Rede von Markus Kurth Rente

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03.06.2022

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Nacke, Sie haben eben gesagt, Sie als CDU wissen, was Sie in der Rentenpolitik wollen. Ehrlich gesagt: Nach dieser Rede weiß ich es nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, wir auch nicht!)

Sie haben nicht gesagt, was Sie wollen.

Es ist ja traurig genug, dass eine der vielleicht größten rentenpolitischen Leistungsausweitungen und einer der vielleicht größten Verbesserungsschritte in dieser Legislatur jetzt am Ende dieses ereignisreichen Tages kommt und dass die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente in der Presse wahrscheinlich im Schatten des Mindestlohns und noch mehr des Sondervermögens für die Bundeswehr stehen. Das ist traurig; aber wir werden daran arbeiten, das ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Ich hätte aber von einem Redner der Union, die immerhin zustimmt, Herr Dr. Nacke, erwartet – jetzt geht er weg –,

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Er muss abstimmen!)

dass etwas mehr als ein Halbsatz für die Erwerbsminderungsrente abfällt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])

Denn in der Tat bringt der Zuschlag 3 Millionen Menschen zwischen 50 und 100 Euro mehr im Monat. Das kommt vielen nicht viel vor; aber das betrifft Erwerbsminderungsrentnerinnen und ‑rentner, die Renten von im Schnitt nur 800 Euro haben, und da machen 100 Euro eine ganze Menge aus.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])

Auch vom jährlichen Gesamtvolumen her ist das eine sehr beachtliche Summe. Es werden nämlich 2,6 Milliarden Euro pro Jahr in diesem Bereich gezahlt.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber gedeckelt!)

Man muss sich jetzt natürlich überlegen – das haben wir innerhalb der Koalitionsfraktionen auch diskutiert –, wenn man sich das Sicherungsniveau der Erwerbsminderungsrente anguckt, ob das auf Dauer auch ausreichend ist. Die Erwerbsminderungsrente hat eine andere Einkommensersatzfunktion als die Altersrente. Auf das Alter oder auf das Langlebigkeitsrisiko, das dahintersteht, kann man sich schließlich vorbereiten. Das Alter kommt nicht unerwartet. Man kann ansparen, zumindest theoretisch; nicht alle können privat vorsorgen. Eine Erwerbsminderung tritt aber unerwartet, schnell und unfreiwillig ein,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

und gegen die kann man sich nicht in irgendeiner Weise privat absichern. Darum brauchen wir perspektivisch in der Erwerbsminderungsrente eine Absicherung des Einkommensrisikos bzw. des Risikos des Lohnverlustes und ein Sicherungsniveau, das vergleichbar ist mit dem in der Arbeitslosenversicherung oder beim Krankengeld.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])

Das ist leider mit dem ersten Schritt, den wir jetzt gemacht haben, nicht gelungen. Aber eine Reihe von Gutachtern legt nahe, dass wir in die Richtung, die ich gerade skizziert habe, gehen und uns das Sicherungsniveau angucken sollten, und zwar unter dem Gesichtspunkt: Welche Funktion hat eigentlich die Erwerbsminderungsrente? Welches Risiko muss abgesichert werden? Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns in konstruktiver Zusammenarbeit diesen Fragen in Zukunft noch einmal zuwenden.

Ein weiterer Vorschlag, den die Anhörung hervorgebracht hat, war die Einrichtung einer Erwerbsminderungsrentenkommission. Das hört sich jetzt ein bisschen sperrig an; da findet man vielleicht einen schöneren Begriff. Aber ich fände es sehr gut, wenn wir uns in einer kleineren, konzentrierten Arbeitsgruppe noch einmal dem Sicherungsniveau widmen und wenn es dann gelingt, in dieser Legislaturperiode noch einen Aufschlag zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich hoffe auch, dass die FDP sich dem nicht verschließt. Denn das betrifft Leute, die echt was geleistet haben; das ist eine besondere Gruppe. Mit der Wiedereinführung des Nachholfaktors setzen wir an dieser Stelle ja auch etwas um, was insbesondere ein dringendes politisches Anliegen der FDP war.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das lässt tief blicken!)

Es handelt sich nach den Berechnungen des DGB – so hatte es der DGB in der Anhörung vorgetragen – immerhin um eine – aus FDP-Sicht – Entlastung der Beitragszahler von 18 Milliarden Euro. Man könnte auch von Einnahmeverlusten der Rentenversicherung in Höhe von 18 Milliarden Euro sprechen; das wäre die andere Perspektive.

(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Na ja!)

Aber die schiere Zahl zeigt schon: Die Wiedereinführung des Nachholfaktors ist nicht nichts, so wie die Union und Herr Dr. Nacke, der jetzt den Plenarsaal leider Gottes bereits verlassen hat, behaupten

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, der ist schon wieder da! – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Er war abstimmen!)

– ach, da ist er wieder; Entschuldigung –,

(Marc Biadacz [CDU/CSU]: Billig!)

sondern ein ziemlich wesentliches Element dessen, was wir heute beschließen werden.

In diesem Sinne hoffe ich, dass das nicht hinten runterfällt. Die sehr wichtige Erhöhung des Mindestlohns und die wichtigen sicherheitspolitischen Themen, die wir hier heute debattiert haben, spielen sicherlich eine Rolle. Aber alle Ausgaben, die wir für die äußere Sicherheit tätigen, sind sinnlos, wenn uns der gesellschaftliche Zusammenhalt und die soziale Sicherheit in diesem Lande zerrinnen und zerbrechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das wäre in gewisser Weise eine Ironie der Geschichte, die wir den mordlüsternen Diktatoren auf dieser Erde nicht gönnen dürfen. Wir müssen weiter damit fortfahren, äußere und innere Sicherheit und Solidität zusammenzubringen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die AfD-Fraktion spricht Gerrit Huy.

(Beifall bei der AfD)