Rede von Dr. Ingrid Nestle Nord Stream 2 und Gasumlage

Foto von Ingrid Nestle MdB
21.09.2022

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So, wie Kollege Timon Gremmels es hier gerade getan hat, wurde auch heute früh im Ausschuss darauf hingewiesen, dass es einen völkerrechtswidrigen Angriff von Putin auf die Ukraine gibt. Es erfolgte sofort ein Zwischenruf aus Reihen der AfD: Na und!

(Karsten Hilse [AfD]: Gucken Sie sich das Protokoll an! – Weiterer Zuruf von der AfD: Das stimmt nicht!)

Kolleginnen und Kollegen, an der Frage, ob wir in Europa friedlich zusammenleben und die Menschenrechte achten oder ob es einen mörderischen Krieg gibt, dass ein Machthaber versucht, die Grenzen zu verschieben, ist nichts, aber auch gar nichts „Na und!“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben immer wieder bewiesen – heute früh im Ausschuss genauso wie jetzt –, dass Sie vor Fakten die Augen verschließen, dass die erneuerbaren Energien inzwischen um Größenordnungen günstiger sind, dass die Preiskrise, die Putin uns mit voller Absicht einbrockt – auch das hat er öffentlich erklärt –, an unserer Abhängigkeit von den Fossilen, an der Abhängigkeit von Putin und nicht an den Erneuerbaren liegt. Es liegt offen sichtbar auf dem Tisch. Aber auch das leugnen Sie nach wie vor.

(Zuruf von der AfD: Sie leugnen die Grundlast!)

Sie haben auch die Gasumlage angesprochen. Ja, natürlich findet gerade die Korrektur statt. Trittbrettfahrer sollen nicht von der Gasumlage profitieren können. Ehrlich gesagt: Im Sommer haben wir die Kriterien vorgelegt. Die Kriterien waren: Nur wer wirklich wegen Putin Verluste macht, nur wer viele der Verluste bereits selbst getragen hat und nur wer auch weiterhin einen Teil seiner Verluste selbst trägt, bekommt die Umlage. Da hat keiner gesagt: Die Kriterien sind falsch. Dann hat man gesehen, als sich die Unternehmen gemeldet hatten, dass es doch Trittbrettfahrer gibt. Ja, das wird jetzt korrigiert. Ich glaube, so weit ist das okay.

Jeder, der die Umlage infrage stellt und sagt, man soll das Problem – das Putin uns mit voller Absicht eingebrockt hat – der Abhängigkeit von den Fossilen mit Steuergeld lösen, muss auch verantworten, dass dieses Steuergeld nicht mehr zur Verfügung steht, um im Winter, der uns bevorsteht, der für viele Menschen und viele Unternehmen ganz, ganz bitter wird, zielgenau dort zu helfen und zu unterstützen, wo die Not am größten ist.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie wollen doch die Umsatzsteuer auf Gas senken!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der AfD?

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, bitte.

Leif-Erik Holm (AfD):

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Wenn Sie unseren Antrag gelesen hätten, dann hätten Sie dem entnehmen können, dass es eben nicht darum geht, mit Steuergeld weiter nachzuhelfen. Es geht hier um 35 Milliarden Euro. Das ist eine enorme Summe, ja.

(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um was geht es denn dann?)

Wenn Sie als Ampelkoalition die Probleme an der Ursache angehen würden, nämlich die mangelnden Energiekapazitäten aufzufüllen – in jeder Hinsicht, natürlich auch beim Gas –, dann ist es doch wohl keine Frage, dass sich auch private Institute, Banken zur Verfügung stellen würden, um Kredite für diese Importeure und Versorger auszugeben.

(Thomas Heilmann [CDU/CSU]: Schwachsinn!)

Denn normalerweise ist es ein sehr sicheres Geschäft, diese Kredite auszugeben. Diese kann der Staat – das habe ich in meiner Rede auch gesagt – über Gewährleistungen sogar noch absichern; das wäre alles möglich. Aber wir wollen nicht generell weiteres Steuergeld hineinblasen, auf Deutsch gesagt. Das wäre alles möglich. Es wäre schön, wenn Sie das zur Kenntnis nehmen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich hörte gerade aus den Reihen der Kollegen den Hinweis, dass das, was Sie erzählen, „Schwachsinn“ sei. In der Tat: Solange ein Unternehmen wie Uniper jeden Tag zweistellige Millionensummen verbrennt – das ist kein Liquiditätsproblem, das ist ein gigantisches Verlustproblem –,

(Peter Boehringer [AfD]: Das Sie verursacht haben!)

finden sich keine Banken, die sagen: Ach, das Problem schaffe ich Ihnen aus der Welt.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Der Steuerzahler soll es machen!)

Aber Sie haben auch recht. Ich habe an der Stelle aufgehört, mich an Ihnen abzuarbeiten, weil es das nicht wert war. Vielmehr habe ich mich generell der Debatte um die Gasumlage zugewandt, die, glaube ich, eine sehr wichtige ist und dieses Land gerade sehr beschäftigt. Tatsächlich ist die allgemeine Annahme oft, man könnte das Problem mit Steuergeld lösen. Man könnte die Preisschocks natürlich auch direkt weitergeben. Das wäre aber deutlich unsozialer als die Umlage. Die andere Lösung, die im Raum steht, ist die mit Steuergeld.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber das machen Sie doch! Sie wollen morgen doch die Umsatzsteuer auf Gas senken!)

Der hatte ich mich zugewandt, weil ich, ehrlich gesagt, keine Lust hatte, meine ganze Redezeit mit Ihnen zu verbringen. Aber danke für die Zwischenfrage.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Götz Frömming [AfD]: Wenn man zur Sache nichts zu sagen hat, wird man persönlich!)

Jetzt war ich gerade wieder beim Thema Steuergeld. Würden wir Steuergeld nehmen, um die Gasumlage abzuschaffen, dann bedeutet das, dass die Reichen am meisten Steuergeld bekommen.

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Frau Kollegin, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage –

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Noch eine?

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

– aus der CDU/CSU-Fraktion vom Kollegen Heilmann?

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, gerne. Noch lieber.

Thomas Heilmann (CDU/CSU):

Liebe Frau Kollegin Nestle, kurz mal zu den Fakten der Gasumlage.

Erstens. Es sollen zwar 34 Milliarden Euro verteilt werden, aber davon kommen allein 14 Milliarden Euro aus der Mehrwertsteuersenkung. Dann sind wir nur noch bei 20 Milliarden Euro.

Zweitens. Jetzt werden 20 Milliarden Euro von den Bürgerinnen und Bürgern eingesammelt, die Gas beziehen. Das ist dasselbe, wie wenn ich 20 Milliarden Euro von Verbraucherinnen und Verbrauchern einsammle. Es ist nur zufällig anders. Es ist sehr ungerecht, wie die Gasumlage eingesammelt wird. Denn diejenigen, die schon jetzt einen teuren Gasvertrag haben, zahlen obendrauf noch eine Gasumlage, während diejenigen, die mit ihren Stadtwerken einen Festvertrag inklusive aller Umlagen haben – also diejenigen, die sowieso den besseren Vertrag haben –, die Gasumlage nicht zahlen. Deswegen ist es hoch ungerecht, wie das Geld eingesammelt wird, und das macht es aus meiner Sicht rechtswidrig. Das ist das Argument.

Am Ende des Tages: Ja, das ist teuer, und ich verstehe, dass Sie das nicht einfach durchreichen wollen. Ich verstehe auch, dass Sie Uniper nicht einfach pleitegehen lassen wollen. Die Ursache – das vielleicht an die AfD gerichtet – kommt daher, dass Gazprom sich vertragswidrig verhält, Uniper Festverträge mit Gazprom hatte und wiederum Festverträge an seine Kunden gegeben hat. Wenn Uniper das Gas von Gazprom nicht kriegt, müssen sie es teurer einkaufen; das wird Ihnen kein Kreditgeber der Welt bezahlen. Das nur als Randnotiz. Deswegen ist es Schwachsinn, wie Sie zu Recht gesagt haben.

Aber noch mal zu Ihrem Punkt. Es ist ein ungerechtes Einsammeln von netto 20 Milliarden Euro von einem Teil der Bürger, die sehr zufällig ausgewählt worden sind. Die Auszahlung erfolgt auch noch mal ungerecht, zum Beispiel an Trittbrettfahrer. Sie wollen das ausschließen – das weiß ich –, aber die Vorlage dazu fehlt.

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Herr Heilmann, eine Frage jetzt bitte.

Thomas Heilmann (CDU/CSU):

Die Frage ist: Verstehen Sie nicht, warum diese Gasumlage leider ein Missgeschick ist, die Sie mit dem Anlass Uniper jetzt bitte zurücknehmen, und warum wir eine andere Lösung dafür finden müssen?

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie haben insofern recht, als dass man Steuergeld auch dann ungerecht und zielungenau ausgeben kann, wenn man das nicht über eine Umlage macht. Wir haben schon große Entlastungspakete geschnürt. Wir als Ampel haben gezeigt, dass wir die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Innerhalb der Debatte, wie dieses Steuergeld eingesetzt wird, haben wir Grüne immer dafür gekämpft, dass möglichst viel bei den Menschen und Unternehmen ankommt, die in Not sind.

Dass die Pakete nicht komplett so gestrickt sind und dass die Umsatzsteuerabsenkung, die Sie gerade angesprochen haben

(Thomas Heilmann [CDU/CSU]: Die ich persönlich auch kriege und nicht brauche!)

– genau –, über andere Ecken da reingerutscht ist, erkenne ich auch, ebenso wie die Steuerdebatte im Zusammenhang mit der kalten Progression. Aber das war nicht unsere Initiative. Es gibt auch andere Interessen; man kann auch andere Fehler machen.

Jetzt geht es darum, in die Zukunft zu schauen. Wir wissen, dass dieser Winter wirklich bitter wird. Wenn wir jetzt noch einmal Steuergeld in die Hand nehmen – das möchte ich –, können wir Not lindern. Aber die Not, die kommen wird, ist einfach zu groß, um mit der Gießkanne zu helfen. Die Reichen, die es nicht brauchen, bekommen doppelt so viel Steuergeld als diejenigen, die wirklich in Not sind. Das wäre das Ergebnis, wenn wir die Gasumlage durch Steuergeld ersetzen würden. Ja, es hat genau die gleiche Verteilungswirkung wie die Mehrwertsteuerabsenkung, die an dieser Stelle auch nicht perfekt ist. Wir müssen anfangen, zielgenau zu werden, weil die Not so groß ist.

Ich wünsche mir – das ist genau der Punkt, den Sie gerade angesprochen haben –, dass man speziell die Kunden unterstützt, die Neuverträge haben, die besonders große Kosten haben. Auch dafür gibt es Vorschläge, zum Beispiel, dass man Gaskunden mit einem Grundkontingent unterstützt oder nur Kunden mit überaus wenig Einkommen unterstützt, die besonders in Not sind. Für das alles gibt es Modelle, und alle diese Modelle sind um Welten sozialer als die pure Abschaffung der Gasumlage durch Steuergeld, auch wenn das gerade von vielen gefordert wird. Auch wenn das opportun ist: Es ist nicht das, was den Menschen in Armut durch den Winter helfen wird.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Thomas Heilmann [CDU/CSU]: Die Gasumlage ist nicht gerecht! Das war mein Punkt!)

Zum Schluss noch ganz kurz an die Kollegen der AfD. Sie wollen Nord Stream 2 wieder aufmachen. Das ist nun wirklich das Verrückteste der Welt. Putin hat klar gesagt: Er möchte unsere Energiepreise in die Höhe treiben. Putin könnte schon längst Gas über andere Pipelines liefern und tut es nicht. Zu sagen: „Die Lösung dafür ist noch mehr Abhängigkeit von dem, der uns einen Energiekrieg aufgetischt hat“, kann nicht funktionieren.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Sie haben doch anfangen mit den Sanktionen!)

Kollege Weyel von Ihnen hat es vor Kurzem gesagt, als er dachte, das Mikro sei schon aus. Er hat gesagt, dass er hoffe, die Situation in Deutschland würde dramatisch; denn sonst würde sich ja nichts ändern.

(Beatrix von Storch [AfD]: Sie wissen, dass das nicht stimmt!)

Das ist Ihre Haltung. Ihnen ist jedes Mittel recht, um der Demokratie zu schaden.

(Zuruf von der AfD: Fake News!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Janine Wissler.

(Beifall bei der LINKEN)