Rede von Katharina Dröge Regierungserklärung zum Europäischen Rat durch Bundeskanzler Scholz

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20.03.2024

Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem, was ich gerade gehört habe, möchte ich einmal sagen: Es gehört zu den Stärken der Demokratie, dass wir gerade die schwierigen Fragen hier als Abgeordnete im Deutschen Bundestag miteinander diskutieren. Dafür sind wir hier, dazu verpflichtet uns unser Mandat. Und nichts ist wichtiger als die Frage, wie wir Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa miteinander gewährleisten können. Und deswegen ist es so wichtig und ist es so richtig, dass dieses Parlament in dieser Frage so hart miteinander ringt und dass sich jeder einzelne Abgeordnete diese Frage ganz persönlich stellt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])

Wenn wir auf die Sicherheitslage in Europa schauen, wenn wir auf das schauen, was Putin gerade macht, stellen wir fest, dass es eine gute Botschaft gibt. Die gute Botschaft ist, dass Putin sich verschätzt hat und dass er uns falsch eingeschätzt hat. Zuallererst und am wichtigsten: Er hat die Ukraine unterschätzt. Er hat unterschätzt, mit welch beeindruckendem Mut, mit welcher Tapferkeit und mit welcher Stärke die Menschen in der Ukraine ihre Freiheit und ihr Land verteidigen würden. Ich kann mich vor dieser großartigen Leistung wirklich nur verbeugen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Putin hat allerdings auch die Europäische Union unterschätzt. Er hat massiv unterschätzt, dass diese unterschiedlichen Mitgliedstaaten, diese 27 Mitgliedstaaten, in einer so herausragenden Krise so gemeinsam, so geschlossen und so entschlossen handeln würden. Er hat auch falsch eingeschätzt, dass ausgerechnet die NATO aus dieser Krise gestärkt hervorgehen würde, dass ausgerechnet die NATO am Ende mit zwei weiteren Mitgliedstaaten, mit Finnland und Schweden, in dieser Zeit dastehen würde.

Im Grunde hat Putin falsch eingeschätzt, dass wir in der Lage sind, gemeinsam aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])

aus den Fehlern, die wir mit Blick auf die Annexion der Krim gemacht haben, aus den Fehlern, die die EU im Grunde schon damals gemacht hat, als sie zugeschaut hat, wie Russland einen Teil eines souveränen und unabhängigen Landes besetzt hat. Wir haben daraus gelernt. Wir haben daraus gelernt, dass Putin diese Zurückhaltung als Einladung betrachtet, als Einladung, weiterzumachen, voranzuschreiten, den nächsten Schritt zu gehen und im nächsten Schritt die ganze Ukraine anzugreifen.

Und deshalb: Wer Frieden in Europa schützen will, wer Frieden für die Ukraine wiederherstellen will und wer Frieden für unser Land sichern will, der muss sich Wladimir Putin, der muss sich Russlands Aggression entgegenstellen – gemeinsam, entschlossen und geschlossen. Das ist die Lehre aus der Vergangenheit, und das ist die richtige Politik in dieser Zeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Weiß Mützenich das?)

Deshalb wäre nichts falscher, als diesen Weg jetzt zu verlassen. Jetzt zu zögern, zu zaudern oder gerade einen anderen Kurs einschlagen zu wollen: Das wäre das Gegenteil von dem, was wir jetzt tun müssen. Das würde am Ende nur weniger Frieden bringen. Das würde im schlimmsten Falle sogar zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes führen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind bislang gemeinsam einen richtigen Weg gegangen, aber wir sind ihn nicht weit genug gegangen. Die Ukraine braucht dringend mehr Unterstützung. Die Menschen in der Ukraine zahlen in diesem Krieg jeden Tag einen hohen Preis, jeden Tag an der Front mit ihrem Leben. Und die Lage in der Ukraine wird schlimmer und schwieriger. Und deswegen führen wir diese Debatte im Deutschen Bundestag. Deswegen ringen wir miteinander darum, wie wir die Ukraine noch besser unterstützen werden. Deswegen kann ich als Fraktionsvorsitzende der grünen Bundestagsfraktion sagen, dass wir als Grüne damit weitermachen werden. Daran ist nichts lächerlich, wie manche meinen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das ist keine Debatte, die man an irgendeiner Stelle beenden kann. Das ist am Ende das Mandat, das mich und uns hier verpflichtet, das Richtige zu tun in außenpolitischen Fragen, das Richtige am Ende auch zu tun für den Schutz unseres eigenen Landes.

Es gibt noch etwas, was Wladimir Putin unterschätzt hat. Das ist die Fähigkeit von demokratischen Gesellschaften, mit Krisen umzugehen. Und da haben mich die Menschen in Deutschland beeindruckt. Dieses Land hat es in einem unfassbaren Kraftakt geschafft, sich von russischer Energie unabhängig zu machen. Wir alle gemeinsam waren im Winter 2022 solidarisch, als wir Energie gespart haben. Die Unternehmen in diesem Land waren solidarisch, als sie Produktionsprozesse umgestellt haben, als wir in kürzester Zeit neue Energieinfrastrukturen geschaffen, neue Terminals aufgebaut und Gas überall auf der Welt eingekauft haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Christian Dürr [FDP])

Und damit, Herr Merz, haben wir auch mit den Fehlern Ihrer Vergangenheit aufgeräumt, mit den Fehlern von 16 Jahren Russlandpolitik einer christdemokratischen Bundeskanzlerin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Denn Deutschland war in der Russlandpolitik der Risikofaktor in Europa.

Dieses Land wurde viel zu lange von Großen Koalitionen regiert, die blind und taub waren angesichts der Warnungen unserer europäischen Partner, angesichts der Warnungen der USA.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Land wurde regiert von Koalitionen, die lieber Geschäfte gemacht haben mit billigem russischem Öl und Gas, als zu sehen, in welche gefährliche Situation sie damit unser Land und unsere Wirtschaft gebracht haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Land wurde regiert von Koalitionen, die wenige Jahre vor dem russischen Angriffskrieg noch zugeschaut haben, wie relevante Teile unserer Energiekonzerne an russische Staatskonzerne verkauft wurden.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Sigmar Gabriel!)

Und dieses Land wurde regiert von Koalitionen, die bis zum Schluss am Bau der Pipeline Nord Stream 2 festgehalten haben und sich damit weiter in die tödliche Umarmung der russischen Energiepolitik begeben hätten. Damit haben wir Schluss gemacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe der Abg. Saskia Esken [SPD] und Dorothee Bär [CDU/CSU])

Das ist die große Leistung, die dieses Land und die diese Gesellschaft gemeinsam geschafft haben.

Die Fähigkeit, mit Krisen umzugehen, besser mit Krisen umzugehen, als wir das vielleicht glauben, haben wir gleichzeitig in den letzten zwei Jahren in einer anderen, genauso großen Krise bewiesen, nämlich im Umgang mit der Klimakrise. Auch hier hat die Gesellschaft, haben die Unternehmen in diesem Land Beeindruckendes geschafft, weil wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien Tempo gemacht haben, weil wir den Kohleausstieg gemeinsam voranbringen, weil die Industrie auf klimafreundliche Produktion umsteigt und wir sie dabei mit Klimaschutzverträgen unterstützen, weil wir das Wasserstoffnetz ausbauen, weil wir klimafreundliches bezahlbares Heizen fördern. Weil wir all das gleichzeitig und gemeinsam tun, kann ich hier heute stehen und sagen: Erstmals ist es möglich, dass Deutschland in der Lage ist, das Klimaziel 2030 einzuhalten. – Das ist eine historische Nachricht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])

Das ist eine so wichtige Nachricht, auf die dieses Land gemeinsam stolz sein kann.

Für uns ist das ein Auftrag, für uns ist das etwas, was gemeinsam Mut und Hoffnung macht: Mut und Hoffnung, diesen Weg zusammen weiterzugehen mit den Unternehmen in diesem Land; denn wir wissen, dass gute Klimaschutzpolitik gleichzeitig gute Wirtschaftspolitik ist. Wir sehen überall auf der Welt, in den USA und in China, dass die Perspektive des Wirtschaftsstandortes Europa nur dann gesichert werden kann, wenn wir Tempo machen, wenn wir in grüne Technologien investieren, wenn wir weiter schnell in billige erneuerbare Energien investieren. Damit schaffen wir gemeinsam eine Perspektive der Sicherheit, eine Sicherheit vor der größten Krise, die unseren Planeten bedroht, und gleichzeitig eine Sicherheit für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Stefan Keuter [AfD]: Was für ein Unfug!)

Aber: Die Fähigkeit von Gesellschaften, Krisen zu meistern, hängt auch davon ab, wie gut wir als Gesellschaft zusammenhalten. Und dass ausgerechnet Ihnen, Herr Merz, als der Kanzler über die Rentenpolitik gesprochen hat, nichts anderes einfiel, als darüber zu lachen, als sich darüber zu beschweren, dass er an dieser Stelle über ein vernünftiges Leben sehr vieler Menschen in diesem Land im Alter gesprochen hat, das zeigt sinnbildlich, wo die CDU in der Sozialpolitik steht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Stefan Keuter [AfD]: Das ist aber am Thema vorbei! Wir reden über den Europäischen Rat! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Wissen Sie, wie der Tagesordnungspunkt heißt?)

Sie haben kein Herz für Gerechtigkeit. Sie haben am Ende kein Herz für soziale Themen, weil Ihnen die Interessen von Menschen, denen es in diesem Lande nicht so gut geht, im Grunde egal sind.

Im Gegenteil: Sie nutzen ausgerechnet diese Themen immer wieder zur Polarisierung. Immer wieder schaffen Sie es, Stimmung zu machen gegen Geflüchtete, gegen Menschen in Arbeitslosigkeit. Gegen Menschen, die letztlich auf unsere Solidarität und Unterstützung angewiesen sind,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

gegen diese polarisieren Sie. Hier versuchen Sie, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu beschädigen.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ach Gott!)

Und das ist unanständig, das ist politisch falsch, weil es am Ende unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ist das der Teil, den Ihnen gerade Frau Haßelmann eben noch diktiert hat?)

unsere Fähigkeit, als Gesellschaft, gerade in Krisenzeiten, in denen es so wichtig ist, zusammenzuhalten, Krisen gemeinsam gut zu meistern. Deswegen ist es auch in dieser sicherheitspolitischen Lage eine falsche Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nur damit die SPD doch noch klatschen kann am Schluss! Aber sie klatscht trotzdem nicht! Das war ja kein großer Applaus jetzt!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Dr. Alice Weidel hat das Wort für die AfD.

(Beifall bei der AfD)