Rede von Bernhard Herrmann Strukturwandel in Kohleregionen

Bernhard Herrmann
15.11.2023

Bernhard Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag der Union zeigt mal wieder die komplette Vergangenheitsvergessenheit der Union. Sie haben den Pariser Klimazielen zugestimmt, und Sie waren es, die die nationalen Klimaziele festgelegt haben. Das waren richtige und wichtige Schritte. Zugleich aber haben Sie es jahrelang versäumt, die zur Erzielung dieser Klimaziele konkreten Maßnahmen auch nur einigermaßen konsequent anzugehen. Die Ampelregierung dagegen arbeitet aktiv mit sehr vielen Maßnahmen gleichzeitig daraufhin, die Klimaziele doch noch zu erreichen.

(Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nicht umsonst fehlt wahrscheinlich zurzeit der Kollege Heilmann, der sonst für eine straffe Klimaschutzgesetzgebung steht.

Und, welche Reaktion kommt von der Union? Bitte nicht zu schnell machen, nicht zu viel machen. – Ich glaube es einfach nicht!

Vizepräsidentin Petra Pau:

Herr Kollege Herrmann, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Rohwer?

Bernhard Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, sehr gern.

Lars Rohwer (CDU/CSU):

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ihr Kollege und Staatssekretär Kellner hat hier vorhin ausgeführt, dass die Bundesregierung uns alle Unterlagen zur Versorgungssicherheit vorgelegt hat. Ich möchte Sie fragen, wann wir jetzt den letzten Bericht dazu bekommen. Sie wissen, dass in § 54 Kohleverstromungsbeendigungsgesetz umfangreiche Zwischenstopps und Berichte festgelegt sind. Auf der Website des BMWK – ich habe gerade noch mal nachgeschaut – steht, dass dieser Bericht im ersten Quartal 2023 fertiggestellt und dann vorgelegt wird. Bis heute ist er nicht veröffentlicht. Ich habe im August in einer schriftlichen Frage das BMWK gefragt, wann dieser Bericht vorgelegt wird. Da wurde mir mitgeteilt, dass es noch dauern wird, weil es ein schwieriger Prozess ist.

Jetzt hat Herr Kellner hier gesagt, dass alles vorgelegt worden ist. Ich frage Sie als Abgeordneten im Parlament – es geht ja um eine gesetzliche Frist, die am 15. August 2022 abgelaufen ist –: Wann wird dieser Bericht vorgelegt? Was können Sie uns als Abgeordneter der Koalition dazu sagen?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bernhard Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Rohwer, für uns und für mich ist es essenziell, dass wir uns an gesetzliche Rahmenbedingungen halten. Wir wissen andererseits – das hat auch die heutige Debatte gezeigt –, wie diffizil diese Frage zur Zeit des Kohleausstiegs unter diesen besonderen Bedingungen der nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine massiv verschärften internationalen Lage ist. Auch hier geht Qualität vor Geschwindigkeit. Aber ich bin ganz bei Ihnen: Wir sind auch hier für die Einhaltung der Regeln und Gesetze, im Übrigen auch des Klimaschutzgesetzes.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Und, was folgt daraus? – Sepp Müller [CDU/CSU]: Dann legt doch endlich den Bericht vor! Ihr seht doch, dass es nicht funktioniert!)

Sie, liebe Union, meinen, zügiges Handeln bräuchte es nicht – so lese ich es in Ihrem Antrag –, wir hätten Zeit. Dann sagen Sie mir mal, wie Sie die Klimaziele erreichen wollen. Darum geht es auch; das ist auch gesetzlich vorgeschrieben – dank Ihres eigenen Klimaschutzgesetzes.

Als die Große Koalition den Kohleausstieg für 2038 beschlossen hat, war das Klimaschutzgesetz noch viel zu schwach. Erst unter dem Druck der Klimaschutzbewegung hat die Union das Gesetz angepasst und die geplanten Emissionen im Energiesektor tatsächlich um 40 Prozent gekürzt. Aber zur Umsetzung keinerlei Antwort.

Energieökonomen sind sich mit der Antwort aber weitgehend einig: Die Klimaziele kann man nur mit einem Kohleausstieg deutlich vor 2038 erreichen. Sie sind sich auch weitgehend einig, dass der Kohleausstieg so oder so – das haben wir heute gehört – marktgetrieben kommen wird, und zwar deutlich vor 2038. Warum ist das so? Schon jetzt sehen wir doch, wie sich Strom aus Sonne und Wind durchsetzt. Der CO2-Preis im europäischen Emissionshandel – er liegt heute bei fast 80 Euro pro Tonne – steigt weiter an. Kohlestrom – das ist schon heute klar – wird sich einfach nicht mehr rentieren.

Seien Sie ehrlich, und machen Sie den Menschen im Land und erst recht in den Regionen und Revieren nichts vor! Es sind die von Ihnen und uns allen verantworteten Maßnahmen gegen den Klimawandel, europaweit, die den Kohleausstieg marktgetrieben immer näher rücken lassen. Machen Sie doch den Menschen keine trügerische, falsche Sicherheit vor! Erzählen Sie den Menschen doch nicht, dass Sie es in der Hand hätten – genauso wie wir es nicht in der Hand haben –, zu bestimmen, wann marktwirtschaftliche Unternehmen aussteigen! Im Jahr 2038 haben Sie nicht in der Hand.

(Zuruf von der AfD)

In der Marktwirtschaft ist es einfach so: „It’s the economy, stupid!“ Wir aber wollen nicht, dass die Kohlereviere überrascht, kalt erwischt werden. Die Menschen brauchen Planbarkeit. Deswegen müssen und werden wir alles beschleunigen, was für einen real erwartbaren Kohleausstieg gebraucht wird. Ihr Versprechen auf 2038 hingegen könnte sich schnell als ungedeckter Scheck erweisen.

Die Menschen in der Lausitz und bundesweit haben den Anspruch, dass durch den Kohlebergbau verursachte Schäden auch durch die Betreiber, die Nutznießer des Bergbaus, behoben werden. Der Aufwand hierfür beträgt viele Milliarden Euro – gerade angesichts der ungeklärten Wasserfrage, die sich mit jedem Jahr Tagebaubetrieb verschärft, kaum bezifferbar.

Die Union hat es über Jahrzehnte in den Kohleländern versäumt, die insolvenzsichere Finanzierung durch die Bergbaubetreibenden sicherzustellen. Im Koalitionsvertrag hat die Ampel das Stiftungsmodell nicht umsonst ins Gespräch gebracht; und wir werden das weiter verfolgen.

Liebe Union, ich danke Ihnen, dass Sie nun das Thema aufgemacht und somit aus der Tabuzone geholt haben. Viele Ihrer Fragen aber fallen in der Tat aufgrund der Vergangenheit auf Sie zurück.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Herr Kollege.

Bernhard Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Unsere Einladung: Lassen Sie uns diese großen Herausforderungen gemeinsam angehen!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Lechte [FDP])

Vizepräsidentin Petra Pau:

Ich bitte um die notwendige Aufmerksamkeit für den voraussichtlich letzten Redner in dieser Debatte: Dr. Markus Reichel für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)