Rede von Canan Bayram Strafrecht

Foto von Canan Bayram MdB
26.01.2023

Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Senatorin! Es freut mich natürlich, dass wir hier auch die Berliner Perspektive berücksichtigt haben, und ich kann insoweit all das bestätigen, was die Berliner Justizsenatorin hinsichtlich der Ersatzfreiheitsstrafe vorgetragen hat.

Meine Damen und Herren, für uns als Fortschrittskoalition ist klar: Eine moderne Gesellschaft braucht ein modernes Strafrecht. Historisch überholte Tatbestände, Wertungswidersprüche und die unnötige Überlastung der Justiz müssen endlich ein Ende haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Es kann nicht sein, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte sich mit Handlungen beschäftigen, die nicht als strafwürdig erachtet werden.

(Zuruf des Abg. Axel Müller [CDU/CSU])

Deswegen werden wir entkriminalisieren, wir werden liberalisieren, und wir werden legalisieren, und ich freue mich schon darauf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Unser Strafgesetzbuch ist mehr als 150 Jahre alt. Seitdem sind immer wieder neue Tatbestände dazugekommen. Deswegen ist es endlich Zeit, zu entmisten, meine Damen und Herren; denn wir als Gesellschaft müssen doch klären, was wir weiterhin als gerecht empfinden und was nicht.

Wir müssen dabei hinschauen: Wenn das Parken ohne Parkschein eine Ordnungswidrigkeit ist, dann stellt sich doch die Frage, warum das Fahren ohne Fahrschein eine Straftat sein soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

Wenn genießbare Lebensmittel im Mülleimer landen, dann darf deren Rettung doch keine Straftat sein.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Lieber Herr Kollege Jung, insoweit haben Sie mich jetzt ermutigt, dass wir mit Ihnen weiter diskutieren, wenn Sie sagen: Das hat im Strafrecht nichts zu suchen. – Genau das sagen wir doch auch:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN und der Abg. Dr. Zanda Martens [SPD])

Raus aus dem Strafrecht! Lassen Sie uns die Lebensmittelretter/-innen doch wirklich würdigen.

Wenn das Bier, das ja in Bayern auf dem Oktoberfest immer besonders gerne fließt, legal sein darf, dann darf doch der Besitz von Cannabis in meinem Wahlkreis in Friedrichshain-Kreuzberg

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

keine Straftat sein, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Dieses schreiende Unrecht müssen wir endlich beenden.

(Stephan Brandner [AfD]: Das schreiende Unrecht steht da am Rednerpult und nirgendwo anders!)

Letztlich ist doch klar: Vor dem Gesetz sind alle gleich. Aber dieser Anspruch muss auch gelebt werden.

(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Wir können uns nicht damit abfinden, dass Menschen für ihre Armut auch noch bestraft werden. Wenn es sich um Straftaten handelt, die in wissenschaftlich erforschtem Zusammenhang mit Armut stehen, dann müssen wir die Armutsbetroffenen unterstützen und dürfen sie nicht bestrafen, indem wir ihnen Geldstrafen auferlegen, die sie einfach nicht bezahlen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Diese Menschen landen in Ersatzfreiheitsstrafen.

Das klingt vielleicht gar nicht so viel für manche von Ihnen: 15 Euro am Tag. Aber, meine Damen und Herren, es kostet die Steuerzahler/-innen 150 Euro am Tag, diese Menschen in Haft zu nehmen. Das ist falsch, und das wollen wir ändern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Carmen Wegge [SPD] – Clara Bünger [DIE LINKE]: Dann müssen Sie das mal anpacken!)

Der Freiheitsfonds hat sich vorgenommen, Menschen aus der Ersatzfreiheitsstrafe herauszukaufen. 6,8 Millionen Euro hat er den Ländern schon an Haftkosten erspart. Aber seien wir doch mal ganz ehrlich: Das ist doch nicht die Aufgabe dieser Institution, sondern es ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber, die Gesetze so zu schaffen, dass diese Menschen nicht freigekauft werden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir wollen das ändern; das Gesetz ist auf dem Weg. Wir erhoffen uns davon natürlich auch, dass Kapazitäten im Haushalt für Justiz für die Strafverfolgung frei werden und dass wir damit die wirklichen Kriminellen wie zum Beispiel im Zusammenhang mit Wirecard und Cum-ex überführen und auch hinter Gittern sehen.

(Thomas Seitz [AfD]: Fragen Sie mal beim Herrn Scholz nach! Vielleicht weiß er was dazu!)

Auch der Zugang zu einem Rechtsbeistand muss stärker gewährleistet werden. Daher ist es richtig, dass armutsbetroffene Menschen tatsächlich finanzielle Unterstützung bekommen, damit sie sich Anwälte leisten können. Denn ohne Verteidiger/-innen wird es schwer, sich zur Wehr zu setzen. Da sie sich diese nicht leisten können, müssen wir prüfen, inwieweit wir die Pflichtverteidigung und die Prozesskostenhilfe in Einklang mit EU-Recht ausweiten; denn das wäre wirklich gerecht.

Da Sie hier die ganze Zeit dazwischenschreien, Herr Brandner, kann ich Ihnen nur sagen:

(Stephan Brandner [AfD]: Ich sage doch gar nichts! Ihr Konzept ist falsch! Ich sage doch gar nichts! – Zuruf von der CDU/CSU: Er hat doch gar nichts gesagt! – Gegenruf des Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Es steht aber so im Manuskript!)

Es ist Ihr Recht, sich weiter zu blamieren, so wie Sie es ja schon vor zwei Tagen vor dem Bundesverfassungsgericht hingekriegt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Ich glaube, sie mag mich!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Bayram. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Seitz, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)