Rede von Matthias Gastel Rheintal-Streckensperrung 2017 von Rastatt

27.04.2018

Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Stellen Sie sich einmal vor, ganz unvorbereitet muss eine Autobahn gesperrt werden. Im Verkehrsfunk heißt es: Eine Umleitungsempfehlung können wir leider nicht aussprechen. Autofahrer sollten besser zu Hause bleiben, damit wenigstens ein Teil der möglichen Umleitungsstrecken für einige Lkws frei bleibt. Die Sperrung der Autobahn wird 51 Tage dauern. – Sie meinen, das ist nicht vorstellbar? Ja, für die Straße bzw. die Autobahn ist das nicht vorstellbar, aber bei der Schiene – wir haben es nach dem Baustellenunfall von Rastatt gesehen – ist genau das Geschilderte passiert. Eine der wichtigsten Strecken für den Personen- und für den europäischen Güterverkehr musste gesperrt werden. Umleitungsstrecken waren entweder deswegen nicht verfügbar, weil sie ebenfalls wegen Bauarbeiten gesperrt waren oder weil sie eingleisig oder nicht elektrifiziert waren und damit nicht ausreichend leistungsfähig waren.

Um wenigstens Teile des Schienengüterverkehrs fahren zu lassen, wurden einzelne Personenzüge gestrichen. Güterzüge vom Norden her stauten sich weit zurück. Was auf Lkws verladen werden konnte, wurde auf der Straße abgewickelt.

(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Hätte Rot-Grün nicht so einen Rieseninvestitionsstau hinterlassen, hätten wir die Probleme jetzt nicht! Schlecht wirtschaften und sich jetzt beschweren!)

Der Schaden wird auf über 2 Milliarden Euro geschätzt. Teile des Schienengüterverkehrs wurden langfristig auf die Straße verlagert. Wir haben einen maximalen Vertrauensverlust in die Verlässlichkeit der Schiene zu beklagen. Das alles hat Gründe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Seit 1992 wurde das Straßennetz in Deutschland um 40 Prozent ausgebaut. Im gleichen Zeitraum wurde das Schienennetz um 20 Prozent geschrumpft. Wenn man in den Bundesverkehrswegeplan schaut, dann stellt man fest: Die Straßenbauorgie in Deutschland geht weiter.

(Felix Schreiner [CDU/CSU]: Das ist doch einfach falsch! – Florian Oßner [CDU/CSU]: 42 Prozent für die Bahn stellt man fest! – Michael Donth [CDU/CSU]: 42 Prozent des Geldes für die Schiene! – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Wer hat denn nicht investiert? Sie!)

Eineinhalb Jahre nach Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplans werden überall in Deutschland munter neue Straßen geplant. Von den 46 Schienenprojekten im Potenziellen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes sind bis heute, nach eineinhalb Jahren, gerade einmal fünf Schienenprojekte abschließend bewertet worden.

(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandal!)

Baden-Württemberg ist ein gutes Beispiel für die Totalverweigerung der Bundesregierung in Sachen Ausbau der Schienenwege.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Wo ist denn das Unglück passiert? – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Das ist Realitätsverweigerung, die Sie hier betreiben!)

Von der Gäubahn abgesehen sind alle vom Land Baden-Württemberg beim Bund angemeldeten Schienenprojekte abgelehnt worden. Kein einziges weiteres Projekt ist in den Vordringlichen Bedarf aufgenommen worden. Selbst solche Ausbauprojekte, die für Umleitungen bei Sperrung der Rheintalbahn nützlich wären und angemeldet wurden, wurden abgelehnt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Wenn man nicht investiert, braucht man sich nicht zu beschweren!)

Wenn in Deutschland in Sachen Ausbau der Schienenwege etwas vorangehen soll, dann geht es nur dann, wenn die Länder eigenes Geld in die Hand nehmen, um Bundesschienenwege auszubauen und zu ertüchtigen. Das nenne ich einen wirklichen Skandal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Das bekommen Sie ja auch durch den Bund für den Nahverkehr!)

Meine Damen und Herren, der Koalitionsvertrag enthält die eine oder andere positive Passage zum Thema Bahn.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Gastel, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?

Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bitte schön.

(Felix Schreiner [CDU/CSU]: Wenn es hilft!)

– Schauen wir mal.

Dr. Dirk Spaniel (AfD):

Sie haben ja nun über Baden-Württemberg geredet. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass in Baden-Württemberg momentan eine grüne Landesregierung die Geschäfte führt?

(Michael Donth [CDU/CSU]: Aha! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal zuhören! – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zuhören! – Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zuhören!)

Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Abgeordneter der AfD, wir reden hier über Bundesschienenwege. Das Land Baden-Württemberg hat beim Bund jede Menge Schienenwege zum Ausbau angemeldet, und der Bund hat diesen Ausbau abgelehnt. Baden-Württemberg gehört aber zu den Ländern, die eigenes Geld in die Hand nehmen, um Bundesschienenwege zu ertüchtigen und auszubauen. Genau das habe ich gerade ausgeführt, und ich habe es für Sie gerne wiederholt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst mal zuhören!)

Die Große Koalition geht nicht an die Strukturen ran, und genau das ist das Problem. Das Motto der Großen Koalition lautet: Weiter so, mehr von allem!

(Michael Donth [CDU/CSU]: Mehr Schienenwege!)

Mehr Straßen, mehr Schienenwege und vor allem mehr Flugverkehr! So, meine Damen und Herren, kann die Verkehrswende nicht funktionieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

So wird der Anteil des Schienengüterverkehrs in Deutschland auch weiter bei unter 20 Prozent vor sich hindümpeln. Österreich, die Schweiz und viele andere Länder zeigen, dass das auch deutlich anders erfolgreich funktionieren kann.

Mit dieser Politik werden die Autobahnen immer voller mit immer mehr Lkws, die für Staus sorgen. Das gescheiterte Modell der Vergangenheit kann keine Lösung für die Zukunft bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nötig sind die Stärkung der Schiene, die Engpassbeseitigung, der Bau von 740-Meter-Netzen für längere und wirtschaftliche Güterzüge, der Deutschland-Takt für den Güter- und für den Personenverkehr und natürlich auch die Digitalisierung.

(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Lesen Sie den Koalitionsvertrag! Erzählen Sie mal was Neues! – Kirsten Lühmann [SPD]: Steht alles im Koalitionsvertrag!)

Das ETCS, das europäische Zugbeeinflussungssystem, kommt in Deutschland nicht voran. Es gibt bei der Bundesregierung und bei der Deutschen Bahn noch nicht mal ein entsprechendes Konzept.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Herr Kollege Gastel, diese Vorschläge müssen Sie jetzt bitte in die Ausschussberatungen verlagern.

Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Stellen Sie das Signal für die Bahn endlich auf Vorfahrt für die Schiene! Das ist dringend notwendig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Felix Schreiner [CDU/CSU]: Thema verfehlt!)