Rede von Sven-Christian Kindler Stabilisierungsfondsgesetz

Foto von Sven-Christian Kindler MdB
14.10.2022

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in der schwersten Krise seit Jahrzehnten. Die Coronapandemie ist noch lange nicht vorbei, und die Klimakatastrophe und das Artensterben eskalieren immer mehr. Wir haben diesen Sommer gesehen, was das heißt: Waldbrände in Brandenburg, Waldbrände im Harz, der Rhein ist ausgetrocknet, verdorrte Felder, die schlimmste Dürre seit 500 Jahren in Europa.

(Lachen bei der AfD)

Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, führt das russische Regime einen brutalen Angriffskrieg gegen die demokratische Ukraine.

(Zuruf von der AfD: Es lebe die Ersatzreligion!)

Das führt zu einer harten Krise auch fossiler Energie in Europa; denn der russische Diktator Wladimir Putin nutzt fossiles Gas, um die demokratischen Unterstützer der Ukraine zu spalten und unsere Gesellschaft zu destabilisieren. Aber wir sagen sehr klar: Das werden wir als Koalition nicht zulassen. Wir unterstützen weiterhin die Ukraine. Wir lassen uns von Wladimir Putin nicht spalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir haben als Ampelkoalition in den letzten Monaten zentrale Antworten auf Putins hybride Kriegsführung gegeben: Wir haben die Gasspeicher zu 95 Prozent gefüllt. Wir haben im Bundestag das größte Paket für erneuerbare Energien seit Jahrzehnten beschlossen. Wir haben drei Entlastungspakete – der Staatssekretär hat darauf hingewiesen – in Höhe von 95 Milliarden Euro beschlossen. Heute legen wir eine weitere zentrale Antwort vor, einen 200 Millionen Euro schweren Abwehrschirm. Wir machen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds einen Fonds zur Stabilisierung unserer Gesellschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das sind 200 Milliarden Euro, die direkt ankommen, die unsere Gasversorger stabilisieren, die Industrie stabilisieren, die kleinen und mittleren Unternehmen helfen, sozialen Einrichtungen und Kommunen und vor allem die Bürgerinnen und Bürger vor den schlimmsten Folgen der fossilen Preissteigerung schützen. Wir sagen sehr klar: Wir lassen in der Krise niemanden allein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Deswegen schlagen wir vor, dass 200 Milliarden Euro an neuen Krediten im Rahmen der Regeln des Grundgesetzes, Artikel 115, noch 2022 aufgenommen werden, um die Maßnahmen gegen die fossile Inflation bei Gas, Fernwärme und Strom zu finanzieren. Wir machen das noch in diesem Jahr in voller Höhe, um auch Verlässlichkeit und Überjährigkeit zu garantieren; denn diese Mittel sollen für mehrere Jahre bis Frühjahr 2024 oder Mitte 2024 zur Verfügung stehen. Wir gehen damit auch finanziell jetzt in Vorleistung, weil es notwendig ist, und zeigen damit, dass wir in der Krise mit einer aktiven Finanzpolitik jenseits ideologischer Borniertheit pragmatisch und entschlossen handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich bin den Mitgliedern der Expertenkommission für Gas und Wärme dankbar, dass sie jetzt unter wirklich extremem Zeitdruck einen Zwischenbericht vorgelegt und einen komplexen Vorschlag erarbeitet haben, der eine weitere gute Grundlage für unser parlamentarisches Verfahren ist. Natürlich ist es klar, dass wir uns im parlamentarischen Verfahren die Vorschläge auch noch mal angucken müssen; das ist unsere Aufgabe im Parlament. Es wird mit Sicherheit noch ein paar rechtliche Fragen geben; es geht um technische Details. Natürlich werden wir an manchen Stellen auch politisch eigene Akzente setzen müssen, zum Beispiel bei der Frage einer Obergrenze insbesondere im Bereich der Industrie.

Wir müssen auch noch einmal über das Thema Energieeffizienz und Sparanreize reden. Denn eines ist auch klar: Neben der Subventionierung der Preise brauchen wir auch eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung zum Sparen von Gas. Das Signal kann jetzt auch nicht sein, mit dem Preis sei schon alles gut. Wir müssen weiterhin zentral in dieser Krise Gas einsparen, um eine gefährliche Gasmangellage insbesondere für die Industrie zu verhindern. Darum geht es auch in diesem Winter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Middelberg, Sie haben gesagt, die Union unterstützt im Kern die Vorschläge zur Strom- und Gaspreisbremse. Gleichzeitig haben Sie gesagt, aber die Finanzierung unterstützen Sie nicht. Was wollen Sie denn stattdessen? Sie müssen auch konkrete Vorschläge machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Nur kritisieren geht da nicht. Wollen Sie Steuern erhöhen? Wollen Sie Sozialkürzungen? Was wollen Sie konkret? Sie müssen konkret hier im Parlament sagen, was Sie wollen. Das wäre seriöse Finanzpolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Eine seriöse Finanzpolitik wäre, wenn man erst mal sagt, was man will, und dann über die Finanzierung redet!)

Herr Middelberg, Sie haben auch die Atomkraft angesprochen. – Herr Merz, Sie sind heute auch hier. Sie haben noch drei Tage vor der Landtagswahl in Niedersachsen gesagt – Herr Middelberg und ich kommen beide aus Niedersachsen und wissen also sehr gut, wie die Lage dort ist –: Die Wählerinnen und Wähler entscheiden in dieser Volksabstimmung auch über die Atomkraft. – Das Ergebnis ist bekannt: Die CDU hat das schlechteste Ergebnis seit 65 Jahren, die Grünen haben ihr historisch bestes Ergebnis, die stärkste Kraft ist die SPD geworden. Es wird jetzt eine rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen geben. Herr Merz, die Wählerinnen und Wähler haben bei dieser Volksabstimmung über Atomkraft sehr klar entschieden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Liebe Union, lasst uns mal ehrlich reden: Warum sind wir in dieser fossilen Energiekrise? Das liegt auch daran, dass wir 16 Jahre Energiepolitik der Union hatten.

(Lachen bei der CDU/CSU)

– Da müssen Sie gar nicht lachen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was haben wir denn 2005 übernommen von Ihnen? Gar nichts!)

Ich komme zu den Fakten. Wir erinnern uns alle noch an den Altmaier-Knick bei der Solarenergie. Wir wissen auch, dass Sie, wo es ging, versucht haben, jedes Windrad zu blockieren.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Mein Gott!)

Unter der Führung von Angela Merkel wurden die Gasspeicher in Rehden an Gazprom verkauft.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Kommen Sie mal raus aus Ihrer grünen Blase!)

Unter der Führung von Angela Merkel wurde PCK Schwedt an Rosneft verkauft. Nord Stream 2 wurde dafür von Angela Merkel vorangetrieben.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das war Gerhard Schröder!)

Es waren Ihre 16 Jahre Regierungszeit, die uns in diese Misere gebracht haben. Wir räumen jetzt mit Hochdruck auf, was Sie uns alles hinterlassen haben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: So ein Blödsinn! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Völliger Schwachsinn!)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.

(Beifall bei der LINKEN)