Rede von Sven-Christian Kindler Sondervermögen Bundeswehr
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Welt ist seit dem schrecklichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine andere. Damit wurden drei Jahrzehnte europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur aufgekündigt, und zwar einseitig durch die brutale Invasion von Wladimir Putin. Deswegen stellen sich für uns in Deutschland und für mich sowie meine Fraktion jetzt viele sicherheits- und außenpolitische Fragen neu.
Natürlich müssen wir auch klären, welche Aufgaben, welche Funktionen und welche Möglichkeiten die Bundeswehr jetzt und in Zukunft haben soll. Deswegen ist unsere Fraktion auch sehr klar: Wir brauchen in diesen Zeiten eine gut ausgestatte Bundeswehr und eine Stärkung unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. Genau dafür dient dieses Sondervermögen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Klar ist, dass Sicherheitspolitik in diesen Zeiten natürlich auch eine vernetzte Sicherheitspolitik sein muss. Diesen Sicherheitsbegriff hat auch nicht diese neue Regierung erfunden; das war auch schon ein Sicherheitsbegriff, den die alte Regierung unter Kanzlerin Merkel verfolgt hat und den übrigens auch die NATO verfolgt. Es war schon immer so, dass NATO-Ausgaben, die natürlich die Streitkräfte, aber darüber hinaus auch weitere Bereiche betreffen, in die Quote eingerechnet werden. Das machen sehr viele Länder in der NATO genauso, weil das auch sinnvoll ist.
Wir erleben gerade viele Cyberangriffe auf Deutschland – auf Windenergieanlagen, auf kritische Infrastruktur –, und natürlich ist klar: Die Abwehr gegen Cyberangriffe ist in unserem sicherheitspolitischen Interesse, und darin müssen wir investieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Die Außenministerin hat es angesprochen: Natürlich brauchen wir in Deutschland auch einen modernen Digitalfunk bei der Bundeswehr und eine moderne Verschlüsselungstechnik für unsere Sicherheitsinstitutionen. Die Mittel für die Ertüchtigung von Partnerstaaten, wie zum Beispiel für die Waffenlieferungen an die Ukraine, werden nicht aus dem Etat der Bundeswehr finanziert, sind im Rahmen der NATO-Quote aber natürlich anrechenbar. Das Sondervermögen für Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr soll eben in die Ausgaben, die unter die NATO-Quote fallen, einbezogen werden.
Ich will noch einmal sagen – auch zur Union, zu Herrn Middelberg –: Mittel für Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung vom Auswärtigen Amt und vom Bundesentwicklungsministerium waren auch in der Regierung Merkel schon anrechnungsfähig auf die NATO-Quote und wurden auch von der Regierung Merkel nach Brüssel, an die NATO, gemeldet. Ich verstehe nicht, warum Sie das jetzt hier infrage stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil er das gar nicht weiß!)
Die Verteidigungsministerinnen und ‑minister der letzten 16 Jahre waren Franz Josef Jung, Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, Thomas de Maizière, Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer. Der Bundeswehretat ist in dieser Zeit erheblich gestiegen – von 32 Milliarden Euro in 2014 auf jetzt 50 Milliarden Euro –, und die Bundesverteidigungsministerin hat beschrieben, in welch bescheidener, zum Teil desolaten Lage die Ausrüstung und Ausstattung sind, so bescheiden, dass jetzt nur ganz wenige Waffen aus den Beständen der Bundeswehr geliefert werden können. Herr Middelberg, Sie sagen, unsere Fraktion wäre die einzige Fraktion, die sich bei diesem Verfahren nicht bewegen würde. Ich würde mir einfach mehr Demut und mehr Selbstreflexion wünschen, wenn wir auf die letzten 16 Jahre Verteidigungspolitik der Union blicken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Worum es jetzt auch gehen muss, ist, dass wir nicht über symbolische und abstrakte Quoten diskutieren, sondern darüber reden, wie wir diese 100 Milliarden Euro, die sehr viel Geld sind, sinnvoll ausgeben. Deswegen darf es hier auch keine Schnellschüsse geben, sondern wir brauchen in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern und den Bündnispartnern in der NATO sehr konkrete Entscheidungen: Welche Fähigkeiten braucht die Bundeswehr? Wer soll das machen? – Und es muss auch klar sein: Was macht Deutschland? Was machen andere Partner? – Das muss sehr gut abgestimmt sein, und am besten macht man das in gemeinsamen Projekten.
Dafür braucht man am besten auch ein Beschaffungswesen, wie es das in den letzten 16 Jahren eben nicht gab. Das Beschaffungswesen muss dazu führen, dass wir sinnvoll Geld einsetzen, dabei aber nicht die Dividenden der Rüstungsindustrie erhöhen. Das kann nicht das Ziel bei diesem Sondervermögen sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Deswegen sind wir dafür, dass komplexe und große Beschaffungsprojekte darüber finanziert werden und dass wir das, was bei der Bundeswehr mit der Taskforce schon begonnen wurde, auch weiterführen. Das können erste Schritte sein. Wir sind noch lange nicht am Ende dabei, das Beschaffungswesen der Bundeswehr neu aufzustellen, damit wirklich sinnvolle Beschaffungsprojekte organisiert werden.
Wir begrüßen es sehr, dass sich die Union jetzt dem gemeinsamen Antrag der Ampel anschließt, sodass wir morgen ein sehr starkes gemeinsames Signal an Deutschland, an Europa und in die Welt senden, dass wir die Ukraine gemeinsam und solidarisch humanitär, finanziell, aber auch mit Waffenlieferungen unterstützen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Ich wünsche mir sehr, dass wir bei diesem Sondervermögen in den nächsten Wochen in gemeinsamen Gesprächen zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Das Kabinett hat dafür einen guten Beschluss vorgelegt, und die Frage ist jetzt eben: Wollen Sie hier in die Verantwortung gehen, oder wird nachher Parteitaktik bestimmen? Diese Entscheidung müssen Sie treffen. Wir sind zu Gesprächen bereit.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)