Rede von Ulle Schauws Queere Opfer nationalsozialistischer Verfolgung

Foto von Ulle Schauws MdB
26.01.2023

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum ersten Mal werden wir morgen hier im Hohen Haus der Menschen der LSBTIQ-Community gedenken, die im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Nach fast 80 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist das nicht nur für queere Menschen ein sehr besonderer Moment, sondern einer, auf den viele engagierte und queere Verbände mit uns lange hingearbeitet haben. Wir alle wissen, dass dies jetzt durch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ermöglicht wird. Danke dafür! Ich erlaube mir, hier zu sagen: Dass die queeren Opfergruppen, die in KZs umgebracht wurden, hier lange ignoriert wurden, hat Wunden hinterlassen.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Statt diesem historischen Ereignis seine Wichtigkeit zu lassen und allen, wirklich allen queeren Opfern des NS-Regimes gleichermaßen zu gedenken, legt Die Linke hier einen Antrag vor, der eine kontroverse Fokussierung auf homosexuelle Männer vornimmt. In der Rede war das jetzt anders. Aber das irritiert dennoch ein wenig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kein queerer Mensch hatte ein leichtes Leben nach Ende des Krieges – in keinem der beiden deutschen Staaten. Der § 175 StGB kriminalisierte schwules Leben in der BRD. Und der § 151 StGB in der DDR regelte, dass gleichgeschlechtlicher Sex bis zum Alter von 18 Jahren bestraft wurde; das galt genauso für Frauen.

Darum sage ich es in aller Klarheit: Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass für Lesbische, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intermenschen die Verfolgung und Diskriminierung 1945 nicht endete, dann ist genau darum diese morgige Gedenkstunde ein so wichtiger Meilenstein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber unabhängig von der damaligen staatlichen Verfolgung erleben wir bis heute die Kontinuitäten, die eine queerfeindliche Haltung in Gesellschaft und Politik hinterlassen haben. Bis heute wird zwei Müttern die rechtliche Elternschaft wie bei Heteropaaren abgesprochen. Das menschenverachtende Transsexuellengesetz ist noch in Kraft, und Hasskriminalität gegen LGBT steigt an. Es ist höchste Zeit, Queerpolitik für unsere offene Gesellschaft besser zu machen: mit einem Abstammungsrecht, in dem Kinder von Geburt an zwei rechtliche Eltern haben, egal welchen Geschlechts,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

mit einem diskriminierungsfreien Selbstbestimmungsgesetz und mit einem Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem der Schutz der sexuellen Identität steht. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, lassen Sie uns diesen Artikel 3 hier gemeinsam beschließen. Wir waren in der letzten Wahlperiode schon mal an diesem Punkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU])

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, morgen bekommt endlich die letzte von den Nazis verfolgte Opfergruppe den Raum, den sie verdient hat. Viele Opfer leben nicht mehr. Aber stellvertretend die Andenken hochzuhalten und die Rechte queerer Menschen zu stärken, muss unser Auftrag sein.

Einer der eindrücklichsten Momente meiner politischen Arbeit war mein Besuch im ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau. Das Ausmaß dieser menschenverachtenden Verfolgung bleibt für mich der größte Motor, diese Gräueltaten nie in Vergessenheit geraten zu lassen. Also, tun wir das!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Schauws. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Brandner, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)