Rede von Annalena Baerbock Steuerliche Entlastung von Familien

11.10.2018

Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegin Lisa Paus hat ja schon darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz eigentlich ein Gesetz zur kalten Progression ist. Da Sie, Frau Schön, jetzt so betont haben, dass wir doch gemeinsam im Sinne der Familien dazu beitragen sollen, Familienpolitik zu unterstützen, möchte ich gern auf diesen Punkt noch mal dezidiert eingehen; denn genau der treibt uns um.

Was haben wir denn gerade für eine Situation in unserem Land? Wir haben die Situation, dass das Vertrauen in Demokratie, das Vertrauen in Politik massiv angeschlagen ist. Deswegen sollte es in unser aller Sinne sein – als Demokraten dieses Landes –, dieses Vertrauen endlich wiederherzustellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da hilft es eben nicht – das ist unsere tiefste Überzeugung –, wenn man den Menschen was verkauft, was erst mal toll klingt, aber wo am Ende dann ganz viele, die sich auf Politik verlassen haben, feststellen: Das kommt gar nicht bei ihnen an. – Das gefährdet Vertrauen in Politik und damit auch in unsere Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE] – Michael Schrodi [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

– Jetzt schreien Sie da schon wieder „Quatsch“ rein. Lassen Sie uns doch bitte einmal sachlich miteinander in der Debatte reden.

(Michael Schrodi [SPD]: Ich habe es Ihnen doch vorher gesagt, wie sich die Grünen verhalten haben!)

– Ja, dann hören Sie mir doch einmal zu.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das können die Grünen ja auch besonders gut, einfach mal anderen zuhören!)

Dieses Gesetz entlastet Familien im Mittelstand und mit hohem Einkommen. Das ist gut; wir wollen eine Kinderförderungspolitik betreiben. Sie zitieren hier immer den Jamaika-Vertrag. Das freut uns ja, dass wir der Maßstab für Ihre Koalition sind.

(Michael Schrodi [SPD]: Eben gerade nicht!)

Aber bitte lesen Sie dann nicht nur Seite 12, Herr Schrodi, sondern lesen Sie dann auch alle Seiten, die wir damals mitverhandelt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Schrodi [SPD]: Das haben wir sehr genau getan! Da steht viel Beklagenswertes drin!)

– Jetzt hören Sie doch mal bitte auf, hier so rumzuschreien!

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das gehört zur parlamentarischen Praxis dazu!)

Da steht nämlich: Wir brauchen eine Erhöhung des Kindergeldes und auch des Kinderfreibetrages. – Aber wir haben eben auch deutlich gemacht – mit Ihnen, Frau Schön –, dass dies auch bei Kindern aus armen Familien ankommen muss. Das geschieht mit diesem Gesetz eben nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen doch alle Kinder und alle Familien in den Mittelpunkt stellen, damit nicht ein Teil der Familien, die dieses Gesetz lesen, sagt: Oh Gott, bei mir kommt es gar nicht an. – Und das sind viele: Das sind 3 Millionen Kinder, die Sie mit diesem Gesetz außen vor lassen. Das ist der Punkt, den wir hier kritisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen gar nicht so rumschreien; Sie schreiben es in Ihrem eigenen Gesetzentwurf. Lesen Sie bitte Seite 2 Ihres eigenen Gesetzentwurfes. Dort steht:

Die Erhöhung des Kindergeldes hat Auswirkungen auf die Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Das erhöhte Kindergeld führt bei einer Anrechnung auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu Einsparungen im SGB II in Höhe von … 130 Millionen Euro …

Dann geht es so noch weiter. Da schreiben Sie schwarz auf weiß: Dieses Geld kommt bei Kindern im SGB-II-Bezug nicht an. – Das müssen Sie dringend ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael Schrodi [SPD]: Da gibt es den Kinderzuschlag!)

Es gibt eben, Herr Steininger, nicht nur die Ida, deren Eltern arbeiten, sondern es gibt auch Hunderttausende von Idas, deren Eltern derzeit leider nicht arbeiten, und die sind auf einen Kinderzuschlag angewiesen, wegen dem Sie, Herr Schrodi, hier die ganze Zeit rumschreien.

Aber leider ist die automatische Auszahlung des Kinderzuschlags eben nicht in diesem Gesetzentwurf mit drin; dafür haben wir in den Jamaika-Verhandlungen massiv gestritten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und warum haben wir dafür so massiv gestritten? Frau Schön, Sie haben es selber gesagt: Sie haben zwei kleine Kinder. Ich auch. Wir alle wissen, wie das ist, wenn die Kinder mit löchrigen Gummistiefeln in die Kita müssen. Wir alle wissen, wie das ist, wenn ein Kind nicht zum Kindergeburtstag kommt, weil die alleinerziehende Mutter sagt: Ich kann mir das am Ende des Monats nicht leisten.

Deswegen: Sie können hier keine Zeit vergeuden. In dieses Gesetz gehören die automatische Auszahlung des Kinderzuschlages und eine Erhöhung der Kinderregelsätze beim SGB-II-Bezug hinein; denn auch 15‑jährige Jungs im Teenageralter haben es verdient, zu diesem Land und zu dieser Familienpolitik dazuzugehören. Das ist im Sinne der Demokratie und im Sinne von uns allen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)