Rede von Stefan Gelbhaar Radverkehr

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17.01.2020

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Reform des Straßenverkehrsrechts war und ist überfällig. Die jetzt vorgelegte Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung ist jedoch inhaltlich ungenügend und mit handwerklichen Mängeln übersät. Das ist enttäuschend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über 100 Änderungsanträge im Bundesrat! Die Opposition, aber auch die Kolleginnen und Kollegen der Koalition haben mit Anträgen auf Änderungsbedarf hingewiesen, und die Szene hat ebenfalls ausgearbeitete Vorschläge vorgelegt. Dem Verkehrsministerium sei gesagt: Gutes Regieren besteht auch darin, die Augen zu öffnen und Hilfe anzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich verstehe das schon: Bis hierhin ist noch kein Verkehrsminister von SPD, CDU oder CSU jemals vorgestoßen. Nach jahrzehntelangem Stillstand liegt die Messlatte enorm niedrig. Aber für Lob reichen bunte Bilder mit Helmen oder schöne Worte zum Fahrrad nicht. Sie müssen endlich liefern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht enttäuscht Sie das irgendwie; aber Herr Staatssekretär Ferlemann hat jüngst in einer Fragestunde gesagt, die fahrradfreundliche Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung machten Sie ja nur wegen uns – gemeint waren die Grünen. Sei’s drum! Mir geht es aber darum, dass Sie das nicht halbherzig machen; denn es ist enorm relevant, etwa in Sachen Verkehrssicherheit und Abbiegeunfälle. Sie machen nur das, was den Autoverkehr nicht einschränkt, beispielsweise beim Abbiegeassistenten. Da haben Sie einen Aufkleber designt. Sie haben minimale Beträge für die Nachrüstung bereitgestellt; sie reichen nicht mal für 1 Prozent der Lkws. Dass Lkws mit Schrittgeschwindigkeit abbiegen sollen, haben Sie aus unserem Antrag übernommen – okay! Dass Schrittgeschwindigkeit für Sie aber bis zu 11 km/h sein sollen, ist irre. Zeigen Sie mir das mal.

(Heiterkeit der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So verhindern Sie nicht, dass immer wieder Menschen bei diesen Unfällen sterben oder schwer verletzt werden. Das muss aber unser Ziel sein.

Dass Minister Scheuer nun lamentiert, dass ein besserer Schutz wegen der EU nicht geht, kann ich – ganz ehrlich – nicht mehr hören. Haben Sie denn keine Juristin, haben Sie keinen Juristen, der Ihnen das mal ordentlich aufschreibt? Bessern Sie das nach.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat es nicht so mit Juristen!)

Warum fehlen die Verkehrssicherheitszonen in der Straßenverkehrs-Ordnung? Führen Sie das endlich ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lkws ohne Abbiegeassistent dürfen dann nicht mehr in diese Gebiete einfahren. Das geht – das ist belegt –, und das würde menschliches Leben retten.

Die wichtigste Verbesserung für mehr Verkehrssicherheit sucht man genauso vergebens: Tempolimits – 130 auf der Autobahn, aber eben auch, Herr Storjohann, regelmäßig Tempo 30 in den Städten. Die Wissenschaft hat das dutzendfach belegt: Geringere Geschwindigkeiten führen zu weniger schweren Unfällen. Sie ignorieren das

(Kirsten Lühmann [SPD]: Steht doch drin!)

und planen weiter Menschen als Kollateralschäden ein. Das ist menschenfeindlich, und da kommt Andreas Scheuer seiner Schutzpflicht nicht nach.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß, dass das in Ihrem Koalitionsantrag angelegt ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, Sie fordern Vision Zero, Sie fordern Tempo 30. Das Verkehrsministerium sieht bei diesen Punkten bloß keinen Handlungsbedarf – das haben Sie in der Antwort auf die schriftliche Anfrage noch mal klipp und klar erklärt. Deswegen: Sprechen Sie von der Koalition mit Ihrem Minister. Nehmen wir die Bundesregierung da zusammen in die Pflicht – als Parlament.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder einen neuen Minister einsetzen!)

Aber das ist es ja nicht alleine: In der Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung finden sich massive, teilweise schon kuriose handwerkliche Fehler. Das Ding ist einfach nicht sauber gearbeitet. Zum Beispiel hat der Verkehrsminister Bußgelderhöhungen von bis zu 100 Euro versprochen. 100 Euro werden nun bei einem skurrilen, neuen Tatbestand fällig, und zwar: Unzulässig in zweiter Reihe gehalten – mit Sachbeschädigung. – Das ist ja der Standardfall, dass ein stehendes Fahrzeug andere Sachen beschädigt. Aber gut!

Noch besser finde ich das: Sie haben das Bußgeld für Parken in zweiter Reihe bei weiterhin maximal 35 Euro belassen. Das Parken in zweiter Reihe wäre damit künftig billiger als das Halten in zweiter Reihe. Also ein Tipp: immer ganz schnell raus aus dem Auto – sofort 20 Euro gespart. Das ist absurd.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Guter Trick!)

Das Ministerium hat diese Schlampigkeit jetzt auch schon eingeräumt. Leider gibt es diverse weitere solcher Beispiele. Daher sage ich: Diese Novelle muss dringend stringent überarbeitet werden, insbesondere beim Bußgeldkatalog. Das ist, ehrlich gesagt, nicht der Job des Parlaments; das ist der Job des Ministeriums, das ist im Zweifel der Job des Bundesverkehrsministers Scheuer. Es reicht eben nicht, drei Punkte für die Zeitung aufzuschreiben. Deswegen: Nacharbeiten!

Die Koalition – jetzt kommen wir zu Ihrem Antrag – lobt die Novellierung des Bußgeldkataloges trotzdem. Wahrscheinlich haben Sie den nicht vollständig gelesen. Dafür wollen Sie noch etwas einführen. Ich zitiere – Herr Wagner hat es schon angesprochen –: „Bußgelder für Verstöße gegen die Straßenverkehrs-Ordnung“ sollen „auch für Radfahrende erhöht werden“.Ich finde, dass das im Rahmen einer Novelle für eine fahrradfreundliche Straßenverkehrs-Ordnung schon hart verdreht ist. Wenn Sie da wirklich tätig werden wollen, dann empfehle ich Ihnen, sich in die Kommunen zu begeben und sich dort umzuschauen. So wurde zum Beispiel in Berlin eine Fahrradstaffel eingeführt. Das hat maßgeblich etwas gebracht.

(Dr. Christoph Ploß [CDU/CSU]: Die Berliner Verkehrspolitik als Vorbild!)

Das, was Sie hier aufgeschrieben haben, ist, ehrlich gesagt, nur billiger Stammtisch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir schon beim Thema Stammtisch sind: Die Idee, Autos auf Busspuren zu schicken, ist auch nur ein weiteres Geschenk an die Autolobby, sonst gar nichts. Damit verschlechtern Sie nicht nur die Bedingungen für das Fahrrad, sondern auch die Bedingungen für den Bus. Das ist doch offensichtlicher Quatsch. Darüber sollten wir doch hier endlich einmal Einigkeit erzielen: Weg damit!

Ich mache noch einmal für mich, aber auch für meine Fraktion klar: Wir freuen uns auch über minimale Verbesserungen, über die Regelung von Fahrradzonen oder die Einführung von Grünpfeilen. Alles ist besser als nichts. Aber dafür bekommen Sie keinen Applaus. Diese Reform der StVO atmet weiter den Geist der Autoideologie. Rad- und Fußverkehr werden so auch weiterhin massiv benachteiligt sein, und das, Herr Jung, muss sich ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe es schon einmal gesagt, sage es aber gerne wieder: Das Verkehrsministerium ist aus meiner Sicht das beste Ministerium im Kabinett, wenn man es denn hätte. Sie könnten da das Leben von Menschen maßgeblich verbessern, teilweise retten. Dafür müssten Sie aber das Verkehrsrecht konsequent umschreiben. Deswegen sage ich noch einmal in Richtung Verkehrsministerium: Legen Sie endlich ein Bundesmobilitätsgesetz vor! Richten Sie Mobilität konsequent an Menschen aus, an Klima- und Umweltschutz und an der Verkehrssicherheit! Dann bekommen Sie von mir und von uns auch einen verdienten Applaus.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat Dr. Christoph Ploß für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)