Rede von Helge Limburg Orientierungsdebatte zur Impfpflicht

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26.01.2022

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Warken, zu Ihrer Rede vielleicht nur eines: Wenn Sie und auch Ihre Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion im ersten Satz immer wieder betonen, dass Sie eine konstruktive Opposition sein wollen, im nächsten Moment dann aber klarmachen, dass Sie die Einladung zur inhaltlichen Mitarbeit an den Gruppenanträgen in jedem Einzelfall ausschlagen, Sie aber auch keinen eigenen Vorschlag vorlegen werden, dann fehlt mir ein bisschen der Glaube an den ersten Satz, Frau Warken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Sepp Müller [CDU/CSU]: Haben Sie nicht zugehört, Herr Kollege!)

– Ich habe Ihnen sehr gut zugehört, Herr Müller.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Aber verstanden haben Sie es nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist heute zu Recht oft genug betont worden: Impfen hilft; mit Impfen hilft man sich selbst und anderen. In der Tat halte ich es wie die ganz große Mehrheit in diesem Haus für sehr vernünftig, sich impfen zu lassen. Aber – darauf hat der Kollege Kubicki zu Recht hingewiesen – die Freiheitsgrundrechte unseres Grundgesetzes schützen auch die Unvernunft. Sie schützen gerade auch das individuelle Recht, etwas anderes zu machen als das, was sozial bzw. von der Mehrheit erwünscht ist; genau das ist das Wesen der Freiheits- und Minderheitenrechte.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Eine allgemeine, mit Strafen bewehrte Pflicht, sich impfen zu lassen, wäre deshalb ein gewichtiger Eingriff in diese Grundrechte – die Pflicht, eine Substanz in seinen Körper aufzunehmen, ist natürlich ein Eingriff –, und sie müsste gut begründet sein.

Ich habe manchmal das Gefühl, dass die allgemeine Impfpflicht als die eine große, reinigende Maßnahme wahrgenommen wird, die diese schrecklichen Jahre für unsere Gesellschaft endlich beendet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube nicht, dass das so einfach ist und so einfach der Fall sein wird. Ich glaube, die Folgen und die Umsetzungsschwierigkeiten – das haben viele schon zu Recht betont – wären gewaltig.

Es ist auch nicht trivial, dass wir klar definieren, welches Ziel eigentlich verfolgt werden soll. Der Schutz der individuellen Gesundheit und die Tatsache, dass Impfen jeden Einzelnen schützt, reichen – aus meiner Sicht jedenfalls – nicht aus, weil – ich habe es eingangs gesagt – der freie demokratische Rechtsstaat eben nicht als paternalistischer Staat die Menschen quasi vor sich selber schützen darf.

Es bleibt der Schutz der Freiheitsrechte anderer; darauf sind die Kollegin Helling-Plahr und andere zu Recht eingegangen. Natürlich: Eine Überlastung des Gesundheitssystems schränkt andere in ihrer Freiheit ein. Natürlich: Die Situation in Kitas und Schulen mit immer wiederkehrender Quarantäne, mit Schließungen, Einschränkungen von Freizeitaktivitäten und Ähnlichem schränkt andere Freiheitsrechte ein. Insofern könnte die Alternative zu einer allgemeinen Impfpflicht nicht sein, einfach die bisherigen Maßnahmen weiterlaufen zu lassen.

Aber die Frage muss schon sein, ob eine Impfpflicht tatsächlich das mildeste Mittel ist, das wir gegenwärtig zur Verfügung haben. Wenn wir doch zum Beispiel wissen, dass einige Menschen ungeimpft sind, weil sie auf den Tot- oder Proteinimpfstoff warten, der jetzt gerade kommt: Warum konzentrieren wir uns dann nicht darauf, diesen ganz gezielt dort hinzubringen, wo die Impfquoten noch sehr niedrig sind, so ähnlich wie es Rheinland-Pfalz macht?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Wenn wir wissen, dass es Menschen gibt, die große Ängste um ihre Gesundheit haben, etwa vor Venenthrombosen und Ähnlichem: Warum bieten wir dann nicht – auch wenn es exotisch klingt – eine sehr engmaschige medizinische Betreuung, gegebenenfalls stationär, nach einer Impfung an, um auch diesen Ängsten zu begegnen?

Und schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Warum versuchen wir es nicht zunächst mit einer allgemeinen Impfberatungspflicht, ohne dass bereits quasi der virtuelle Bußgeldbescheid über dem Gespräch hängt, also mit einer offenen, vertrauensvollen Impfberatung?

Das alles ist weiterhin mühevoll. Mein Dank gilt natürlich allen Beteiligten an der bisherigen Impfkampagne auf allen Ebenen – riesiger Dank und Anerkennung! Aber seien wir ehrlich: Eine allgemeine Impfpflicht wäre eben auch sehr, sehr mühevoll. Es ist zu Recht angesprochen worden, dass die Durchsetzung einer Impfpflicht, verbunden mit Bußgeldbescheiden – auf die dann Haft zwar ausdrücklich nicht folgen soll, aber der Bußgeldbescheid muss ja trotzdem auf andere Weise gegen den Willen der Betroffenen vollzogen werden –, auch sehr mühevoll ist.

Wir müssen bedenken, dass es Menschen gibt, die vielleicht keine klare Diagnose „Du darfst nicht geimpft werden“ haben, die aber unklare Diagnosen haben. Die müssten wir aus meiner Sicht auf jeden Fall von einer Impfpflicht ausnehmen. Im Zweifel muss der individuelle Gesundheitsschutz gelten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Manche Kampagnen gegen die Impfung – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin – arbeiten mit Unwahrheiten und Fake News. Aber die daraus entstehenden Ängste sind real, und wir sollten uns schon überlegen, ob uns nicht mildere Mittel einfallen, als diesen Ängsten mit Bußgeldbescheiden zu begegnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP, der AfD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der nächste Redner ist der Kollege Konstantin Kuhle aus der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)