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12.01.2022

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Seitz, der einzige Beitrag zur Rechtspolitik, den ich in Ihrer Rede erkannt habe, war der, dass Sie eine Parallele aufgezeigt haben zwischen einem Gerichtssaal und dem Plenarsaal, nämlich die, dass jede noch so abseitige Meinung irgendwie vorgetragen werden darf, aber gleichzeitig diejenigen, die versuchen, mangelnde inhaltliche Substanz durch Lautstärke und Frechheit zu ersetzen, am Ende eben nicht recht bekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Dingen, die unser solidarisches Zusammenleben sichern – der Justizminister hat es gleich eingangs gesagt –, gehört natürlich auch das Recht. Es gehört zum Fundament unserer freiheitlichen Demokratie. Eine Demokratie ohne Rechtsstaat ist wenig wert. Beides gehört zusammen.

In öffentlichen Debatten ist immer wieder einmal von der vollen Härte des Rechtsstaates die Rede. Die ist sicherlich auch manchmal notwendig. Aber der Begriff des Rechtsstaates entstand ursprünglich in Abgrenzung zu absoluten Monarchien und ähnlichen Regierungsformen. Das Recht begrenzt gerade die Macht des Staates, in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger einzugreifen.

Deshalb wird es auch ein Zeichen der Stärke des Rechtsstaates sein, wenn diese Ampelkoalition endlich die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Überwachungsgesamtrechnung vornehmen wird; der Justizminister, Kollege Emmerich und andere haben es schon angesprochen. Die zahlreichen Eingriffe, die die Sicherheitsgesetze in den vergangenen Jahren ermöglicht haben, werden dann endlich auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzt werden,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

und die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, Frau Lindholz, wird dann nicht nur formalrechtlich, sondern auch tatsächlich der Vergangenheit angehören und durch grundrechtsschonende Verfahren wie Quick Freeze ersetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es stärkt auch den Rechtsstaat, wenn wir das Strafrecht von Ballast befreien und auf seinen Kern begrenzen. Im Strafrecht stehen in der Regel der Täter und die Tat im Mittelpunkt. Trotz Verbesserungen in den letzten Jahren gibt es aber vor allem im Bereich der Unterstützung der Opfer weiterhin Verbesserungsbedarf. Diese Ampelkoalition wird Lücken im Opferentschädigungsrecht endlich schließen. An dieser Stelle möchte ich gerne dem Kollegen Pascal Kober ganz herzlich zu seiner neuen Aufgabe als Beauftragter für Opferschutz gratulieren. Ich wünsche Ihnen eine gute Hand, Herr Kollege!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Besonders schlimm ist es – das haben Sie zu Recht angesprochen –, wenn Kinder Opfer von Straftaten werden. Diese Koalition wird den Kampf gegen Kindesmissbrauch verstärken durch Verfahren wie Quick Freeze, durch eine verbesserte Zusammenarbeit der Behörden und vor allem auch dadurch, dass wir sicherstellen werden, dass die Justiz an allen Stellen kindgerecht und sensibel agiert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, „Schuld, die nicht vergeht“ lautet der Titel des lesenswerten Buches von Kurt Schrimm, dem früheren Leiter der Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen. Weil diese Schuld nie vergeht – es laufen noch NS-Verfahren –, werden wir im Einvernehmen mit allen Landesjustizministerinnen und ‑ministern die Zentrale Stelle zu einer Dokumentationsstelle umwandeln.

Die AfD und ihr Umfeld haben ausdrücklich erklärt, auf die Wehrmacht stolz sein zu wollen. Wir – da weiß ich die Union und Die Linke mit eingeschlossen – sind stolz auf die Arbeit der Juristinnen und Juristen, die es sich seit über 70 Jahren zur Aufgabe gemacht haben, die NS-Verbrechen juristisch zu ahnden, Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Auf diese Juristen wollen wir stolz sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Das Recht als Fundament unserer freiheitlichen Demokratie ist jedoch ebenso wenig statisch, wie es unsere Gesellschaft ist. Dort, wo Gesetze und Verordnungen nicht mehr angemessen sind, nicht mehr den Realitäten des menschlichen Zusammenlebens entsprechen, liebe Kollegin Lindholz, müssen wir sie anpassen. Das gilt, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, insbesondere im Familienrecht.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Dann schauen Sie mal schön ins Grundgesetz rein!)

Es hat in den letzten Jahren bereits bedeutende Änderungen gegeben, Frau Lindholz, etwa die Einführung der Ehe für alle – also für alle, die wollen, natürlich –,

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

aber wichtige Dinge sind leider liegen geblieben, die diese Ampelkoalition nun entschlossen angehen wird.

Da ist in der Tat die Verantwortungsgemeinschaft. Es ist doch letztlich im Interesse von uns allen, im Interesse der Gesellschaft, wenn Menschen erklären: Wir wollen füreinander einstehen, wir wollen Verantwortung füreinander übernehmen,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das können sie doch jetzt schon!)

und wir wollen das auch rechtlich festlegen.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das geht doch alles jetzt schon!)

Es ist doch im Interesse der Gesellschaft und stärkt Familien auch und gerade im Sinne des Grundgesetzes, wenn wir auch Patchworkfamilien rechtlich besser absichern, rechtlich besserstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das geht doch jetzt alles schon! Das ist doch echter Quatsch!)

Das Beste ist doch: All das nimmt wirklich niemandem etwas. Herr Buschmann, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das betont haben. Frau Lindholz, wovor haben Sie denn eigentlich Angst?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Es geht nicht ums Wegnehmen! Gucken Sie ins Grundgesetz rein!)

Sie haben in Ihren Ausführungen nicht an einer Stelle darlegen können, wem eigentlich Schaden dadurch zugefügt werden könnte, dass wir als Fortschrittskoalition die Möglichkeiten im Familienrecht erweitern wollen.

Wir werden ebenfalls das Abstammungsrecht reformieren. Was für die rechtliche Vaterschaft gilt, muss auch für die rechtliche Mutterschaft gelten. Wer bei Geburt verheiratet ist, der muss rechtlich als Eltern gelten. Sie wissen, dass dazu ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht liegt. Gute Rechtspolitik wartet nicht immer auf Karlsruhe, wie es in der Vergangenheit viel zu oft der Fall war. Gute Rechtspolitik handelt!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Rechtsstaat ist keine rein nationale Angelegenheit. Deshalb ist es ein zentrales Anliegen der Koalition, die europäische Zusammenarbeit im justiziellen Bereich zu stärken sowie Eurojust und die Europäische Staatsanwaltschaft stärker zu unterstützen. Wir wollen den Whistleblower-Schutz – eine EU-Richtlinie, die eigentlich Sie schon hätten umgesetzt haben müssen – endlich in deutsches Recht umsetzen. Wir werden den kollektiven Rechtsschutz ausbauen. Menschen müssen sich leichter als bislang zusammenschließen können, um gemeinsam ihre individuellen Rechte geltend zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Alles auf Neustart – Rechtspolitik in der 20. Legislaturperiode“ war gestern der Titel einer Veranstaltung beim Deutschen Anwaltsverein, wo auch viele von uns waren. Ich finde, er ist sehr passend für die Vorhaben in der Rechtspolitik. Wie Sie sehen, gibt es in diesem Bereich sehr viel zu tun. Ich freue mich auf die Debatten im Rechtsausschuss und auf die rechtspolitischen Debatten hier im Plenum.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. – Als nächste Rednerin erhält für die Linke-Fraktion Amira Mohamed Ali das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)