Rede von Anja Hajduk Schuldenbremse

Zur Darstellung dieses Videos speichert Youtube Daten in einem Cookie und verarbeitet auch Nutzungsdaten außerhalb der EU. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

11.02.2021

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte heute um die Schuldenbremse finden wir gut, auch wenn wir den Antrag der AfD klar ablehnen. Wir Grüne haben das richtig und gut begründet gefunden, dass die Notfallklausel für den Haushalt 2021 in Anspruch genommen wurde. Wir haben also eine beträchtliche Neuverschuldung schon in 2020 und auch in 2021. Aber schließlich wissen wir auch heute: Die Wirtschaft ist im Jahr 2020 um 5 Prozent eingebrochen, die Steuereinnahmen sind um 53 Milliarden Euro zurückgegangen, die Coronapandemie ist eine außergewöhnliche Katastrophe, und insofern ist das begründet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU])

Aber bemerkenswert war auch, dass der Kanzleramtsminister Helge Braun vor gut zwei Wochen mit seinem Vorstoß den Mut hatte, die finanziellen Herausforderungen zu thematisieren, vor denen wir definitiv in den kommenden Jahren stehen. Und deswegen war das Zugeben von Helge Braun, dass die Schuldenbremse möglicherweise auch in 2022 nicht eingehalten werden kann, nicht skandalös, sondern schlicht ehrlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])

Auch Sie, Herr Bundesfinanzminister Scholz, haben ja letzte Woche deutlich gemacht: Wir werden auf den Pfad der Einnahmeentwicklung vor der Krise jetzt nicht kurzfristig zurückkehren können. – Dennis Rohde hat das auch gerade ehrlich zugegeben. Insofern hat Herr Scholz uns doch gesagt: Es kommt mit dem Eckwertebeschluss Mitte März, in einigen Wochen, zur sogenannten Stunde der Wahrheit.

Der uns bekannte normale gesetzliche Spielraum der Schuldenbremse, das Defizit von 0,35 Prozent des BIP, des Bruttoinlandsprodukts, wird aller Voraussicht nach für den Haushalt 2022 eben nicht reichen; außer – das schlägt die AfD vor; aber ich gehe mal davon aus, dass die CDU/CSU das nicht will – man will massiv in den erhofften Aufschwung 2022 hineinsparen. Das kann doch niemand wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man dann sagt: „Na gut, dann ziehen wir eben die Option der Notfallsituation für 2022 wieder“ – es deutet sich an, dass die Regierung quasi notfallmäßig diesen Weg wählt –, dann macht man das, obwohl man im Jahr 2021 eigentlich ein dreiprozentiges Erholungswachstum erwartet;

(Peter Boehringer [AfD]: So ist es!)

so die eigenen Zahlen der Bundesregierung. Ist das ehrlich? Ist das die ehrliche Debatte, die die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes verdient haben? – Ich finde, nein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Peter Boehringer [AfD])

Ich sage ganz klar für uns Grüne: Wir sind überzeugt: Wir brauchen ein verlässliches Zukunftsinvestitionspaket für die ganzen 20er-Jahre mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro. – Das sagen nicht nur wir Grüne, das hat auch das Institut der deutschen Wirtschaft gesagt, und die sind sicherlich nicht verdächtig, irgendwie einem stramm linken Lager zuzugehören. Auch hier redet man von Investitionen in einer Größenordnung von 450 Milliarden Euro für das nächste Jahrzehnt, und da kann man nicht einfach auf die laufenden Investitionen verweisen oder darauf, dass Investitionsmittel leider nicht abfließen.

Es geht hier um die Umstellung unserer Wirtschaft hin zu einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Es geht um die Transformation vor dem Hintergrund des Klimawandels und um die Digitalisierung der Wirtschaft. Liebe Union, es geht um eine riesige Zukunftsherausforderung. Diesen Investitionsbedarf sollten Sie nicht kleinrechnen. Da machen Sie einen Riesenfehler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um das verlässlich zu finanzieren, finde ich das Angebot, das Dennis Rohde gemacht hat, gut. Lassen Sie uns doch mal ehrlich und intelligent über die Schuldenbremse diskutieren!

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen wir das nicht gerade?)

Wir Grünen sagen im Unterschied zur Linken ganz klar: Wir wollen die Schuldenbremse nicht abschaffen. Das ist nicht unser Anliegen. Wir wollen eine nachhaltige Finanzpolitik. Unsere Haltung zur Schuldenbremse ist: Sie ist sogar richtig und wichtig, und wir wollen sie auch beibehalten, insbesondere für die konsumptiven Ausgaben.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wann kommt denn das Aber?)

Das wird schwer genug mit den laufenden Ausgaben, wenn wir die Sozialgarantie, das heißt, dass die Lohnnebenkosten bei höchstens 40 Prozent liegen, halten wollen.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wo holen wir jetzt die 450 Milliarden her?)

Auch das muss die Union wissen. Wenn wir jetzt die Schuldenbremse zur Diskussion stellen, dann wollen wir sie erweitern und ergänzen, und zwar gezielt um den Aspekt, den ich angesprochen habe, nämlich um eine Investitionsregel, damit man im nächsten Jahrzehnt kontinuierlich qualitativ und quantitativ die Zukunftsinvestitionen finanzieren kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist überfällig, dass wir eine ehrliche Investitionsrechnung in den Bundeshaushalt bringen. Deswegen plädieren wir Grüne für eine transparente und glaubwürdige Diskussion um die Schuldenbremse und für eine nachhaltige Finanzpolitik. Wenn wir einfach nur die Ausnahmetatbestände des Grundgesetzes ständig in Anspruch nehmen oder nachher nur darüber reden: „Wie legen wir das Grundgesetz aus?“, dann kommen wir in einen intransparenten Hickhack.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das ist unnötig und unverantwortlich. Deswegen hoffe ich, dass sich auch die Union dieser Diskussion öffnet.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Hajduk. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)