Rede von Kai Gehring Religionsfreiheit weltweit stärken

19.10.2018

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch muss das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit haben – in Deutschland und weltweit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Aydan Özoğuz [SPD])

Für uns Grüne im Bundestag gilt: Es gibt kein Menschenrecht erster und zweiter Klasse. Religionsfreiheit ist genauso elementar wie andere Grundrechte. Es gibt auch keine Religion erster und zweiter Klasse. Alle Religionen sind gleich viel wert. Religiöse Vielfalt ist praktizierte Realität in unserem multireligiösen und säkularen Land, und das ist auch gut so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Und, ob Bibel oder Koran: Keine heilige Schrift steht über unserem Grundgesetz! Das ist eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Religionsgemeinschaften wirken auf dem Globus vielerorts friedensstiftend und völkerverständigend. Probleme wachsen dort, wo religiöser Fanatismus ausbricht und religiöse Minderheiten bedroht sind. Wir sagen Nein zu Fundamentalismus, und wir sagen Ja zum Schutz von Religion und vor Religion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Aydan Özoğuz [SPD])

Die Bundesregierung muss endlich aktiver werden gegen jede Diffamierung und Verfolgung von Gläubigen, Glaubensgemeinschaften, religiösen Minderheiten und Konfessionslosen. Unsere Verfassung und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte stellen alle unter ihren Schutz: Juden, Muslime, Buddhisten und Atheisten.

Bei künftigen Bundesberichten zu Religions- und Weltanschauungsfreiheit muss neben der weltweiten auch die inländische Lage systematisch erfasst werden. Denn bevor wir mit dem Finger auf andere Länder zeigen, müssen wir hier in Deutschland sicherstellen, dass die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit gilt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Anschläge auf Synagogen und Moscheen, Attacken auf Juden und Muslime haben in Deutschland leider zugenommen. Stellvertretend will ich erinnern an den Angriff am 27. August dieses Jahres auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz aus einem rechten Aufmarsch heraus. Bei den Protesten waren auch Mitglieder der AfD da. Ich frage mich: Wo war da Ihr Einsatz für Religionsfreiheit?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das sind abscheuliche Angriffe gegen Glaubensfreiheit, religiöse Pluralität und damit gegen alle demokratischen Werte. Das darf niemand hier im Haus hinnehmen. Weil die AfD solche deutschen Zustände verharmlost, verneint oder Antisemitismus und Islamophobie schürt, ist sie kein Anwalt für Religionsfreiheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Da brauchen Sie gar nicht rumkrakeelen. Wer wie Sie von der AfD das Leid verfolgter Rohingya ignoriert, misst mit zweierlei Maß und ist brutalst unglaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Offensichtlich haben Sie wenig von christlicher Nächstenliebe gehört; denn Sie treten christliche Werte tagtäglich mit Füßen – allein gegenüber Asylbewerbern. Deswegen ist die AfD auch auf Kirchentagen nicht willkommen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Deswegen liest Herr Gauland bei der Debatte auch die Tageszeitung!)

Christliches, zivilisiertes Verhalten verbrämen Sie als „Gutmenschentum“. Ich sage Ihnen: Lieber Gutmensch als Unmensch. Herz statt Hetze bringt uns weltweit weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Herr Gehring, Sie halten ja so viel von verschiedenen Meinungen! Bei Kirchentagen halten Sie nichts davon! Bitte keine andere Meinung!)

– Ja, ich mache von meinem Recht auf freie Meinungsäußerung gerade Gebrauch. Es gibt ja viele Belege dafür, wie Sie in Chemnitz agiert haben.

(Stephan Protschka [AfD]: Antisemiten laufen bei Ihnen rum! – Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Uns und sicher allen demokratischen Fraktionen im Haus ist wichtig, friedlich und interreligiös mit Muslimen zusammenzuleben. Deswegen fordern wir in unserem Antrag einen Neuanfang der Deutschen Islamkonferenz: integrativ und transparent. Der Antrag der Koalition blendet dieses Thema aus. Warum eigentlich? Weil Innenminister Seehofer mit Nichtstun glänzt? Das ist schlecht; denn es verhindert Fortschritte im Inland bei der Integration eines aufgeklärten Islam. Hier müssen sich natürlich auch die Islamverbände bewegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nichtstun schmälert deutsche Glaubwürdigkeit im Dialog mit Regierungen anderer Länder und auch in internationalen Gremien wie dem UN-Menschenrechtsrat. Da sind Sie als Koalition zu kurz gesprungen.

Was mich am Ansatz der CDU/CSU nicht überzeugt: Sie tun so, als sei Religionsfreiheit das elementarste, das zentralste aller Menschenrechte. Für mich ist es ein wichtiger Artikel der 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Jeder der 30 Artikel ist elementar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Für uns ist es ein Zentrales!)

Bei CDU/CSU strapaziert mich auch ein bisschen die Selbstbeweihräucherung, mit der Sie den neuen Posten des Religionsfreiheitsbeauftragten feiern. Warum bringen Sie denn nicht denselben Elan auf, um das Amt der Menschenrechtsbeauftragten endlich zu stärken?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ihre Ausstattung muss endlich auf internationales Niveau, erst recht angesichts der Weltlage und unserer internationalen Rolle. Warum rücken Sie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nicht in Ihren Fokus? Beide stehen für alle Menschenrechte ein. Das ist auch die Grundhaltung des Grünenantrags. Wir kämpfen gegen jede Diskriminierung an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in vielen Ländern und Regionen ist Verfolgung wegen Religionszugehörigkeit bitterer Alltag. Neben Christen und Juden sind unter anderem betroffen: die muslimischen Rohingya, die Ahmadiyya und die Bahai, die Jesidinnen, die Schabak, Aleviten, Schiiten, Sunniten, Uiguren und Tibeter. Diese und andere gehören geschützt. Religions- und Weltanschauungsfreiheit muss für alle gelten, nicht exklusiv für eine Mehrheitsreligion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend ist mir wichtig, dass wir den Einsatz für die Menschenrechte nicht auf das Thema Religion verengen dürfen. In diesem Jahr debattieren wir zum fünften Mal im Plenum über Religion. Eine gewisse politische Unwucht ist das schon. Daher seien Sie gewiss, dass wir anderen Menschrechtsmegathemen mehr Raum geben werden,

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wir dürfen die Rechte nicht gegeneinander ausspielen!)

wie Kinderrechten, Frauenrechten, LGBTI-Rechten, Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit. Denn: Menschenrechte sind unteilbar, sie sind universell und unveräußerlich. Gemeinsam Verfolgte schützen, das wäre die beste Botschaft dieses Bundestages.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Alle Menschenrechte sind wichtig!)