15.03.2019

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ein guter Tag, weil wir hier jetzt gemeinsam das Forum Recht diskutieren können, das seinen Sitz in Karlsruhe haben wird. Ich danke insbesondere denen – sehen Sie es mir nach, liebe Stadt Leipzig –, die in Karlsruhe angefangen haben, es von ganz unten aufzubauen.

(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist zivilgesellschaftliches Engagement in einem demokratischen Land.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Frank Schwabe [SPD] und Dr. Stefan Ruppert [FDP])

Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, Karlsruhe als Sitz festzulegen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass es auch einen Sitz in Leipzig geben wird, wobei ich darauf hinweisen will: Es geht nicht darum, dass einer für den Osten und der andere für den Westen zuständig ist, sondern alle sind für alle zuständig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will ein paar Worte zu diesem Projekt sagen. Was ist eigentlich unsere Erwartung? Ich meine, dies soll kein Projekt von oben nach unten sein. Es soll kein Bundesbildungsinstitut werden – so heißt es auch nicht –, es soll auch nicht nur Beiträge zu weiteren Broschüren und Seminaren herausgeben, sondern es heißt ganz bewusst „Forum Recht“. Wenn Sie sich mal angucken, wofür das Wort „Forum“ steht – es kommt übrigens aus dem Lateinischen –, dann sehen Sie, dass es ursprünglich „länglicher, viereckiger freier Raum“ bedeutete, also für einen freien Raum steht – das finde ich am schönsten; später wurde daraus „Versammlungsort, Marktplatz“ –, in dem sowohl Gerichtsbarkeit als auch Volksversammlungen stattfanden. Das muss dieses Forum leisten. Deshalb heißt es nicht „Institut“ oder „Amt“. Es ist ein Forum, ein freier Raum, in dem sich Menschen in diesem Land treffen, Fragen stellen, Meinungen austauschen und versuchen, Antworten zu finden – nicht mehr oder weniger muss dieses Forum Recht leisten, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es muss dann auch von den Fragen der Menschen getrieben sein. Auch wenn da viele Gerichtsvertreterinnen und -vertreter sein werden, können sie – das ist für sie auch eine Herausforderung – nicht nur sagen: „Wir erklären jetzt mal die rechtsstaatlichen Verfahrensprinzipien und unsere Beweisregeln“, sondern müssen sich auch der Herausforderung stellen, dass an dieser Stelle auf eine ganz andere und neue Art und Weise und in einer neuen Zusammensetzung über die Frage diskutiert wird, was Rechtsstaat und Demokratie bedeuten. Es geht also um beides.

Der berühmteste Satz zum Rechtsstaat ist der von Bärbel Bohley, die mal gesagt hat: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ Sie hat damit gesagt: Gerechtigkeit ist nicht nur das individuelle Empfinden, was gerecht und ungerecht ist, sondern es gibt einen Rechtsstaat mit Verfahrens- und Beweisregeln, mit dem wir leben, damit es zu keinen Fehlurteilen kommt.

Der andere Begriff ist der Begriff der Demokratie, also der Herrschaft des Volkes. Ich finde, dass dieses Forum genau das zusammenbringen muss: Rechtsstaat und Demokratie. Dann wird daraus das Bild eines demokratischen Verfassungsstaates, den im Übrigen wir alle tragen.

Da gerade Herr Böckenförde, der ehemalige Verfassungsrichter, gestorben ist, muss ich an dieser Stelle das sogenannte Böckenförde-Diktum zitieren. Er hat nämlich gesagt:

Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben …

Nichts drückt besser aus, dass man andere Menschen braucht, die den demokratischen Verfassungsstaat tragen. Es wird die Aufgabe des Forums Recht sein, hier die Fragen der Menschen aufzunehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])

Da geht es dann um Gerechtigkeit, um Würde für jedermann und jede Frau, um die Gleichstellung von Frauen und Männern, um die Frage von Kopftüchern, um die Situation von Kindern. Dieser längliche freie Raum muss entsprechend mit allen Fragen gefüllt werden, die zu stellen sind. Natürlich wird es dort auch feministische Fragen geben.

Eines kann ich sagen: Das wird ein wirklich partizipativer Ort, an dem viele Menschen mitmachen und diskutieren, an dem sich alle möglichen Gruppen – von Menschenrechtsgruppen über Frauengruppen bis hin zu Kinderrechtsverteidigerinnen und Menschen, die sich mit Natur und Zukunft auseinandersetzen – finden und die Grundlage dieses Staates mit weiterentwickeln, meine Damen und Herren.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Künast, kommen Sie bitte zum Punkt.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Dieses Forum Recht wird eines aushalten, Herr Brandner: dass ein Vertreter der ersten Gewalt, der zudem – mir kommen fast die Tränen – auch noch Vorsitzender des Rechtsausschusses ist, derartig perfide und peinlich

(Stephan Brandner [AfD]: Ich fand’s gut!)

eine Vertreterin der dritten Gewalt diffamiert, weil sie nichts anderes tut, als eine Meinung zu haben.

(Stephan Brandner [AfD]: Ich habe auch eine Meinung!)

Wir werden das aushalten und werden Ihnen nicht den Gefallen tun, auf gleicher, niveauloser Ebene darauf zu antworten.

(Stephan Brandner [AfD]: Das machen Sie doch gerade!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Künast, bitte!

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Natürlich dürfen Sie eine Meinung haben, Herr Brandner; aber das heißt nicht, dass Sie die dritte Gewalt derartig runtermachen dürfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Denn die Akzeptanz, die Sie verlangen, müssen Sie auch anderen gegenüber zeigen.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Künast, bitte setzen Sie den Punkt.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Allein deshalb schon weiß ich: Wir brauchen das Forum Recht, und es wird eine gute Arbeit abliefern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])