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20.05.2021

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion legt dem Parlament heute einen Antrag vor, um ein Programm für natürlichen Klimaschutz einzurichten, welches Klima- und Naturschutz miteinander verbindet. Wir wollen zukünftig für dieses Programm 10 Prozent des Geldes aus dem Energie- und Klimafonds des Bundes einsetzen, um Natur wiederherzustellen, Kohlenstoff zu binden und Wasser in der Landschaft zu halten. Wir wollen damit massive Investitionen in den Schutz der Natur auslösen. Im aktuellen Haushaltsjahr würden diese 10 Prozent aus dem EKF rund 2,6 Milliarden Euro bedeuten. Das heißt, es wäre ein echter Paradigmenwechsel in der Naturschutzpolitik Deutschlands und würde auch die chronische und von allen Fraktionen des Hauses beklagte Unterfinanzierung des Naturschutzes auflösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen besonders artenreiche und klimawirksame Ökosysteme in den Mittelpunkt stellen: Moore, Seegraswiesen, naturnahe Wälder, Auenlandschaften, um einige Beispiele zu nennen. All diese Ökosysteme sind wertvoller Lebensraum, Wasserspeicher und Kohlenstoffspeicher zugleich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser Antrag weist natürlich auch in die nächste Legislaturperiode – ein solches Programm ist nicht binnen zwei Sitzungswochen aufzulegen –, aber er ist auch eine Einladung an alle demokratischen Fraktionen dieses Hauses, an die Kommunen, an die Länder, die Zivilgesellschaft, Akteure in der Wirtschaft, insgesamt eine große gesellschaftliche Anstrengung auszulösen, um Natur zu renaturieren und besser zu schützen als bisher.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie alle kennen das Übereinkommen über die biologische Vielfalt, die CBD. Damit hatte sich die internationale Staatengemeinschaft bereits 2010 völkerrechtlich bindend verpflichtet, das Artenaussterben zu stoppen, wertvolle Lebensräume zu schützen und wiederherzustellen und eine nachhaltige Nutzung unserer Lebensgrundlagen zu garantieren. Auch die EU-Biodiversitätsstrategie hat die Mitgliedstaaten bereits darauf verpflichtet, 15 Prozent der degradierten Ökosysteme zu renaturieren. Aber zehn Jahre später blicken wir auf ein verlorenes Jahrzehnt für den Naturschutz zurück. Wir müssen feststellen, dass keines – keines! – der 20 Kernziele der CBD zufriedenstellend umgesetzt worden ist.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)

Das ist eine riesige Bürde für zukünftige Generationen, und politisch ist das einfach nicht mehr so hinnehmbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind von gesundem Klima genauso abhängig wie von gesunder Natur mit all ihren Leistungen für die Lebensmittelproduktion, den Wasserhaushalt, die Sauerstoffproduktion, für Bestäubung, Hochwasserschutz und vielem mehr. Naturschutz ist kein Nice-to-have, sondern es ist Hardware und Software in einem. Wir sind davon abhängig. Die Europäische Kommission wird noch in diesem Jahr eine Gesetzgebung zur verbindlichen Wiederherstellung von Ökosystemen vorlegen. Im Herbst wird die CBD neue Zielmarken ausrufen, und im Rahmen der Klimaverhandlungen werden gerade Nature-based Solutions heiß diskutiert.

Ich möchte, meine Fraktion möchte, dass wir im Deutschen Bundestag nicht wieder hinterherrennen, dass wir nicht wieder warten, bis die Europäische Kommission uns verklagt, weil Naturschutzrichtlinien wie die Nitratrichtlinie nicht umgesetzt worden sind oder das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber erneut zum Handeln zwingt. Deshalb wollen wir vorangehen und mit unserem Programm die Grundlagen für die zukünftige Umsetzung von Natur- und Klimaschutz definieren.

Ich denke, dass uns eines klar sein muss – das sollte zumindest die Naturschutzfraktion hier im Deutschen Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg vereinen –:

(Karsten Hilse [AfD]: Die Naturschutzzerstörungsfraktion seid ihr!)

dass das Definieren von Zielmarken nicht mehr ausreicht. Wir können nicht so weitermachen, dass wir eine Wasserrahmenrichtlinie, eine FFH-Richtlinie, eine Natura-2000-Richtlinie festlegen, Biodiversitätsziele für 2030 und Ziele für 2050 formulieren, um dann von Jahrzehnt zu Jahrzehnt festzustellen, dass es leider wieder mal nicht geklappt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es sind jetzt konkrete Lösungen und Maßnahmen notwendig. Mit unserem Programm könnte in der nächsten Legislaturperiode anschließend an das Bundesprogramm Biologische Vielfalt und an den Wildnisfonds direkt in die Renaturierung eingestiegen werden: seien das Bäche, sei das in meiner Heimat bei der Elbe, sei das der stille Dorfweiher, der seine ökologischen Funktionen nicht mehr ausfüllt.

(Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD])

Wir könnten mit diesen Dingen sofort beginnen – die Finanzmittel dafür können zur Verfügung gestellt werden –, und wir könnten damit insgesamt einen wirklichen Gamechanger für Naturschutz einrichten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre ein Ausweg aus den Grabenkämpfen, die wir in den letzten Jahren hier erlebt haben.

Ich denke, dass allen klar sein muss: Einen solchen parlamentarischen Prozess wie um den Insektenschutz, wozu die Bundesregierung vor vier Jahren einen guten Aktionsplan aufgestellt hat, sich danach aber bis zum heutigen Tag nicht auf ein Insektenschutzgesetz geeinigt werden konnte, das sowieso nur noch ein Rumpfgesetz ist – da ist ja vom Programm nicht mehr viel drin –, einen solchen politischen Prozess können wir uns nicht erneut leisten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Und deshalb möchte ich mit dem Programm für meine Fraktion eine Einladung zum Mittun, zum Mitdiskutieren, zum Streiten, zum Verbessern aussprechen und hoffe, dass wir für den Naturschutz gemeinsam vorankommen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Lemke. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)