Rede von Sylvia Kotting-Uhl Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Kollegen von der AfD, egal was Sie vorlegen: Man fragt sich, ob Sie eigentlich die letzten 60 Jahre im Winterschlaf verbracht haben.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Haben Sie denn gar nichts mitbekommen von notwendig gewordenen Veränderungen, von gesellschaftspolitischen Entwicklungen? Egal ob die Gleichstellung, die Globalisierung, die großen Atomunfälle oder die Klimaveränderung: Alles scheinen Sie verschlafen zu haben. Immer öfter greifen Sie die Grundlagen des Rechtsstaats an, weil Sie sie nicht verstehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Dirk Spaniel [AfD])
Das Verbandsklagerecht ist eine großartige zivilgesellschaftliche Errungenschaft, weil es ermöglicht, Rechte der Allgemeinheit einzuklagen. Mit dem 2006 in Kraft getretenen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz wurde dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen vor Gericht eine Stimme gegen rein wirtschaftliche Interessen gegeben. Was für ein großartiger und dringlicher Fortschritt! Aber Sie verstehen das nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Ich sage nur: Toyota!)
Ihr Gesetzentwurf will klagebefugte Umweltvereinigungen und die darin engagierten Bürgerinnen und Bürger so gängeln, dass eine effektive Arbeit nahezu unmöglich wird. Die Abmahntätigkeit von Verbänden empört Ihr Anstandsgefühl. Dabei lassen Sie aber völlig außer Acht, dass eine Abmahnung ja immer auf rechtswidriges Verhalten folgt. Sie zielen auf die Schwächung des Verbraucherschutzes und solidarisieren sich mit denjenigen, die sich rechtswidrig verhalten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sieht es aus!)
Sowohl die von Ihnen geforderte Erhöhung der erforderlichen Mitgliederzahl als auch die Aushöhlung der Finanzierung der Umweltverbände haben nur eines im Sinn: die Schwächung der demokratischen Teilhabe.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wer 60 Jahre verschlafen hat, legt einen Gesetzentwurf wie diesen vor: europarechts- und völkerrechtswidrig; denn sowohl das Europarecht wie auch das Völkerrecht sehen vor, dass das Umweltrecht auch mit Mitteln der gerichtlichen Verfahren effektiv durchzusetzen sein muss.
(Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD])
Verbände wie die DUH setzen sich für die Durchsetzung des Rechts ein – mit Erfolg. Die DUH hat bisher noch keine Klage verloren. Aber für die AfD sagt das nichts über die Berechtigung des Anliegens aus, sondern über die besondere Bösartigkeit des Klägers. Recht und Gesetz spielen für Sie so wenig eine Rolle wie Wissenschaftlichkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Zumindest Letzteres gilt leider auch für andere in diesem Haus.
Vielleicht wären ja selbst manchem in der AfD die eigenen Vorlagen peinlich, wenn nicht sogar ein Minister der amtierenden Bundesregierung Ihnen mit seinen verdrehten politischen Maßstäben den Weg bereiten würde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wie gefährlich entfernt sich ein Minister von sachlichen Grundlagen, wenn er frohlockt, nun kämen endlich Fakten in die Stickoxiddebatte, allein aufgrund der Einzelmeinung eines wild gewordenen Facharztes, der nie wissenschaftlich publiziert hat,
(Widerspruch von der AfD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und 100 Kollegen!)
aber mal eben den gesamten Forschungsstand zu Luftschadstoffen infrage stellt,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Was Ihnen nicht passt, gehört nicht hinein!)
dessen vermeintliche Expertise sich nun als von Rechenfehlern und falschen Ausgangswerten gespickt herausstellt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wer die Arbeitskraft eines ganzen Ministeriums zur Verfügung hat, der sollte, bevor er die gesamten Grundlagen der Grenzwerte infrage stellt, sein Ministerium erst einmal die Rechnung eines Dr. Köhler überprüfen lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die gesamte Debatte um die Luftschadstoffe hat völlig den Boden verloren.
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Hat den Boden endlich erreicht!)
Dazu haben Sie von der Union und der FDP kräftig beigetragen. Sie haben ein Klima geschaffen, in dem eine betrügerische Automobilindustrie plötzlich Welpenschutz braucht, in dem man einem Bundesverkehrsminister die Verdrehung von Tatsachen durchgehen lässt und in dem ein Umweltverband, der sich für die Durchsetzung des Rechts einsetzt, an den Pranger gestellt wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Und Sie schaffen ein Klima, das dieses Land ruiniert! Die Grünen sind eine Gefahr für Deutschland!)
Gemeinsam mit der AfD sägen Sie an den Grundwerten des Rechtsstaats, wenn Sie einem Umweltverband, der Ihnen zu erfolgreich wird, die Gemeinnützigkeit absprechen wollen, ihn, wie Herr Schweiger es tat, unredlich nennen und ihn, wie Herr Müller-Böhm es tat, gar zum Inquisitor erklären.
Bei der AfD habe ich keine Hoffnung,
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Gott sei Dank haben Sie keine Hoffnung! Das lässt mich sehr hoffen! – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wir sind die Hoffnung!)
dass sie aus ihrem demokratischen Tiefschlaf erwacht. Aber Sie von der Union und Sie von der FDP sollten sich darauf besinnen, was die Grundlagen unseres zivilgesellschaftlichen Lebens in Recht und Freiheit sind, und sich nicht mit dem ganz rechten Teil in diesem Haus gemein machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: So ein grüner Stuss!)