Rede von Michael Kellner Sanktionsstrafrecht
Michael Sacher (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als dezidierter Nichtjurist spreche ich hier bei diesem Thema als überzeugter Europäer und nicht nur als Mitglied des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union – als ein überzeugter Europäer, der auch mithilfe der trockenen Rechtsprechung hofft, die Zukunft auf unserem Kontinent und darüber hinaus friedlich und prosperierend gestalten zu können. „Prosperierend“ ist hier allerdings nicht in einem herkömmlichen, vereinfachten Sinne mit „Wirtschaftswachstum“ zu verwechseln, sondern weit darüber hinaus als ein blühendes Gedeihen einer vielfältigen Zivilgesellschaft zu verstehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Wie schon das Sams in den Büchern von Paul Maar bei dem Gebrauch von Wunschpunkten einforderte, „genauestens genau“ zu wünschen, so ist es auch auf dem Feld der Rechtsprechung wichtig und wesentlich, genau zu sein, nachzujustieren, wenn sich Probleme bei der Durchsetzung des gültigen Rechtes zeigen. Die Europäische Kommission möchte erreichen, dass die Verletzungen von EU-Sanktionen zu Straftaten erklärt werden, um so die Verfolgung effektiver zu gestalten. Wir als Bundestag müssen dem zuvor zustimmen, sodass Verstöße gegen die von der EU verhängten Sanktionen in den Kriminalitätsbereich übernommen werden können. So einfach, so gut. Darum geht es hier.
Nicht unwesentlich ist vielleicht der Hinweis, dass Deutschland das letzte europäische Land ist, das hier noch auf nationaler Ebene zustimmen muss. Dies liegt diesmal nicht am langsamen Internet, sondern daran, dass wir eines der wenigen Parlamente sind, die überhaupt damit befasst werden – ein Zeichen unserer starken parlamentarischen Demokratie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vor dem Hintergrund des Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt, ist diese rechtliche Schwachstelle bei den Sanktionen noch einmal deutlich hervorgetreten, verbunden mit dem Problem, dass eine Harmonisierung des Strafmaßes in den Mitgliedstaaten vonnöten ist. Denn wenn das Strafmaß in den unterschiedlichen europäischen Ländern von einigen Tausend bis zu mehreren Hunderttausend Euro variiert, lässt das nicht nur Fachleute wie Laien staunen, sondern zeugt auch nicht gerade von einer gut aufgestellten, einheitlichen Geschlossenheit.
Sanktionen zu verhängen, ist das eine, sie aber auch nachhaltig und effektiv durchsetzen zu können, das andere. Hier nachzubessern, ist notwendig und dringend geboten. Die Anhörung von Expertinnen und Experten im Ausschuss hat das einhellig und deutlich unterstrichen, nicht ohne auf die Schwierigkeiten im Detail, nämlich die Präzisierung, zu verweisen. Aber diese ist auch erst der zweite Schritt auf europäischer Ebene, den wir heute durch unseren Beschluss erst ermöglichen. Es geht um eine vernünftige, nachvollziehbare Regulierung, die jetzt vor allem rechtlich abgesichert werden muss, damit die Europäische Union in diesem Punkt international handlungsfähig und verlässlich bleiben kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Diese Regelung ist, um es knapp zu sagen, einfach notwendig und wichtig. Der Teufel wird sicherlich noch im Detail stecken, wo zum Beispiel die einzelnen Tatbestände noch rechtssicher und – wir erinnern uns – „genauestens genau“ definiert werden müssen. Hier seien nur alle in diesem Haus beruhigt; denn diese Ausformulierung wird erneut hier im Parlament verhandelt und besprochen und dann erst auf den rechtsgültigen Weg gebracht.
Eingangs wies ich schon darauf hin, dass ich ein überzeugter Europäer bin, ein Umstand, auf den hinzuweisen in diesen Tagen vielleicht wieder notwendiger wird, als alle hier – oder fast alle hier – gedacht und gehofft hatten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Eine starke Gemeinschaft verträgt durchaus Unruhen, Aggressionen von innen und außen, kann darauf reagieren, damit diskursiv umgehen. Und nicht nur in der Europäischen Union hilft Kritik häufig, einfach besser zu werden. So wie Demokratie nie ein festgefügter Endzustand ist, sondern ein Prozess, ein immerwährendes Aushandeln, so ist es auch mit der Europäischen Union. Vielstimmigkeit und Diversität sind dabei unsere Stärken.
(Zuruf von der AfD)
Stumpf mit dem nationalen Kopf durch die Wand zu wollen oder vielmehr faktenfrei mit diesem an die Wand zu schlagen, ist weder eine gute Strategie noch eine konstruktive Politik; es tut auch meistens schon beim Zuschauen weh.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Europäische Union wird beständig von uns neu gestaltet, hoffentlich Schritt für Schritt verbessert und den jeweils aktuellen Gegebenheiten angepasst. Wenn Kritik aber in Hass umschlägt und alles Konstruktive vermissen lässt und es nicht um eine Verbesserung, sondern einfach nur noch um die Zerstörung geht, dann ist ein Punkt erreicht, wo wir hier in unserem Parlament, in unserem Land, in Europa und in Brüssel für eines der stärksten Friedensprojekte kämpfen müssen – nicht kämpfen, wie die Ukraine mit schweren Waffen gegen einen Aggressor von außen kämpfen muss, sondern von innen heraus kämpfen, mit Überzeugung, Fakten und den Möglichkeiten, die ein freies Miteinander bieten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Werte Kolleginnen und Kollegen, nur in einem freien und diversen Miteinander werden wir uns für eine gelingende Zukunft aufstellen können, in einer Europäischen Union, in der wir unsere Konflikte regelbasiert und ohne ein nationalistisches „Ich zuerst!“ lösen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Und manchmal sind es eben vermeintlich kleine juristische Maßnahmen, die einen nicht unwesentlichen Anteil am Gelingen eines großen Kampfes für den Frieden in Europa haben.
Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)