Rede von Dr. Manuela Rottmann Restschuldbefreiung
Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hat die Veranstaltungsbranche draußen vor dem Reichstag demonstriert, und ich finde, zu Recht. Diese Branche erbringt für die gesamte Wirtschaft momentan ein Sonderopfer. Corona trifft sie unverschuldet, wie alle anderen Branchen auch, aber mit einer Wucht wie kaum eine andere Branche. Und gerade dort finden wir viele Soloselbstständige, Menschen, die nie staatliche Unterstützung in Anspruch genommen haben – bis heute –, Menschen, die immer ihr unternehmerisches Risiko selbst getragen haben, immer die Steuern gezahlt haben. Diese ganze Branche in die unverschuldete Insolvenz rutschen zu lassen, ist volkswirtschaftlich falsch, und es ist im höchsten Maße unfair.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wer ein Sonderopfer für uns alle bringt, für unsere Gesundheit, der hat einen Anspruch auf unsere Solidarität.
Wo mehr als Corona zu bewältigen ist, wird es noch schwerer. Nehmen wir einen selbstständigen Tontechniker, der schon 2019 vielleicht wegen Krankheit ein paar Monate lang keine Aufträge annehmen konnte und deshalb einen Kredit aufnehmen musste. In dem Moment, als es ihm besser ging, als er wieder hätte arbeiten können, kam Corona, mit voller Wucht. Dieser Mann steht seit Monaten vor der Frage: Wie soll es weitergehen? Wie soll ich diesen Kredit zurückbezahlen? Wie soll ich wieder auf die Beine kommen? Und eine Insolvenz sagt in einem solchen Fall überhaupt nichts über die Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells oder über seine Zahlungstreue aus. Es muss in unser aller Interesse sein, dass so jemand schnell neu anfangen kann.
Dr. Manuela Rottmann
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/ CSU])
Vor einem halben Jahr habe ich hier die Verkürzung der Frist bis zur Restschuldbefreiung gefordert. Nach den Maßstäben der Koalition mag es schnell sein, dass wir nach einem halben Jahr darüber reden. Nach dem, was in der Krise nötig und machbar ist, ist es ja nicht kompliziert. Ich finde, es sind hier heute viele gute Vorschläge gemacht worden. Ich habe mich auch über die Vorschläge von Frau Skudelny gefreut. Aber Tempo ist da auch wichtig, und wir hätten auch diese Vorschläge ohne Weiteres vor der Sommerpause in Kraft setzen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt finde ich den Regierungsentwurf zudem noch halbgar geraten, und ich bin sehr froh, dass ich hier viel Offenheit höre, darüber noch mal zu reden. Sie wollen die Gläubiger schützen; das ist richtig, das will ich auch. Aber mit der Staffelung der Verkürzung haben Sie gerade Anreize gesetzt, dass die Menschen in den letzten Monaten einen Insolvenzantrag bis zum 1. Oktober verzögert haben, weil sie dann plötzlich eine viel kürzere Frist bis zur Restschuldbefreiung haben. Es ist also das Gegenteil von Gläubigerschutz, was Sie erreicht haben. Darüber, die Verkürzung für Verbraucherinnen und Verbraucher zu befristen, debattieren wir noch mal. Das hat mich sehr gefreut. Heribert Hirte hat ja gezeigt: Wir wissen alles; wir wissen, wie Privatinsolvenzen ablaufen, was die Gründe dafür sind. – Ich sehe da wirklich keinen Anlass für eine weitere Evaluation.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und das Schlimmste: Die jahrelange Speicherung des Insolvenzverfahrens in Auskunfteien wollen Sie nicht antasten. Sie hängen damit denjenigen Menschen einen Mühlstein um den Hals, die wegen Corona unverschuldet Insolvenz anmelden müssen. Nach drei Jahren müsste mein Tontechniker noch einmal drei Jahre damit leben, dass er keinen Kredit kriegt, keinen Mietvertrag abschließen kann. Der wird nach sechs Jahren nicht mehr neu anfangen.
Deswegen: Lassen Sie uns hier kein halbgares Zeug verabschieden, sondern beherzt eine Tür in die Zukunft nach Corona aufstoßen.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Thomas Oppermann:
Vielen Dank.