicht passt: Ja, das bedeutet auch, dass wir werden lernen müssen, weniger tierische Produkte zu konsumieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP])

Da der Kollege der AfD gestern mal wieder anfing, die Gleichberechtigung infrage zu stellen, hier noch einmal ganz klar und deutlich: Wir müssen die Gleichberechtigung der Geschlechter voranbringen; denn der Hunger auf der Welt kann nur besiegt werden, wenn weiblich gelesene Menschen endlich gleichberechtigt sind. Weltweit sichern vor allen Dingen Frauen die Ernährung ihrer Familien. Aber sie werden nicht gehört, sie werden unsichtbar gemacht. Bäuerinnen sind der Motor für Ernährungssouveränität.

(Zuruf des Abg. Stephan Protschka [AfD])

Ihre Potenziale und Fähigkeiten brauchen wir, um den Hunger in der Welt zu überwinden, und das werden wir angehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der AfD)

Statt patriarchale Strukturen zu stützen, müssen wir die Rechte von Frauen stärken.

(Enrico Komning [AfD]: Kommen Sie mal wieder runter!)

– Ich komme gar nicht runter. Sie hören mir jetzt zu!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Statt Schuldendienst den Vorrang einzuräumen, müssen wir Ländern endlich ermöglichen, soziale Sicherungssysteme aufzubauen. Wir müssen Menschenrechte vor Profit stellen. Wir müssen menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen.

(Stephan Protschka [AfD]: Wissen Sie, was Arbeit ist?)

Wir brauchen eine agrarökologische Transformation mit fairem und gerechtem Handel. Ernährungssouveränität und Verteilungsgerechtigkeit werden wir angehen. Das sind langfristige Lösungen, liebe Union.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Enrico Komning [AfD]: Das war so schlecht! So übel!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das Wort erhält für die FDP-Fraktion Dr. Christoph Hoffmann.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)