Rede von Dr. Janosch Dahmen Schutz gegen COVID-19

08.09.2022

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die heute als Gäste zuschauen! Es ist schon

erstaunlich, in welch atemberaubenden Tempo sich die Union von einem wissenschaftsbasierten Kurs verabschiedet hat. Da werden Nebelkerzen geworfen:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

fehlende Datengrundlage, Verabschiedung vom wissenschaftlichen Kurs. Ich kann weder erkennen, worauf in der vorliegenden Gesetzesnovelle Sie sich

beziehen, noch, wie Ihre Anträge dazu beitragen sollen, den Empfehlungen des Expertenrats, also von Wissenschaft, Rechnung zu tragen. Vielmehr muss ich sagen:

Die Oppositionsarbeit ist nur heiße Luft. Es gibt sicher Fehler, die in der Pandemie passiert sind und die kritisiert werden können, aber das, was hier

vorgelegt wird, ist weder eine Alternative, noch trägt es dazu bei, die Akzeptanz für das, was zur Bewältigung der Krise gemeinsam getan werden muss, wirklich

zu erhöhen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Dahmen, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion?

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gerne.

Emmi Zeulner

(CDU/CSU):

Lieber, sehr geschätzter Kollege Janosch Dahmen, danke, dass du die Zwischenfrage zulässt. – Da du ja von wissenschaftlichen Erkenntnissen

gesprochen hast, ist meine Frage: Wie argumentierst du wissenschaftlich, dass man die Maskenpflicht in Flugzeugen abschafft und im Fernverkehr beibehält?

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – Nezahat Baradari [SPD]: Nicht noch mal!)

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Kollegin Zeulner, für die Frage. – Sie gibt mir die Gelegenheit, noch einmal aufzuklären, wie es zu dieser Vereinbarung gekommen

ist und warum wir an dieser Stelle das Gesetz weiterentwickeln.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Wissenschaft! Es geht um Wissenschaft!)

Selbstverständlich interessiert sich das Virus nicht dafür, ob es sich im Bus, in der Bahn, im Auto oder wo auch immer unter den Menschen verbreitet.

Aber überall dort, wo Menschen zusammenkommen, gerade in Innenräumen, besteht weiterhin ein hohes Risiko, sich anzustecken. Deshalb ist es richtig, dort Maske

zu tragen und sich selbst und andere zu schützen.

(Carolin Bachmann [AfD]: Wissenschaft!)

Gleichwohl passen wir mit diesem Gesetz die Regeln für den Flugverkehr – oft grenzüberschreitend – an das an, was im übrigen Europa als überwiegender

Standard gilt, und erhalten uns über eine Rechtsverordnung weiter die Möglichkeit,

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Wissenschaft!)

darauf zu reagieren, sollte sich die Lage verschlimmern, und auch hier die Maskenpflicht wieder einzuführen. Gerade als Arzt kann ich aber nur

appellieren: Weiter auch im Flugzeug Maske tragen! Dass wir die Regeln an europäische Regeln anpassen, hat nichts mit unwissenschaftlich zu tun, sondern es ist

eine Harmonisierung, gerade auch im Sinne der Nachvollziehbarkeit, die von Ihnen hier wiederholt eingefordert wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU)

Lassen Sie mich aber zurückkommen zu dem, was eigentlich zu tun ist. Ich glaube, es ist entscheidend, noch einmal auf die vier Punkte zurückzukommen,

die der Minister eingangs erwähnt hat:

Punkt eins. Es ist jetzt entscheidend, dass wir die verbleibenden Wochen bis zum Herbst, wenn die Menschen wieder mehr in Innenräumen zusammenkommen,

nutzen, noch einmal Vollgas zu geben: mit einer Auffrischimpfkampagne, die wir in diesem Land brauchen, mit neuen Impfstoffen, die wir in ausreichender Zahl

beschafft haben, die explizit auch Menschen, die besonders gefährdet sind, davor schützen, an diesen neuen Virustypen schwer zu erkranken. Auch das Risiko,

andere anzustecken, wird nach geltender Datenlage deutlich reduziert. Wir werden das mit einer breit angelegten Kampagne noch einmal in den Vordergrund stellen,

um genau dafür zu werben, um die Menschen aufzuklären.

Wir werden – das ist Punkt zwei – nicht nur Impfstoffe, sondern auch Medikamente einsetzen, um schwere Krankheiten zu verhindern. Es ist ja richtig,

was hier in der Debatte angesprochen wurde, dass es ausgesprochen bedauernswert ist, dass wir in diesem Land im Sommermonat Juli erneut 3 000 Menschen wegen

Corona verloren haben. Es geht darum, hier gezielt Medikamente einzusetzen. Ich kann Ihnen nur raten: Gehen Sie in die Pflegeeinrichtungen, gehen Sie dorthin,

wo organisierte Wohnformen vulnerable Gruppen beheimaten, und fragen Sie einmal nach: Sind hier Menschen gestorben, schwer erkrankt, und wie häufig wurden die

Medikamente, die seit vielen Monaten zur Verfügung stehen, bisher eingesetzt? Sie werden feststellen: viel zu selten. Das ist skandalös. Es geht um jedes Leben,

was wir hier retten können. Das ist wichtig, und deshalb setzen wir diese Medikamente nach entsprechenden Regeln ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dritter Punkt. Anders als es hier von der Union gerade behauptet wurde, verbessern wir die Datengrundlage. Wir führen ein Pandemieradar ein, das

endlich dafür sorgt, dass wir nicht nur einen Indikator haben, sondern ein großes Maß an Datentransparenz. Wir nehmen die Versorgung im Gesundheitswesen

verstärkt in den Blick, verschaffen uns einen besseren Überblick über die Kapazitäten, indem wir betreibbare Betten nicht nur auf den Intensivstationen, sondern

auch auf den Normalstationen erfassen, indem wir durch einen Anschluss an das Notaufnahmeregister umfassende Daten zur Notfallversorgung erfassen, als

Sentinel-Programm, als Warnprogramm, um frühzeitig festzustellen, was passiert, indem wir Abwassermonitoring zusammen mit den Ländern flächendeckend einführen,

um neue Virusvarianten frühzeitig feststellen zu können. Das ist wissenschaftsgetrieben. Das ist datengetriebene Politik, die gezielt darauf reagiert, wo es

Gefahren gibt und wo Maßnahmen greifen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Letzter Punkt. Mit der Novelle des Infektionsschutzgesetzes setzen wir nicht dort an, wo Maßnahmen ungezielt erst zu einem Zeitpunkt, wenn die Lage

eskaliert, greifen, sondern mit einfachen wirkungsvollen Maßnahmen in der Breite: Masken, die Menschen vor Infektionen schützen, die dafür sorgen, dass wir erst

gar nicht in die Situation kommen wie im letzten Herbst, als ein Gesundheitsminister der Union erst reagiert hat und erst bereit war, wirklich für konsequente

Maßnahmen zu sorgen, als die Lage viel zu schlimm war, als Masken allein nicht mehr gereicht haben. Das machen wir anders. Ein breiter Basisschutz, eine

Rechtsgrundlage, die den Ländern ermöglicht, wenn es erforderlich ist, gezielt regional zu reagieren. Einheitlichkeit bedeutet nicht Gleichzeitigkeit, sondern

bedeutet gezielte Steuerung, und dem tragen wir mit einem gezielten Gesetz entsprechend Rechnung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

In diesem Sinne lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Pandemie ist nicht vorbei. Wir werden sehr wohl darauf, dass Kliniken, Pflegeeinrichtungen

wirtschaftliche Probleme haben, reagieren. Das machen wir aber nicht im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes, sondern im Rahmen der Haushaltsberatungen, des

GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes und gegebenenfalls auch eines Rettungspaketes für das Sozialwesen, in dem wir uns darum kümmern werden, auf die Not, die dort

herrscht, auch entsprechend gezielt zu reagieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU])

Zum Schluss. Die Pandemie hat uns allen im dritten Jahr viel abverlangt. Wir sollten darauf angesichts der multiplen Krisen, die uns darüber hinaus

begleiten, so reagieren, dass wir die Lage nicht schlimmer werden lassen. Das liefert dieses Gesetz. In diesem Sinne: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Ich

kann Sie von der Opposition angesichts der teilweise fragwürdigen Vorschläge nur dringend dazu auffordern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Dahmen. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Thomas Dietz, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)