Rede von Marcel Emmerich Polizeiliche Analyse-Software

Marcel Emmerich MdB
01.12.2023

Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nach so einer AfD-Rede am Freitagnachmittag freut man sich immer richtig aufs Wochenende.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Götz Frömming [AfD]: Sehen wir auch so!)

Zum Antrag der Union. Es besteht doch überhaupt kein Zweifel daran, dass die polizeiliche Ausstattung in jeder Dienststelle in diesem Land im 21. Jahrhundert ankommen muss. Und dazu gehören ein sauberer und rechtssicherer Informationsaustausch und auch wirklich gute Analytik-Tools. Das ist vollkommen klar. Und darum kümmern wir uns auch.

(Beifall der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber in einer Zeit, in der digitale Technologien unsere Gesellschaft durchdringen, ist es unerlässlich, kritisch über die Hersteller und die Funktionen solcher Systeme nachzudenken, gerade wenn sie potenziell tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Privatsphäre und individuellen Freiheiten haben können.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Sie haben erst mal alles gestoppt!)

Die Erfahrung hat nun mal gezeigt, dass solche Systeme die klassische Polizeiarbeit durch automatisierte und gar auf künstlicher Intelligenz beruhende Mechanismen der Datenauswertung und -erhebung nicht ersetzen können. Und deswegen: Vorsicht an der Bahnsteigkante!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn man wissen möchte, wie man es nicht macht, dann hilft aktuell mal wieder ein Blick nach Bayern. Das dortige Landeskriminalamt testet diese Analysesoftware schon seit einigen Monaten mit Echtdaten von Personen. Dabei wurde nicht einmal der Landesbeauftragte für Datenschutz eingebunden. Im Gegenteil: Er hat erst durch den Bayerischen Rundfunk davon erfahren.

(Sebastian Hartmann [SPD]: Gut, dass es den Bayerischen Rundfunk gibt!)

Und er bezweifelt auch sehr stark, dass es dafür eine Rechtsgrundlage gibt. Wenn die Polizei jetzt im Testbetrieb auf Straftaten stößt, muss sie dem zwar nachgehen, steht dann aber vor einem großen rechtlichen Schlamassel und könnte dann rechtswidrig handeln.

(Dr. Christian Wirth [AfD]: Das ist bei Ihnen nichts Neues, rechtswidrig zu handeln!)

Professor Mark Zöller von der LMU München sagt sehr klar:

„Wenn es um Datenverarbeitung und die Polizei geht, dann muss man entsprechende Ermächtigungsgrundlagen im Polizeirecht selber schaffen und darf nicht auf irgendeine Querschnittsmaterie wie zum Beispiel das allgemeine Datenschutzrecht ausweichen.“

Das ist also ganz, ganz dünnes Eis, auf dem sich die CSU in Bayern bewegt. Das ist verantwortungslos, auch gegenüber den Sicherheitsbehörden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Das sicherste Bundesland! – Gegenruf des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]: Aber Recht und Gesetz gelten auch in Bayern!)

Auch sonst ist Palantir aus gutem Grund hoch umstritten. Die Software gefährdet Grundrechte; das haben Sie mal eben so beiseitegewischt. Das erfährt man, wenn man sich die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes anschaut. Man darf sich nicht immer nur selektiv Bundesverfassungsgerichtsurteile raussuchen, sondern muss schon alle berücksichtigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Sebastian Hartmann [SPD])

Der Nutzen wird auch von Sicherheitsbehörden infrage gestellt. Nicht umsonst hat Europol den Einsatz von Palantir beendet. Auch in Hessen – das kann ich den Kolleginnen und Kollegen von der SPD jetzt leider nicht ersparen –

(Sebastian Hartmann [SPD]: Bis jetzt war Ihre Rede gut!)

sieht man gerade sehr gut, was mit den Bürgerrechten passiert, wenn eine GroKo regiert; denn in Hessen wird die Anwendung der Palantir-Software ausgebaut.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Hartmann [SPD]: Die GroKo ist nicht schlecht!)

Das ist hoch umstritten. Da kann man Ihnen wirklich nur eine gute Reise wünschen.

Diese Software – das will ich noch einmal ganz klar sagen – operiert in einem undurchsichtigen Bereich, in dem Algorithmen und Datenanalysen über das Schicksal von Personen entscheiden. Die Gefahr, dass persönliche Daten missbraucht oder falsch interpretiert werden, ist real.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Datenschutz für Terroristen!)

Algorithmen sind eben nur so gut wie die Daten, auf denen sie basieren. Und wenn diese Daten verzerrt oder unvollständig, in irgendeiner Art und Weise schlicht fehlerhaft sind, dann kann dies dazu führen, dass unbescholtene, unschuldige Bürgerinnen und Bürger fälschlicherweise ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten. Das darf auf keinen Fall passieren. Deswegen müssen wir sehr genau hinschauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Haben Sie mal gesehen, wie das Ganze funktioniert? Ich glaube, nicht!)

Sie haben in Ihrem Antrag argumentiert, man müsse das auch vor dem Hintergrund der Zeitenwende einführen. Ich sage Ihnen, warum es gerade aufgrund der Zeitenwende sehr wichtig ist, das alles sehr sorgfältig zu prüfen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten müssen wir uns als souveräner Staat immer fragen: Kann es wirklich im Interesse unserer Souveränität und Sicherheit sein, eine so wichtige Säule unserer nationalen Sicherheit einem Unternehmen zu überlassen, das möglicherweise nicht denselben Werten und Rechtsstandards unterliegt wie wir? Es ist ein außereuropäisches Unternehmen – Kollege Hartmann hat es ausgeführt –, und es wurde von einem rechten Hetzer gegründet. Deswegen geht es hier um eine Frage der Unabhängigkeit und der Verantwortung, die wir tragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser Ziel ist, eine Anwendung auf den Weg zu bringen, die herstellerunabhängig ist, die wir selbst entwickeln und bereitstellen. Das hat nicht nur den Vorteil, dass sie flexibel erweitert und angepasst werden kann, sondern auch, dass sie in staatlicher Hand liegt und den rechtsstaatlichen Standards unseres Landes genügt. Das sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig. Wir setzen uns ein für Demokratie und Sicherheit. Darum kümmern wir uns.

Zu guter Letzt noch ein herzliches Dankeschön an das Bundesinnenministerium dafür, dass Sie das auch so sehen und die Benutzung von Palantir bei BKA und Bundespolizei gestoppt haben. Das ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, der individuellen Freiheit und der Sicherheit.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Sebastian Hartmann [SPD] – Sebastian Hartmann [SPD]: Gut, dass die SPD regiert!)