Rede von Markus Kurth Rente

08.11.2018

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Rentenfinanzen sind gut. Das freut uns auch als Opposition, weil es die Leistungsfähigkeit des umlagefinanzierten Systems der Alterssicherung unterstreicht und deutlich macht.

(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist durchaus vernünftig, 15 Jahre nach der Rürup-Kommission eine Neubewertung und eine Akzentverschiebung vorzunehmen, die auch das Rentenniveau und seine längerfristige Sicherung in den Mittelpunkt stellt; denn die gesetzliche Rente ist mehr und muss mehr sein als eine bessere Sozialhilfe. Sie ist eine Einkommensversicherung – Andrea Nahles hat das hier im Grundsatz übrigens ganz richtig ausgeführt –, die als solche auch für die Mittelschicht attraktiv sein muss. Für Menschen, die ein halbwegs geschlossenes Erwerbsleben haben, muss sie deutlich mehr darstellen als nur etwas über Grundsicherung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist auch keinesfalls so, lieber Johannes Vogel, dass die Rentenfinanzierung in den letzten Jahren völlig aus dem Ruder gelaufen sei.

(Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Eben nicht!)

Es gibt eine Größe, die man im Zusammenhang mit den Ausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung berücksichtigen muss, nämlich die Wirtschaftsleistung dieses Landes, erbracht durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Johannes Vogel (Olpe) [FDP]: Genau! Für die letzten Jahre!)

Jetzt will ich hier nicht zu viele Zahlen nennen, aber ganz ohne komme ich auch nicht aus. Der Anteil der Rentenausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag die ganzen letzten Jahre bei 9,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Im Jahr 2003 lag der Anteil der Rentenausgaben bei 10,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Anteil ist also zurückgegangen und dann stabil geblieben, und das, obwohl die Zahl der Rentnerinnen und Rentner größer geworden ist. Das heißt also, Rentnerinnen und Rentner haben sehr wohl ihren Beitrag zur Konsolidierung geleistet und sind auch dabei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])

Ähnliches gilt auch für den Bundeszuschuss.

(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)

Heißt das jetzt aber, dass man sozusagen das Geld mit vollen Händen zum Fenster rauswerfen kann oder dass man nicht so genau hingucken muss, wenn man eine langfristige Niveaustabilisierung betreibt? Nein, mitnichten. Da muss ich wirklich an die Adresse der SPD, aber auch an die Adresse der Union sagen: Auf Nachhaltigkeit und eine längerfristige Finanzierung scheinen Sie keinen besonderen Wert zu legen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nicht bis 2025 und erst recht nicht für den Zeitraum danach.

Wenn ich hier höre, dass Sie eine Demografiereserve anlegen wollen, damit das Niveauversprechen für das Jahr 2025 gehalten werden kann, wenn dann leider die Nachhaltigkeitsrücklage leergelaufen ist, dann verweise ich mal auf das, was die Vorsitzende der Deutschen Rentenversicherung an diesem Montag in unserer Anhörung gesagt hat. Sie hat nämlich gesagt, sie weiß gar nichts von einer Demografiereserve. Sie liegt jedenfalls nicht bei ihr. Diese Reserve ist eine Absichtserklärung,

(Andrea Nahles [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

die Sie auf ein Papier geschrieben haben und die jeder nächste Finanzminister auch wieder ändern kann.

(Andrea Nahles [SPD]: Das steht im Haushalt!)

– Frau Roßbach von der Deutschen Rentenversicherung hat gesagt, sie kann zur Demografiereserve gar nichts sagen;

(Andrea Nahles [SPD]: Weil sie im deutschen Haushalt ist!)

denn ihr ist dazu nichts bekannt. – Das ist doch mal eine Aussage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andrea Nahles [SPD]: Dann hat die Frau halt keine Ahnung!)

Für das Jahr 2040, für das Herr Scholz das Rentenniveau ebenfalls stabilisieren will, haben Sie kein vernünftiges Angebot. Ich finde es fast schon dramatisch, wenn der Finanzminister und Vizekanzler solche Niveausicherungsversprechungen macht, es aber noch nicht einmal schafft, im jetzigen Haushalt wenigstens bis 2025 ausreichend Vorsorge für das Rentenpaket zu treffen, das Sie jetzt hier verabschieden. Das merken die Leute.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann möchte ich noch etwas zu einigen Bestandteilen dieses Rentenpakets sagen. Also, es kommen ja sowieso schon genug Herausforderungen auf die gesetzliche Rentenversicherung durch andere Gesetze zu, die Sie jetzt im Umfeld dieses Gesetzes verabschieden. Die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung ist prima, das ist ja gut; sie wird aber dazu führen, dass das Rentenniveau rein rechnerisch sinkt, weil eben das Einkommen der Arbeitnehmer steigt. Die Einführung der Parität in der Krankenversicherung unterstützen wir sehr; sie wird aber dazu führen, dass die Rentenversicherung schon im nächsten Jahr 1,4 Milliarden Euro Mehrausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung hat. In ähnlicher Weise wirkt natürlich die Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung, die heute Abend beschlossen werden wird. So, das ist schon mal eine ganze Menge.

Dann sind wir uns alle einig, dass die 1,5 Milliarden Euro kostenschwere Verbesserung bei der Erwerbsminderungsrente sinnvoll ist und kommen soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da haben wir schon einiges zusammen.

Da frage ich mich: Muss man an dieser Stelle jetzt wirklich noch die sogenannte Mütterrente systemwidrig draufpacken und damit eine sehr langfristige Kostenbelastung verursachen? Wo bleibt denn da der vielgerühmte Wirtschaftsflügel, der Berufsjugendliche und selbsternannte Anwalt der jungen Generation, Jens Spahn, wenn es darum geht, wenigstens eine vernünftige Finanzierung der Mütterrente, wenn man sie schon macht, sicherzustellen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Nichts ist von denen zu hören.

Der Wirtschaftsflügel der Union hat sich vor vier Jahren wahnsinnig über die Rente mit 63 aufgeregt, weil es ja schlecht sei, wenn die Arbeitnehmer früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Die Mütterrente II, die jetzt kommen soll, wird viel teurer als die Rente mit 63 vor vier Jahren. Wo hört man denn da was vom Wirtschaftsgeflügel der Union? Gar nichts! Nichts hört man!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])

Dazu können Sie überhaupt nichts sagen.

Ich bin jetzt leider mit meiner Redezeit auf der Zielgeraden.

(Heiterkeit)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Kurth, Sie sind nicht auf der Zielgeraden, Sie sind darüber.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Setzen Sie auf Bündnis 90/Die Grünen,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!)

Bürgerversicherung, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit bei der Rentenfinanzierung. Dann wird das auch klappen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andrea Nahles [SPD]: Das hätten wir jetzt nicht mehr hören müssen! – Zurufe von der FDP: Oh!)