Rede von Marlene Schönberger Personenstandsrecht

Marlene Schönberger MdB
29.09.2022

Marlene Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! In der vorliegenden Gesetzesänderung geht es um die Digitalisierung der Verwaltung und um einfachere und schnellere Prozesse in Standesämtern. Außerdem streichen wir die Angabe der Religionszugehörigkeit aus dem Personenstandsregister. Expertinnen und Experten sagen glasklar, dass es sie dort nicht braucht.

(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Richtig!)

Schon 1920, in der Weimarer Republik, strich das Parlament die Religionszugehörigkeit aus dem Personenstandsrecht.

(Marcel Emmerich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Denn diese Angabe überschreitet die Grenzen dessen, was ein Staat über seine Bürger/-innen wissen muss. Das Sammeln von Daten birgt immer die Gefahr, dass sie missbraucht werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute kämpft die Unionsfraktion weiterhin dafür, dass die Religion Teil des Personenstands bleibt. Herzlichen Glückwunsch, liebe Union! Sie hinken mehr als 100 Jahre hinterher.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das Streichen der Religion aus dem Personenstandsregister hat aber noch eine viel tiefer gehende Bedeutung. Wir haben uns als Koalition vorgenommen, ganz genau auf unser Rechtssystem zu schauen, um alle noch vorhandenen Spuren der NS-Ideologie aus unseren Gesetzen zu streichen.

(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU] gewandt: Hören Sie mal zu, Herr Kollege! Da können Sie noch was lernen! – Gegenruf des Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU]: Hätten Sie mal Herrn Professor Heinig zugehört! So ein Schwachsinn!)

Nachdem die Angabe der Religion 1920 gestrichen wurde, wurde sie 1937 durch die deutschen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten wieder eingeführt. Jüdische Menschen sollten gekennzeichnet werden. Bürokratie war Teil des antisemitischen Vernichtungssystems der Nazis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Naziverteidiger bei der CDU/CSU! Gibt es so was?)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Amthor zulassen?

Marlene Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein.

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Aha! Den Nachhilfeunterricht in Geschichte hätten Sie aber gut gebrauchen können!)

Nach 1945 erfolgte die Übernahme der Religionsangabe in das Personenstandsregister der Bundesrepublik, nicht aus antisemitischen Gründen, aber schlicht unreflektiert und weil es sehr gut zum konservativen Zeitgeist passte. Heute sind wir weiter. Wir beschließen eine späte, aber wichtige Korrektur.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion, in der von Ihnen einberufenen Anhörung haben wir die Geschichte der Religionszugehörigkeit im Personenstandsrecht erklärt bekommen. Wenn Sie schon eine Anhörung einberufen, dann schenken Sie den Expertinnen und Experten bitte auch Gehör!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Trotz aller begrüßenswerter Neuerungen, die wir einführen: Ich persönlich hätte mir mehr gewünscht. Noch immer werden queere Menschen im Personenstandsrecht benachteiligt.

Ein Beispiel: Jens und Daniel sind verheiratet und ziehen nach Frankreich. Wenn sie nachweisen möchten, dass sie verheiratet sind, erhalten sie vom deutschen Standesamt keinen korrekten französischen Auszug; sie müssen den deutschen selbst übersetzen lassen. – Jens und Daniela, ein Heteroehepaar, bekommen hingegen den französischen Auszug ohne Probleme. Das ist eine krasse Ungerechtigkeit, die wir dringend ausräumen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Nachbesserungsbedarf gibt es leider auch beim Datenschutz. Ein einfacherer Datentransfer, wie wir ihn heute beschließen, braucht mehr Sicherheit für die Bürger/-innen. Es muss zum Beispiel missbrauchssicher protokolliert werden, wer welche Daten wann wozu abfragt und einsehen kann; denn Datenschutz ist ein Grundrecht.

Trotz allem: Wir ersparen Bürgerinnen und Bürgern viel kostbare Lebenszeit, die sie sonst auf Standesämtern verbringen müssten. Wir bringen die Digitalisierung der Verwaltung voran. Wir streichen Überbleibsel nationalsozialistischen Unrechts aus unserem Rechtssystem. Wir gehen Richtung Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Philipp Hartewig [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie sollten sich fragen, in welche Richtung Sie gehen möchten. Stimmen Sie zu, und helfen Sie uns, dieses Gesetz gerechter zu machen!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Joana Cotar spricht für die AfD.

(Beifall bei der AfD)