Rede von Erhard Grundl Orte der Demokratiegeschichte

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23.04.2021

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Staatsministerin Grütters! Meine Damen und Herren! Seit Gil Scott-Heron wissen wir: Demokratie ist nichts, was im Fernsehen gemacht wird. – Sie wird auch nicht in den sozialen Medien errungen. Demokratie muss immer wieder bestätigt, gefestigt, verteidigt, ja, errungen werden. In Myanmar, Hongkong, Russland, Belarus und anderswo muss sie derzeit gegen staatlichen und militärischen Widerstand mit Mut und Gefahr für Leben und Freiheit erkämpft werden.

Ich möchte es nicht verpassen, von dieser Stelle aus Tsimur Pipiya, einem jungen Mann, einem Fußballfan aus Belarus, der seit 25. September in Minsk als politischer Gefangener inhaftiert ist und für den ich eine Patenschaft übernehmen durfte, im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen hier zu sagen: We stand by you!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Demokratie bezieht ihre Legitimation und ihre Kraft nicht aus Gehorsam, sondern aus der Urteilskraft mündiger Bürger/‑innen. In einer Zeit, die – wie Heinrich August Winkler schreibt – von der „Krise der liberalen Demokratie“ geprägt ist, könnten wir gerade in Deutschland historische Orte der Demokratiegeschichte als Orientierungspunkte gut brauchen.

Doch man erfährt im Gesetzentwurf nichts über die Dringlichkeit dieses Vorhabens, nichts davon, auf welche aktuellen Herausforderungen wir reagieren. Mit dürren Worten wird die inhaltliche Grundlage für die Stiftung skizziert. Das Ganze ist leider von einer geradezu besorgniserregenden Lieblosigkeit geprägt. Nichts in Ihrem Konzept klingt so, als würden Sie junge Menschen adressieren. Dabei gäbe es viele interessante zivilgesellschaftliche Projekte zur demokratischen Bildung. Wohl hätte man mit denen mehr im Austausch sein müssen, anstatt zur Erarbeitung des Gesetzentwurfs einen Ministerialbeamten einsam an den Schreibtisch zu setzen. Sie adressieren anscheinend die klassischen Bildungsbürger als Zielgruppe, genauer gesagt: die guten alten BRD-Bildungsbürger; denn die ostdeutsche Demokratiegeschichte bleibt völlig unterbelichtet.

Dabei gibt es natürlich keine deutsche Demokratiegeschichte ohne die Friedliche Revolution von 1989/90 und ohne die ostdeutschen Orte der Demokratie, Orte wie die Nikolaikirche in Leipzig. Durch den Fokus auf die Orte der Repression wie die verschiedenen Stasizentralen wird zudem die Gelegenheit verpasst, die Orte der Opposition, der Bewegung der Gewaltfreiheit und Solidarität angemessen einzubinden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])

Die Friedliche Revolution war für viele Menschen in unserem Land die prägendste, die zentrale Demokratieerfahrung. Es muss Aufgabe dieser Stiftung sein, sicherzustellen, dass diese Demokratieerfahrung entsprechend gewürdigt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es ist traurig, was Sie aus diesem so wichtigen und großen Thema gemacht haben:

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Oh! Jetzt aber!)

eine schläfrige Veranstaltung.

(Marianne Schieder [SPD]: Oh je!)

Wenn von dieser Stiftung positive Impulse ausgehen sollen, reicht es nicht, Ereignisse und Orte aufzuzählen. Es braucht eine Idee, und die fehlt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Grundl. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)