Rede von Dr. Anton Hofreiter Öffentlicher Personennahverkehr

01.03.2018

Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit acht Jahren ist die Luft in unseren Städten schmutziger als erlaubt. Seit 2015 ist der VW-Skandal bekannt. Seit vielen Jahren wissen wir, dass Tausende von Menschen Jahr für Jahr vorzeitig wegen schmutziger Luft sterben. Und was hat die Bundesregierung gemacht? Die Bundesregierung hat einen Brief an Brüssel geschrieben. In diesem Brief stehen auch nette Sachen, wie zum Beispiel die Idee des kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs, von der Sie selbst wieder abrücken. Was hat denn die Bundesregierung getan? Die Bundesregierung hat so wenig getan, dass jetzt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gehandelt hat. Wir erleben jetzt seit acht Jahren eine Arbeitsverweigerung der Bundesregierung. Das ist skandalös, und das muss sich dringend ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe großes Verständnis dafür, dass die Autofahrer verunsichert sind, dass die Handwerker nicht mehr wissen, ob sie mit ihren überwiegend mit Diesel betriebenen Fahrzeugen weiter in die Städte fahren können.

Aber was machen denn die Autokonzerne? Die Autokonzerne würden, wenn sie Anstand und etwas Weitblick hätten, die Nachrüstung freiwillig bezahlen. Sie könnten es sich leisten; denn die Autokonzerne und die großen Zulieferer haben allein im letzten Jahr 9 Milliarden Euro an Dividenden an ihre Aktionäre ausgeschüttet. Das heißt, sie haben Milliarden für Multimillionäre und Milliardäre, aber keine 1 500 Euro für ihre betrogenen Kunden. Das ist skandalös!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Aber noch deutlich skandalöser ist, dass die Bundesregierung sie damit durchkommen lässt. Warum zwingen Sie als Bundesregierung, als sich bildende Große Koalition die Autokonzerne nicht? Sie hätten doch dafür eine Mehrheit. Warum zwingen Sie nicht die Autokonzerne, dass sie für den Schaden, den sie verursacht haben, aufkommen? Handeln Sie doch einfach! Machen Sie ein Gesetz!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Inzwischen weiß man, dass nahezu alle Fahrzeuge nachrüstbar sind, dass danach der Schadstoffausstoß um 90 Prozent sinkt und damit auch die Hauptquelle verschwunden ist; denn die Dieselabgase sind für über 70 Prozent der NO x -Verschmutzung in unseren Städten verantwortlich.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Hofreiter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Von wem denn?

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Eines Abgeordneten der AfD-Fraktion.

Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ach Gott, ja.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aktuelle Stunde!)

– Es ist keine Aktuelle Stunde.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Es ist keine Aktuelle Stunde. Wir haben eine Sachdebatte. Also, die Zwischenfrage ist zugelassen.

Dr. Dirk Spaniel (AfD):

Herr Hofreiter, Sie haben eben gesagt, die Autokonzerne hätten gelogen und betrogen. Da interessiert mich jetzt doch: Auf was genau beziehen Sie sich da?

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Niema Movassat [DIE LINKE]: Zeit zum Lesen hilft!)

Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wo Sie sich die letzten zwei Jahre aufgehalten haben.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Es hilft auch, wenn man sich nicht nur in der eigenen engen Filterblase aufhält.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Daniel Föst [FDP])

Es gibt eine ganz einfache Lösung: Sie kaufen sich eine Zeitung und schauen hinein,

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

was weiß ich, zum Beispiel die „Süddeutsche“ oder auch die „FAZ“. Dann lesen Sie einfach ganz entspannt nach, und dann stellen Sie fest, dass die Grenzwerte im Schnitt um 300, 400, 500 Prozent, bei manchen Fahrzeugen sogar um 1 000 Prozent überschritten werden. Das ist halt nicht so gedacht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie können sich das dann genauer nachschauen und noch einmal nachlesen. Dann stellen Sie fest, dass VW eine illegale Software eingesetzt hat. Das ist Betrug.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Aber ich bin gerne bereit, zu Ihrer Aufklärung beizutragen. Ich glaube, Sie erhalten als Abgeordneter ein gewisses Gehalt. Deshalb: Setzen Sie einen Teil des Gehalts dafür ein, kaufen Sie sich eine gute Zeitung, lesen Sie nach. Dann müssen Sie hier nicht mehr nachfragen und uns die Zeit stehlen. Aber, wie gesagt, wenn Sie weitere Sachfragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich sagte: Inzwischen wissen wir ja, dass nahezu jedes Fahrzeug nachrüstbar ist. Wir erleben, dass sich die CDU/CSU ein bisschen als Partei für Law and Order darstellt, also für die Umsetzung von Recht und Gesetz.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ist sie auch!)

Was ich mich da immer frage, ist, warum sich die CSU-Verkehrsminister – das sind ja gar nicht so wenige; erst war es Herr Ramsauer, dann war es Herr Dobrindt, und jetzt ist es geschäftsführend Herr Schmidt – nicht trauen, Recht und Gesetz gegenüber den großen Konzernen durchzusetzen? Das wäre doch einmal eine Aufgabe für Law and Order. Einfach mal ran an den Speck! Trauen Sie sich!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich glaube, viele Menschen wären Ihnen sehr dankbar. – Jetzt gibt mir der Präsident durch das blinkende Lämpchen ein Zeichen. Ich glaube, die Uhr ist während der Frage weitergelaufen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Hofreiter, ich habe die Uhr während der Frage angehalten, sogar mehr, als es zulässig war, weil ich Ihre Rede so niedlich finde.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Softwaremanipulation!)

Aber kommen Sie jetzt freundlicherweise wirklich zum Schluss.

Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Dann komme ich jetzt ganz freundlich zum Schluss. – Was also ist notwendig? Notwendig wären drei Dinge: Wir müssen die blaue Plakette einführen, dafür sorgen, dass die Nachrüstung auf Kosten der Industrie umgesetzt wird, und endlich Geld für den Ausbau von Bus und Bahn ausgeben,

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Seien Sie wenigstens ehrlich, und sagen Sie, was Sie wirklich wollen!)

damit man nicht, wenn man Bus oder Bahn fahren will, zwischen anderen feststeckt und man das Gefühl hat, man braucht Pusher wie in Tokio.

Notwendig sind also Geld für Bus und Bahn und die anderen beiden Maßnahmen, und dann klappt es auch. Machen Sie sich ans Werk! Sie würden uns allen etwas Gutes tun.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)