Rede von Robin Wagener Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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19.05.2022

Robin Wagener (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzte Woche Montag, am 9. Mai, schauten wir alle nach Moskau. Wir schauten auf den Roten Platz und sahen eine Armada von Soldaten, wir sahen Bilder von langen Panzerkolonnen, wir sahen mit Raketen bestückte Militärfahrzeuge. Eingebettet in diesen martialischen Rahmen hörten wir Wladimir Putin, wie er den brutalen Angriffskrieg in der Ukraine mit dem Zweiten Weltkrieg verglich. Das zeigte nicht nur seinen menschenverachtenden Zynismus, sondern das war blanker Hohn gegenüber den Opfern des Zweiten Weltkriegs und den Opfern des russischen Angriffskriegs.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Dieser Tag in Moskau war gewiss kein Tag des Sieges, es war ein Tag der Niederlage; denn Putin wird die Ukraine niemals besiegen. Aber er wird auch etwas anderes niemals besiegen, und das ist der unbedingte Wille, in ganz Europa Frieden und Freiheit, Demokratie und Wohlstand zu schaffen. Diesen unbedingten Willen brachte am 9. Mai, am Europatag, fast zeitgleich zu Putins Propagandarede der französische Präsident Emmanuel Macron zum Ausdruck.

Präsident Macron sprach nicht vor Soldaten mit Waffen, nicht vor Langstreckenraketen, er sprach im Herzen der europäischen Demokratie: im Europaparlament in Straßburg vor Hunderten Bürgerinnen und Bürgern aus der gesamten Europäischen Union. Es war aber nicht nur eine Rede im Herzen der Demokratie, es war auch ein Fest der Demokratie. Denn der diesjährige Europatag markierte den Abschluss der Konferenz zur Zukunft der Europäischen Union. Das klingt erst einmal sperrig, ist aber historisch beispiellos. Ein Jahr lang haben über 800 Bürgerinnen und Bürger aus der gesamten Europäischen Union mit Kommissionsmitgliedern, mit Parlamentarierinnen, mit Regierungsvertreterinnen über die Zukunft der Europäischen Union diskutiert.

Die Ergebnisse dieser Diskussionen können sich nicht nur sehen lassen, sie kommen auch genau zur richtigen Zeit. Denn ja, wir leben in einer Zeitenwende, und diese neue Zeit braucht auch neue Antworten: mehr Autonomie in strategischen Bereichen – bei medizinischen Produkten, bei kritischen Rohstoffen und vor allem bei unserer Energieversorgung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das heißt: raus aus russischem Öl und Gas, mehr Investitionen in Klimaschutz, mehr Energieeffizienz, massiver Ausbau der Erneuerbaren.

Die Bürgerinnen und Bürger wollen ein sozialeres Europa. Das heißt: Armut und soziale Ausgrenzung bekämpfen, Lohngleichheit in Europa herbeiführen, einen gemeinsamen Rahmen für Mindesteinkommen schaffen.

Und die Bürgerinnen und Bürger wollen eine noch stärkere gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Das heißt: Abschaffung nationaler Vetos, gemeinsame Streitkräfte zur Selbstverteidigung, Stärkung der zivilen Fähigkeiten und eine bessere Krisenprävention in Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

All diese Ziele sind nur wenige der über 300 Maßnahmen, die von den Bürgerinnen und Bürgern für eine handlungsfähige EU erarbeitet wurden. Wie wichtig zum Beispiel die Abschaffung nationaler Vetos in der EU-Außenpolitik ist, das können wir aktuell gut beobachten. Eigentlich sind sich alle einig, dass wir raus aus russischem Öl müssen. Nur einer – diesmal in Budapest – sieht das anders und blockiert die längst überfällige Entscheidung.

Verstehen Sie mich an der Stelle bitte nicht falsch. Natürlich muss bei komplexen Fragen in der Europäischen Union über unterschiedliche Wege gestritten werden, und natürlich gibt es nicht immer eine Lösung für alle; aber das Ziel muss doch das gleiche sein. Denn wir dürfen uns in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht auseinanderdividieren lassen. Wenn wir eine relevante Stimme in der Welt sein wollen, dann kann das nur gelingen, wenn diese Stimme nur im europäischen Konzert erklingt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Deshalb müssen plumpe Erpressungen, die wichtige Entscheidungen dauerhaft blockieren, endlich der Vergangenheit angehören.

Wir setzen uns dafür ein, dass die Vorschläge der Zukunftskonferenz ernsthaft geprüft werden und, wo immer möglich, in konkrete Entscheidungen münden. Das heißt, dazu können auch ein Konvent und konkrete Vertragsänderungen gehören. Denn eine EU auf der Höhe unserer Zeit sind wir allen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch den Ukrainerinnen und Ukrainern, die für diese europäischen Werte gerade kämpfen, schuldig.

Ich bin Bundeskanzler Scholz dankbar, dass er vor wenigen Tagen noch einmal klargestellt hat, dass die Ukraine selbstverständlich zur europäischen Familie gehört und wir sie auf diesem Weg intensiv begleiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich bin auch Außenministerin Baerbock dankbar, dass sie in Kiew betont hat, dass dieser Weg in eine Vollmitgliedschaft führen wird, und auch ich betone: Vollmitgliedschaft.

Die Ukraine weiß, dass es auf diesem Weg keine Rabatte gibt. Das will sie auch gar nicht; das sagen alle meine ukrainischen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner. Sie wollen die gleichen Beitrittskriterien wie andere auch. Aber gerade deshalb ist es so wichtig, dass die EU-Beitrittsperspektive glaubwürdig ist. Um das zu unterstreichen, sollten wir der Ukraine zum einen sehr schnell den Kandidatenstatus verleihen und sie zum anderen bestmöglich, auch finanziell, beim Wiederaufbau unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Robert Schuman hat am 9. Mai 1950 seine Europaerklärung mit folgendem Satz begonnen:

Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.

Dieser so wahre wie idealistische Satz wurde schon oft zitiert, auch von mir. Aber: Selten waren wir in einer Zeit, in der dieser Satz so klar als Auftrag für uns gelten musste. Genau diesem Auftrag müssen wir uns widmen, um uns den Bedrohungen der Welt zu stellen. Deshalb sind wir bereit, all die schöpferischen Anstrengungen aufzubringen, die notwendig sind, um den Frieden in Europa wiederherzustellen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Harald Weyel.

(Beifall bei der AfD)