Rede von Omid Nouripour Rechtsterroristischer Anschlag in Hanau

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05.03.2020

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Am 29. Mai 1993 verlor Mevlüde Genç beim rassistischen Brandanschlag in Solingen zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. Jahre später fasste sie ihre Lehren daraus zusammen in folgenden Worten: „Liebe lässt den Menschen leben, aber der Hass bringt den Tod.“ Ja, Rassismus tötet, Hass tötet. Gewinnt der Hass, stirbt die Demokratie. Dies zu verhüten, ist die wichtigste Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir sind heute hier, um über die Frage zu beraten, die mir der Vater eines der Opfer letzte Woche in Hanau gestellt hat: Wann hört dieser Wahnsinn auf? Wie lange noch müssen Menschen sterben, weil sie Muslime oder Aleviten, Türken oder Kurden, Afghanen oder Roma sind?

(Zuruf von der AfD: Deutsche!)

Wie lange müssen wir uns anhören, Menschen, die seit vier Generationen in Deutschland leben, seien Fremde? Wie lange muss die Mutter eines getöteten jungen Mannes das Gefühl haben, statt trauern zu dürfen, rechtfertigen zu müssen, ihr Sohn sei doch so gut integriert gewesen, er habe doch eine Arbeit gehabt?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie oft wollen wir als Politik Reden halten wie nach den Toten von Mölln, Solingen, Dessau, Nürnberg, Heilbronn, Kassel, Magdeburg, Halle, Wolfhagen oder Hanau? Wir sind den Angehörigen der Opfer eine Antwort schuldig, und nach jedem neuen Opfer des Rassismus wird diese Antwort überfälliger.

Meine Damen und Herren, in den letzten 30 Jahren haben in unserem Land mindestens 200 Menschen aufgrund rechtsextremer und rassistischer Gewalttaten ihr Leben verloren, und das ist nur die traurige Spitze des Eisberges. Es gibt tagtäglich Angriffe auf Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslime, auf Synagogen, auf Moscheen, auf Menschen anderer Herkunft. Hass und Rassismus machen unsere Gesellschaft krank und säen Zwietracht. Dagegen braucht es einen Aufstand der Anständigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin froh um jede Stimme der Solidarität in diesem Land, jede gereichte Hand für Demokratie und Zusammenhalt, für den Schulterschluss der Demokratinnen und Demokraten. Aber es braucht jetzt vor allem einen Aufstand der Zuständigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen Institutionen, die aufstehen gegen Rassismus. Dies tun dankenswerterweise schon viele: bei der Polizei, bei der Bundeswehr, in der Justiz und in der Verwaltung, aber dies müssen alle tun, die dem Schutze unseres Landes und unseres Grundgesetzes verpflichtet sind. Das ist derzeit leider nicht der Fall.

Es ist gut, dass es jetzt einen Kabinettsausschuss gibt, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Ich begrüße herzlich die Vertreterinnen und Vertreter der Verbände der Migrantenselbstorganisationen auf der Tribüne. Gerade bei einem Kabinett, in dem kein einziges Mitglied irgendeinen Migrationshintergrund hat, werden sie ganz genau draufschauen, was der Kabinettsausschuss bringt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin froh, dass der Generalbundesanwalt so klar von Rassismus spricht. Nach der rassistischen Hetzjagd von Chemnitz sprach der Innenminister noch von der Migration als der „Mutter aller Probleme“. Das sind Äußerungen, die Menschen mit einer Migrationsgeschichte immer wieder das Gefühl geben, ihren Wert und ihren Platz in der Gesellschaft beweisen, ja rechtfertigen zu müssen. Aber sollte es nicht anders sein? Sollten nicht Rassisten, Antisemiten, Homophobe, Sexisten und Islamfeinde den Druck der Demokratie spüren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin froh, dass der Innenminister nun davon spricht, dass Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie in diesem Land sei. Es gibt auch eine sehr klare Einordnung seinerseits der Tat in Hanau. Er sagt – ich zitiere –, dass der rassistische Hintergrund der Morde in Hanau unbestritten sei und durch nichts relativiert werden könne. Ich danke Ihnen herzlich, Herr Seehofer, für diese klaren Worte. Ich hoffe, wir bleiben an dieser Stelle zusammen.

Meine Damen und Herren, unser gemeinsames Zusammenleben regelt das Grundgesetz. Niemand muss sich vor irgendetwas anderem rechtfertigen als vor dem Grundgesetz, vor unserer Verfassung. Aber das zeigt doch auch, dass der Kampf gegen Rassismus nicht erst dann beginnt, wenn Menschen sterben. Rassismus tötet, aber vorher grenzt er aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wenn qualifizierte Frauen einen Job nicht bekommen, weil sie ein Kopftuch tragen, wenn Menschen eine Wohnung nicht bekommen, weil die Namen ihrer Vorfahren anders klingen, dann hat das alles einen Namen: Das ist Rassismus.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Den Rassismus des Alltags zu bekämpfen, damit beginnt die Aufgabe, über die wir heute sprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Rassismus speist sich aus Hass, Hass speist sich aus Wut, Wut speist sich aus Angst. Hier sitzen im Raum viele Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Tode bedroht werden aufgrund ihrer Herkunft, auch ich. Ich kann nicht im Namen all dieser Leute sprechen, aber ich kann versprechen: Ob Karamba Diaby, Aydan Özoğuz, Amira Mohamed Ali, Bijan Djir-Sarai, Cem Özdemir, Paul Ziemiak oder ich: Wir Deutsche werden den Rassisten nicht unseren Hass schenken, und wir werden ihnen erst recht nicht unsere Angst schenken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies schulden wir unserem Land, unserer Demokratie. Dies schulden wir den Opfern von Hanau.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Und weil es in dieser Debatte um die Opfer von Hanau geht, finde ich, dass wir es den Opfern schulden, ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken als der Hetze, die wir vorhin gehört haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb möchte ich die Namen vorlesen. Wir gedenken heute Said Nessar El Hashemi, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Pǎun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov, Michèle Kiesewetter, Walter Lübcke, Antonio Amadeu, Alberto Adriano, Halit Yozgat und aller anderen Opfer des Rassismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Jetzt hat das Wort der Bundesinnenminister Horst Seehofer.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)