Rede von Lamya Kaddor Politischer Islamismus
Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Keine Frage, ja, der Islamismus ist ein gravierendes Problem. Er ist nach wie vor ein ernstzunehmendes Phänomen in der Extremismusabwehr. Deshalb haben wir das als Bundesregierung im Blick.
Beim Kampf gegen den Islamismus, sowohl gegen den gewaltbereiten wie auch gegen den legalistischen, gibt es in Deutschland kein sonderlich großes Erkenntnisdefizit; es gibt ein Umsetzungsdefizit. Das hat vor allem finanzielle Gründe, die übrigens bereits unter Ihrer Regierung nicht ausreichend gewürdigt wurden. Daran kann ein Expertenkreis Politischer Islamismus nichts ändern.
Sogar aus dem Expertenkreis selbst kommen daher Stimmen – das wüssten Sie, wenn Sie sich einmal mit allen unterhalten würden –, die eine Fortsetzung für nicht sinnvoll erachten. Mitglieder erklären einem im Gespräch, die Arbeit in der Runde bringe einen nicht weiter,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Die Mehrheit will weitermachen!)
es müsse mehr in die Umsetzung von Prävention und Deradikalisierung, in Gefängnisseelsorge, in Militärseelsorge, in die strukturelle Förderung progressiver islamischer Organisationen als Religionsgemeinschaft, beispielsweise auch die Anerkennung, investiert werden. Doch davon ist in den letzten Jahren, wenn ich mich richtig erinnere, kaum etwas passiert. Wir drehen uns seit Jahrzehnten in diesen Fragen praktisch im Kreis.
Dass nun ausgerechnet die Union mit dem mahnenden Zeigefinger um die Ecke kommt – wenn es nicht so bitter wäre, würde ich tatsächlich lachen. War es nicht die CDU-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die noch letztes Jahr auf Biegen und Brechen die Zusammenarbeit mit DITIB beim islamischen Religionsunterricht durchgedrückt hat, allen Bedenken zum Trotz? War es nicht Ihre Landesregierung, die sich mit Händen und Füßen dagegen gewährt hat, der DITIB wenigstens liberale Vereine entgegenzusetzen?
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Da hat sie einen Punkt!)
Ich kann Ihnen die Antworten geben; ich war schließlich selbst dabei. Und waren es nicht die CDU- und CSU-geführten Bundesministerien, die von Anfang an die Deutsche Islam Konferenz auf die vier großen umstrittenen Islamverbände ausgerichtet hat? Wen wollen Sie hinter die Fichte führen? Der einzige Hoffnungsschimmer ist, dass man in Nordrhein-Westfalen endlich einen anderen Kurs einschlägt und zumindest prüft, weitere islamische Vertretungen in die Kommission Islamischer Religionsunterricht einzubeziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Sicherheitsbehörden sind in den letzten 20 Jahren aus gutem Grund für den Kampf gegen den Islamismus aufgerüstet worden.
(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Unter der Union!)
Jede Behörde hat inzwischen Expertinnen und Experten. Islamwissenschaftlerinnen und Islamwissenschaftler haben hier seit 2001 ein zentrales Berufsfeld gefunden. 20 Jahre mediale Dauerbeschallung haben zudem dafür gesorgt, dass wohl alle Beamtinnen und Beamte für die Gefahren des Islamismus sensibilisiert sind, manche sogar übersensibilisiert.
Ganz anders ist das bei den anderen Formen des Extremismus. Deutlich zu kurz gekommen ist in den letzten 20 Jahren etwa die Frage der Islamfeindlichkeit. Und schon seit Bestehen der Bundesrepublik absolut unterbelichtet sind die Gefahren des Rechtsextremismus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Warum? Auch weil es die Union über Jahrzehnte in Regierungsverantwortung versäumt hat, dies in den Blick zu nehmen.
(Christoph de Vries [CDU/CSU]: 200 Lehrstühle!)
Deshalb ist es Aufgabe dieser Bundesregierung, Ihre Versäumnisse aufzuarbeiten. Dass Sie nun den Expertenkreis Politischer Islamismus gegen den Expertenkreis Muslimfeindlichkeit ausspielen wollen und hier von Ungleichbehandlung sprechen, entlarvt Sie und zeigt, dass es Ihnen am Ende nicht um die Sache geht.
Islamismus und Islamfeindlichkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Sie bedingen und begünstigen einander. Nach 20 Jahren haben Sie das leider immer noch nicht verstanden; denn sonst hätten Sie den Weiterbestand beider Expertenkreise gefordert.
(Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])
– Dass Sie sich angesprochen fühlen, ist klar. Aber ich komme gleich noch zu Ihnen.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Damit gefährden Sie von der Union auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das konnten wir bei der Expertenanhörung, die wir hier vor etwa einem Monat hatten, lernen. Von dort kam daher der dringliche Appell, sich endlich des Themas der Finanzierung unabhängiger deutscher Moscheegemeinden anzunehmen. Da sehe ich seit Jahren leider keinen konstruktiven Vorschlag von Ihnen.
An dieser Stelle überschneidet sich Ihr Antrag auch mit dem der AfD. Der ist, wie sollte es auch anders sein, im Geiste der Menschenfeindlichkeit geschrieben.
(Jochen Haug [AfD]: Oh!)
Islamfeindlichkeit gehört bekanntlich zum Gründungsmythos dieser Partei,
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Quatsch!)
die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde.
(Beifall des Abg. Julian Pahlke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Götz Frömming [AfD]: Ja, das scheint Sie zu freuen!)
Was die AfD jetzt in ihrem Antrag macht, kann man schon seit Jahren beobachten. Sie versucht, ihre Menschenfeindlichkeit unter dem Deckmantel einer Gefahrenabwehr zu verstecken, um ihr Gift der Ausgrenzung unbemerkt in der Gesellschaft zu verteilen und wirken zu lassen.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Spalten, hetzen, verharmlosen!)
Deshalb braucht es ein demokratisches Antidot. Ihre Instrumentalisierung der wirklich ernsten Gefahren des Islamismus für Ihre ideologischen Ziele ist nicht nur zynisch, sie ist erbärmlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: Wir sind hier das demokratische Korrektiv!)
Sie ist ein Schlag ins Gesicht jedes Opfers von Islamismus. Denn sie zeigt: Wenn es Ihnen um eine Gruppe eben nicht geht – eben nicht geht! –, dann um die Opfer islamistischen Terrors.
(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Waren Sie mal in Ludwigshafen?)
– Den Spruch, dass ich irgendwelche Opfer in Ludwigshafen fragen soll, können Sie hundertmal bringen.
(Martin Hess [AfD]: Ja!)
Es ist so etwas von zynisch und geschmacklos! So etwas habe ich selten gehört;
(Martin Hess [AfD]: Die Realität schmerzt, das kann ich mir vorstellen!)
aber ich bin von Ihnen leider auch nichts anderes gewohnt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Kein Wunder! Bekanntlich sind weltweit die meisten Opfer von Islamisten ja Musliminnen und Muslime. Dann schaut man halt lieber nur auf die Täter; das ist einfach.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Ihre Verharmlosung ist schuld daran, was auf der Kölner Domplatte und andernorts passiert ist! Alles hohle Phrasen!)
Als neuesten Deckmantel haben Sie sich nun den politischen Islamismus von der Kleiderstange des Agitationsschranks genommen. Sie wollen vor allen Dingen deshalb über den politischen Islamismus sprechen, weil der Begriff so schön wachsweich ist,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Der ist knallhart!)
weil seine Grenzen verschwimmen und sich staatsrechtlich nicht fassen lassen. Das eröffnet Ihnen nämlich die Möglichkeit, ihn auf alle Menschen und Gruppierungen anzuwenden, die sich in Ihren Augen zu stark zum islamischen Glauben oder auch zur islamischen Glaubenspraxis bekennen. Und das ist ganz einfach antidemokratisch.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: So ein Unsinn!)
Inhaltlich kann ich daher nichts mit diesem Antrag anfangen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Bernd Baumann das Wort.
(Beifall bei der AfD)