Rede von Dr. Kirsten Kappert-Gonther Organspende
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Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich 15 Jahre alt war, habe ich einen sehr nahen Menschen dadurch verloren, dass er von einem Auto – sie war auf dem Fahrrad unterwegs – getötet wurde. Die Eltern mussten sich der Frage stellen: Spenden wir die Organe unseres Kindes? Das war das erste Mal, dass ich mich bewusst mit Organspende beschäftigt habe.
Inzwischen trage ich seit Jahrzehnten meinen Organspendeausweis immer bei mir. Ich habe mich als Ärztin vertieft mit diesen Fragen beschäftigt und jüngst gelernt – ich dachte, ich bin schon zu alt zur Organspende –, dass auch die Organe von über 90-Jährigen Leben retten können. Das Thema geht uns also wirklich alle an.
Warum ist es dann so schwer, darüber zu sprechen und nachzudenken? – Weil es bei der Beschäftigung mit der Organspende immer auch um die Beschäftigung mit unserem eigenen Tod geht! Gleichzeitig geht es aber um das Leben, und darum ist es so elementar, dass wir die Organspenderaten in Deutschland verbessern.
Wie kann das gelingen? Um das herauszufinden, sind wir kürzlich mit dem Gesundheitsausschuss in Spanien, beim Organspendeweltmeister, gewesen. Was ist deren Erfolgsrezept? Die Antwort war eindeutig: Organisation.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Außerdem sind die Verankerung in der medizinischen Ausbildung und das Vertrauen der Bevölkerung elementar.
Welchen Anteil am Erfolg Spaniens hat die Widerspruchsregelung?
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Keinen!)
Keinen; denn dort wird die Zustimmungslösung praktiziert.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Das hat mich überrascht. Die Spanier betonten sogar, die Grundlage für das große Vertrauen der Bevölkerung sei gerade die Freiwilligkeit.
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ja!)
Es geht also offensichtlich um den Dreiklang aus Strukturen, Ausbildung und Freiwilligkeit.
Jüngst hat eine Studie der Universität Kiel gezeigt, das Problem zu geringer Organspenderaten in Deutschland liegt daran, dass zu selten Spendeorgane identifiziert und gemeldet werden. Da liegt der Hebel,
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
und dafür sieht der aktuelle Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums richtige Strukturreformen vor. Zusätzlich, über diese Vorschläge hinausgehend, muss das Wissen um Organspende fest in die medizinische und pflegerische Ausbildung verankert werden.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Außerdem, so meine ich, brauchen wir ein Organspenderegister. Alle Bürgerinnen und Bürger werden regelmäßig informiert und gebeten, nicht verpflichtet, sich mit ihrer Entscheidung – „Ja“, „Nein“, „Weiß nicht“; wobei „Weiß nicht“ im Fall der Fälle „Nein“ hieße – einzutragen. Dabei sind aus meiner Sicht drei Punkte grundlegend: Es muss moralisch als gleichwertig gelten, ob sich jemand dafür oder dagegen entscheidet, Spender zu sein.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Die Bürgerinnen und Bürger tragen sich selbst ein und können ihre Entscheidung jederzeit selbstständig ändern. Es muss sichergestellt werden, dass alle ihre Entscheidung frei und selbstbestimmt treffen können, und dazu gehört auch das Recht auf Nichtentscheidung.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Zentral dafür ist die Ansprache. Ob das bei einer Meldebehörde sein kann, darüber, meine ich, müssen wir noch mal nachdenken. In Frankreich und Lettland sank die Zustimmung zur Organspende im Übrigen nach Einführung der Widerspruchslösung. Wann gingen die Organspenderaten in Spanien nach oben? Genau dann, als die Strukturen verbessert wurden. Das muss unser Ziel sein;
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
denn Organspende rettet Leben.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)