Rede von Helge Limburg Sondertribunal zum russischen Angriffskrieg

Helge Limburg MdB
10.11.2022

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der russische Überfall auf die Ukraine ist in der Tat ein eklatanter und offenkundiger Bruch des Völkerrechts. Ich möchte gleich zu Beginn meiner Rede klarstellen: Es war und ist wichtig, dass in diesem Hause nicht nur die Koalition, sondern, Herr Kollege Krings, mit der Union auch die größte Oppositionsfraktion von Anfang an bis heute fest in Solidarität an der Seite der Ukraine stand und steht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Uns alle eint der Kampf für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Gerade auch diese Rechtsstaatlichkeit wird durch die russische Armee mit Füßen getreten. Niemand, Herr Kollege Krings, weder Sie noch jemand aus der Bundesregierung duckt sich in dieser Frage weg.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Dann machen Sie mit!)

In Wahrheit wissen Sie das auch selber.

Die russische Armee tritt den Rechtsstaat mit Füßen. Mit dem Überfall gehen zahlreiche weitere Verbrechen einher: Plünderungen, Vergewaltigungen, Morde, Angriffe auf Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Elektrizitätswerke, Wasserversorgung, Verschleppung von Menschen, Zwangsrekrutierung. Die russische Armee schreckt augenscheinlich vor keinem Verbrechen zurück. Diese Verbrechen sind allesamt justiziabel, nach ukrainischem Recht, nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch und in der Tat auch nach dem Statut von Rom. Für diese Verbrechen können nicht nur die unmittelbar Ausführenden zur Verantwortung gezogen werden, sondern auch die höheren Ränge, bis hin zur Staatsspitze, bis hin zu Wladimir Putin.

Komplexer ist in der Tat die Sachlage – Sie haben es ausgeführt, Herr Kollege Krings – bei dem Verbrechen der Aggression. Dieses kann vor ukrainischen Gerichten geahndet werden. Es kann nicht, nach derzeitiger Rechtslage, vor dem Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden. Es kann aber sehr wohl, Herr Krings, vor deutschen Gerichten geahndet werden. § 13 des Völkerstrafgesetzbuches stellt in der Tat auch das Verbrechen der Aggression unter Strafe

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wenn ein Deutscher beteiligt ist!)

und bedroht alle Beteiligten, auch die Staatsspitze, mit Strafe.

Das ist wichtig, um sich zu vergegenwärtigen, dass bezogen auf das Verbrechen der Aggression zwar eine Lücke bei der Kompetenz des Internationalen Strafgerichtshofs besteht, aber auch dieses Verbrechen bereits jetzt geahndet werden kann. Auch das ist Teil des Systems des internationalen Strafrechts.

Es gab in der Geschichte mehrfach internationale Tribunale, die Bergen-Belsen-Prozesse in Lüneburg, die Nürnberger Prozesse, das Tribunal für Verbrechen im früheren Jugoslawien, das Ruanda-Tribunal, das Tribunal für Verbrechen in Kambodscha, das internationale Gericht zur Ahndung des Anschlags von Lockerbie.

Nun fordern nicht nur die Ukraine, sondern in der Tat auch viele weitere Staaten, unsere Partnerländer, und der Europarat ein entsprechendes Tribunal zur Ahndung des russischen Angriffskriegs, so wie es die Union hier heute tut. Ein internationales Tribunal hätte in der Tat den Vorteil, dass nicht ein einzelner Staat, sondern die internationale Gemeinschaft über diesen Bruch der UN-Charta zu Gericht sitzen würde.

Andererseits bleibt zu bedenken: Seit dem Tribunal für das frühere Jugoslawien sind sämtliche von mir genannten Gerichte entweder durch Beschluss des UNO-Sicherheitsrates oder mit Zustimmung aller beteiligten Staaten eingesetzt worden. Sie haben es gesagt, Herr Krings: Dieser Weg ist bezogen auf Russland, vorsichtig ausgedrückt, wenig wahrscheinlich.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So kann man es auch sagen!)

Insofern müsste man einen anderen völkerrechtlich legitimierten Weg finden, um ein solches Tribunal international anerkannt einzusetzen.

Unabhängig von der Frage eines Sondertribunals gibt es eindeutige rechtliche Bewertungen des russischen Angriffskriegs. Die Ukraine hat den rechtlichen Weg zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag gesucht und in einem vorläufigen Beschluss bereits recht bekommen. Es ist abwegig, anzunehmen, dass in der Hauptsache eine andere Entscheidung fallen wird. Der Internationale Gerichtshof wird die russische Aggression eindeutig verurteilen. Es gibt Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs. Diese gilt es in jeder Hinsicht zu unterstützen. Der Strafgerichtshof ist auch eingesetzt worden, um aus dem System der Ad-hoc-Tribunale herauszukommen und die internationale Strafgerichtsbarkeit auf ein regelmäßiges Fundament zu stellen. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel ein Beitritt der Ukraine zum Internationalen Strafgerichtshof. Ob ein Sondertribunal in diesem Fall ein Weg sein kann, die internationale Strafgerichtsbarkeit zu stärken, sollten wir in den Ausschüssen sorgfältig, auch in Ansehung der Haltung unserer internationalen Partnerinnen und Partner, erwägen.

Ich danke für das Aufsetzen der Debatte. Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Nächste Rednerin ist für Die Linke Caren Lay.

(Beifall bei der LINKEN – Stephan Brandner [AfD]: Tosender Beifall von den drei Leuten!)