Rede von Beate Müller-Gemmeke Tarifbindung

Foto von Beate Müller-Gemmeke MdB
25.05.2023

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute über das Thema Tarifbindung reden; denn die weißen Flecken in der Tariflandschaft werden immer größer. Nur noch die Hälfte der Beschäftigten profitieren von einem Tarifvertrag. Nur in einem Viertel aller Betriebe gibt es überhaupt noch einen Tarifvertrag. 1998 waren es noch drei Viertel aller Betriebe. Diesen Trend müssen wir unbedingt stoppen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Tarifverträge sind wichtig, denn sie schützen kollektiv die Beschäftigten und stärken die Sozialversicherungssysteme. Tarifverträge garantieren gleiche Bedingungen und fairen Wettbewerb unter den Unternehmen, und sie sind übrigens auch ein wirksames Mittel gegen die Lohndiskriminierung von Frauen. Es gibt also viele gute Gründe, warum wir – die Ampel –, Herr Aumer, die Tarifbindung stärken wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Im Koalitionsvertrag haben wir vier konkrete Maßnahmen vereinbart, mit denen wir direkt und indirekt das Tarifvertragssystem stabilisieren wollen und werden.

Erstens. Wir bringen ein Tariftreuegesetz auf den Weg. Die Kurzform lautet: Wer Tarifflucht begeht, der darf nicht von öffentlichen Aufträgen profitieren. Öffentliches Geld darf zukünftig nur an die Unternehmen gehen, die entweder tarifgebunden sind oder tariflich bezahlen. Dann, Kollege Mörseburg, haben auch die Handwerksbetriebe, die anständig und verantwortungsvoll bezahlen, endlich wieder Chancen, Aufträge zu bekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Carl-Julius Cronenberg [FDP] – Maximilian Mörseburg [CDU/CSU]: Das ist so weit weg von der Realität! – Nina Warken [CDU/CSU]: Völliger Quatsch!)

Zweitens. Wir haben den Mindestlohn kräftig erhöht. Die 12 Euro schieben jetzt auch die tariflichen Löhne Stück für Stück nach oben und machen so Tarifverträge attraktiver. Das ist gut und zeigt, dass der Mindestlohn nicht nur vor Armut schützt, sondern auch das Tarifvertragssystem von unten stützt. Das ist richtig und wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Drittens. Wir stärken die betriebliche Mitbestimmung und fördern so indirekt auch die Tarifbindung; denn Mitbestimmung und Tarifbindung stützen sich wechselseitig. Dort, wo es Betriebsräte gibt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen einen Tarifvertrag hat. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir endlich das digitale Zugangsrecht für Gewerkschaften auf den Weg bringen. Denn nur wenn die Gewerkschaften ihre Mitglieder erreichen und auch neue Mitglieder gewinnen können, können sie genügend Kraft für einen Tarifvertrag entwickeln. Beides zusammen, Tarifbindung und Mitbestimmung, ist also wichtig, wenn es darum geht, die Arbeitswelt gerecht zu gestalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Und viertens. Wir haben zudem vereinbart, dass wir die Regelungen für Betriebsübergänge so anpassen, dass sie nicht weiter zur Tarifflucht genutzt werden können. Wenn umstrukturiert wird, wenn Tochtergesellschaften gegründet werden, nur aus dem Grund, damit nicht mehr nach Tarif bezahlt werden muss. Das geht nicht. Das ist nicht fair. Das wollen wir verhindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Grünen – nicht die Ampel – teilen darüber hinaus die Kritik an der Tarifflucht per OT-Mitgliedschaft. Wir wollen auch, dass Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können, damit Tarifverträge für alle Betriebe einer Branche gelten. Wir haben mit der Allgemeinverbindlicherklärung ein wichtiges gesetzliches Instrument, das aber immer weniger genutzt wird. Deshalb wollen auch wir die Spielregeln im Tarifausschuss verändern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das alles ist notwendig; denn Tarifverträge garantieren gute Arbeit. Dabei geht es um faire Löhne, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Urlaubstage, Arbeitszeiten. Es geht um Qualifizierung und Weiterbildung. Das alles müssen die Beschäftigten nicht alleine, für sich individuell erstreiten und erkämpfen. Von den Tarifverträgen, von den kollektiven Regelungen profitieren alle.

Tarifverträge sind auch für die Arbeitgeber von Vorteil. Die Beschäftigten sind zufriedener und motivierter und damit auch produktiver. Das Betriebsklima ist besser. Tarifverträge – ich habe es schon gesagt – garantieren auch gleiche Bedingungen für Unternehmen. Von Tarifverträgen profitieren also wirklich alle: die Beschäftigten und auch die Unternehmen. Und deshalb gilt: Wenn die Tarifbindung weiter sinkt, wenn die Tarifpartnerschaft nicht mehr richtig funktioniert, dann muss das Tarifvertragssystem politisch gestützt und gestärkt werden. Genau das machen wir, die Ampel. Wir werden Schritt für Schritt die Tarifbindung stärken.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Abgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)