Rede von Dieter Janecek Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht 2022 (Koalition)

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28.01.2022

Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Franz Müntefering, ein kluger Analytiker,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

hat einmal gesagt: „Opposition ist Mist.“

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Falko Mohrs [SPD]: Genau!)

Ich würde ihm da widersprechen. Wir haben – zumindest ich persönlich – in acht Jahren Opposition die Erfahrung gemacht: Man kann diese Zeit nutzen, um kluge Konzepte zu entwickeln, um sich an der Regierung abzuarbeiten. Aber ich würde in Richtung der Union sagen: Ich würde Ihnen nicht empfehlen, dort zu kritisieren, wo Sie Ihre eigenen Grundwerte infrage stellen.

(Verena Hubertz [SPD]: Ja!)

Ein Beispiel. Die Beibehaltung der Förderung des Effizienzhauses 55, dieses schlecht konzipierten Programms, das Sie verlängert haben, hätte dazu geführt, dass wir Steuermittel in Milliardenhöhe für einen Standard ausgegeben hätten, den wir sowieso als Standard kriegen würden. Daher auch Dank an den Finanzminister und an den Wirtschaftsminister, dass sie dort eingeschritten sind!

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das fällt euch über Nacht ein, ja? Die Erkenntnis kam über Nacht!)

Es war notwendig, jetzt einzuschreiten und zu sagen: Marktwirtschaft heißt, dass wir das Geld so investieren, dass so viel und nicht so wenig CO2 wie möglich reduziert wird. Das ist ein richtiger Schritt. Den haben wir vollzogen, und das war richtig so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Das Problem ist: Über Nacht! Kurzfristig vor den Kopf gestoßen!)

Es wird übrigens auch weiterhin so sein, dass wir bei den Programmen, die die Industrie fordert, wo das Größte, Schnellste und Weiteste gefordert wird, nicht allem nachgeben werden, sondern uns immer angucken werden: Was ist effizient, und was wird der Markt richten? Das Wirtschaftsministerium ist nicht die verlängerte Werkbank der Industrie und Lobbyverbände. Das möchte ich auch mal eindeutig sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Da kommen wir drauf zurück!)

Präsidentin Bärbel Bas:

Herr Janecek, erlauben Sie eine Frage von Frau Sitte aus der Fraktion Die Linke?

Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):

Danke, Dieter Janecek, dass Sie das zulassen. – Ich habe vorhin gelernt, dass man, obwohl mir das noch nie aufgefallen ist, während einer Regierungserklärung eines Ministers oder einer Ministerin keine Frage stellen soll oder darf. Das habe ich in der Geschäftsordnung nicht gefunden, aber ist egal.

Im Kern ging es mir um die Aufstellung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand. Sie haben jetzt gerade Programme angerissen, die auch von der Wirtschaft gefordert werden. Wir beide wissen ja relativ gut, dass das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand ein sehr nachgefragtes Programm ist, dass es insbesondere Unternehmen, forschende Mittelständler mit einer Beschäftigtenzahl von unter 50 unterstützt, dass aber der sozial-ökologische Umbau, die Transformation, nicht möglich ist ohne die innovativen Unternehmen gerade in diesem mittelständischen Bereich.

Nun ist es so, dass unter der Union das Budget dieses Zentralen Innovationsprogramms jahrelang bei etwa 550 Millionen Euro im Jahr lag. Es gab eine kleine Erhöhung um 30 Millionen Euro vor drei oder vier Jahren. Aber das Programm wird immer noch extrem nachgefragt. Während der Coronapandemie ist das Budget durch die Mittel des Zukunftspakets auf 620 Millionen Euro erhöht worden. Im Nachtragshaushalt bzw. im Haushaltsentwurf für 2022 stehen wieder 550 Millionen Euro.

Wir wissen, dass seit Oktober keine neuen Anträge gestellt werden können, dass es einen Antragsstau gibt. Deshalb wollte ich – eigentlich vom Minister, aber Sie sprechen ja sozusagen für eine regierungstragende Fraktion – Ihre Orientierung mit Blick auf das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand erfragen:

(Reinhard Houben [FDP]: Das ist jetzt aber wirklich eine Regierungsbefragung!)

Welche Chancen geben Sie einer Erweiterung dieses Budgets für die nächsten Jahre, um gerade diese innovativen Potenziale auch für die Zielstellungen, wie Sie sie richtigerweise verfolgen, zu mobilisieren?

Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Sitte, für diese gute Frage. Das ist ja der Stil von Oppositionsarbeit, den wir auch selbst gepflegt haben, als wir in der Opposition zusammengearbeitet haben, nämlich zielgerichtet auf die Programme zu schauen und nachzufragen: Wo ist Erweiterungsbedarf?

Ich bin allerdings – das möchte ich bei aller Freundschaft zum Minister schon hinzufügen – nicht Vertreter der Regierung, sondern einer Regierungsfraktion. Wir werden uns alle Programme hinsichtlich Effizienz und Zielgerichtetheit anschauen. Die Coronapandemie war eine Begründung für die Erhöhung der Mittel. Wir hoffen sehr, dass wir jetzt in eine endemische Phase kommen, wo Wirtschaftsaufschwung auch wieder in einer anderen Art und Weise möglich ist. Ich kann Ihnen zusagen, dass wir das auf jeden Fall in Ihrem Sinne noch mal anschauen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich Ihnen nicht mehr sagen, als dass wir uns das ganz genau angucken werden. – Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sehr verehrte Damen und Herren, wir stehen wirtschaftspolitisch zweifellos vor großen Herausforderungen. Noch immer belastet die Pandemie den Einzelhandel, Tourismus, Gastronomie, Kulturwirtschaft. Noch immer brauchen die betroffenen Betriebe Unterstützung, und die bekommen sie auch. Ich hoffe allerdings sehr – wir alle hoffen das –, dass wir in eine Phase kommen, wo wir von den Maßnahmen und dann auch von den Hilfen herunterkommen. Dieser Zeitpunkt ist jetzt noch nicht erreicht; aber das ist etwas, was wir brauchen. Hoffentlich kommt er in naher Zukunft.

Die Lieferketten sind ein Problem, gerade bei den Halbleitern. Eine gewisse Entspannung scheint sich abzuzeichnen, aber auch erst im zweiten Halbjahr, wenn man der Industrie glauben darf. Das heißt, wir werden weiter ein ruppiges Jahr haben, ein Jahr mit Investitionsunsicherheit.

Deswegen ist es umso wichtiger, dass diese Regierung bei den Themen „Investitionsbereitschaft“ und „Fachkräfte“ sowie bei der Frage, wie wir mit neuen Ansätzen Innovationen vorantreiben, einen kraftvollen Aufschlag macht. Das tun wir heute mit diesem Jahreswirtschaftsbericht, mit dieser neuen Wirtschaftspolitik, die sagt: Innovation, Klimaschutz, Fachkräfteeinwanderung – das gehört zusammen, das wollen wir voranbringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Denn dieses Jahrzehnt der 20er-Jahre soll das Jahrzehnt der großen Zukunftsinvestitionen werden. Deswegen kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass sich die Union ausgerechnet gegen das Projekt der großen Zukunftsinvestitionen wendet. Damit werden Sie sich, Herr Merz, keine Freunde in der deutschen Industrie, in der deutschen Wirtschaft machen. Die Industrie fordert Investitionen, sie fordert Modernisierung, sie fordert Entschlossenheit, sie fordert Planungsbeschleunigung. Da haben wir eine Gemeinsamkeit zwischen Wirtschaft und Regierung: dass wir das gemeinsam voranbringen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU)

Gerade beim Thema Fachkräftemangel kommen wir in eine kritische Diskussion. Es ist ja auch Ausdruck Ihrer Politik der vergangenen – man könnte schon sagen – Jahrzehnte, dass Sie geleugnet haben, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei,

(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Aber doch nicht in das Sozialsystem!)

dass Sie den Spurwechsel nicht ermöglicht haben, dass Sie die vielen Potenziale nicht gesehen haben – übrigens auch von Frauen in technischen Berufen, in der Wirtschaft, in Führungspositionen. Das wollen und müssen wir jetzt nachholen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Denn wenn es uns nicht gelingt, auf der Fachkräfteseite die Potenziale zu schöpfen, dann werden wir auch die Potenziale für die nachholende Modernisierung nicht schöpfen können. Wir müssen das zusammendenken, zusammenbringen. Da ist vieles, was wir uns vorgenommen haben.

Ich finde es nicht schlecht, dass wir – das will ich hinzufügen – eine ambitionierte Regierung sind. Ich habe vor Kurzem mal gesagt: Wenn wir die Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien schaffen, dann wäre das fast schon sensationell. – Von hinten her gedacht ist das, was wir jetzt machen, ein Angebot, zu sagen:

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Stattdessen stellt ihr die Programme ein!)

Wir gehen einen entschlossenen Weg. Wir machen eine Planungsbeschleunigung mit klaren Leitplanken und der Verbindung von Wirtschaft und Klimaschutz, weil das beiden Seiten nutzt.

Ich glaube, die Diskussionen der Vergangenheit – ich kann mich leidvoll erinnern; wir haben hier über die Frage diskutiert, ob die Elektromobilität oder doch die E‑Fuels die bessere Zukunftsinvestition sind – werden ja auf den Weltmärkten gar nicht mehr geführt.

Sie von der AfD werden im Jahr 2030 noch behaupten, dass Braunkohlekraftwerke eine Zukunftsinvestition sind;

(Beatrix von Storch [AfD]: Atomkraft! – Zuruf des Abg. Falko Mohrs [SPD])

das ist ein anderer Diskussionsstrang. Aber mit der Union, glaube ich, muss die Diskussion darüber geführt werden: Was ist der effizienteste marktwirtschaftliche Rahmen, um diese Wirtschaft sozial und ökologisch voranzubringen, um uns fit zu machen für das 21. Jahrhundert, damit wir die Ziele, die wir uns vorgenommen haben, wirklich erreichen?

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Julia Klöckner.

(Beifall bei der CDU/CSU)