Rede von Awet Tesfaiesus Queere Opfer nationalsozialistischer Verfolgung

Awet Tesfaiesus MdB
26.01.2023

Awet Tesfaiesus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Kriminalisierung und Ausgrenzung queerer Menschen gehörte zu den beschämendsten Kontinuitäten unserer Geschichte. Ihren traurigen Höhepunkt erlebte die Verfolgung in der NS-Zeit, als queere Menschen verurteilt und in KZs ermordet wurden. Und: Für queere Menschen war nach dem Faschismus 1949 kein Neuanfang, sondern die Fortsetzung des Leids in einem anderen Gewand.

In der Bundesrepublik – auch in der DDR – wurden queere Menschen weiter ausgegrenzt und bestraft, und das, obwohl das frisch verabschiedete Grundgesetz die Grundrechte und die Würde des Menschen als höchstes Gut ganz nach vorne stellte. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1957 wurde mit rechtlichen Verrenkungen versucht, die Kriminalisierung der männlichen Homosexualität zu rechtfertigen. Auch unser höchstes Gericht versagte in diesem Punkt. Der Kampf gegen diese Ungerechtigkeiten war und ist einer unserer großen gesellschaftlichen Kämpfe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Mein Dank gilt allen, die sich unermüdlich für Aufarbeitung und Rehabilitierung eingesetzt haben. Dass wir morgen in der zentralen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag aller queeren Opfer gedenken, ist die Erfüllung einer langen Forderung und ein historischer Moment.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Erinnern ist wichtig, aber Handeln für die Zukunft ebenso. Durch ein Gesetz zur sexuellen und geschlechtlichen Selbstbestimmung werden wir uns von der Zeit verabschieden, in der der Staat Menschen vorschrieb, welches Geschlecht sie haben. Wir haben einen Queer-Beauftragten ernannt, und dieser koordiniert den Aktionsplan „Queer leben“, der sich für Maßnahmen zu Themen wie Sicherheit, Gesundheit, aber auch Erinnerungsarbeit starkmacht. Wir setzen uns für queere Geflüchtete ein und fordern sie nicht zynisch auf, ihre Identität im Heimatland nicht auszuleben.

Aber Diskriminierung gibt es weiterhin. Selbst unser Grundrechtskanon konnte dies bisher nicht verhindern. Deshalb werden wir als Ampel bei den Diskriminierungsverboten in Artikel 3 des Grundgesetzes die sexuelle Identität ausdrücklich mit aufnehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es gibt dennoch viel zu tun. Lassen Sie uns dranbleiben!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)