Rede von Emilia Fester Teilzeit in der Freiwilligenarbeit
Emilia Fester (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
(Nicole Höchst [AfD]: Die DDR, innen und außen! – Martin Reichardt [AfD]: Liebe Klassensprecher!)
Liebe Freiwillige! Liebe Einsatzstellen! Liebe Träger, die bis eben auf den Tribünen waren
(Martin Reichardt [AfD]: Die sind gerade alle gegangen! Wir haben sie gefragt!)
– da sind noch ein paar – oder eben auch am Fernseher sind! Aus aktuellem Anlass möchte ich diese Debatte gerne einmal so beginnen: Der Jugend in Deutschland geht es nicht gut.
(Sebastian Münzenmaier [AfD]: 22 Prozent geht’s hier nicht gut?)
Die Jugendstudie beschreibt nicht nur, dass der Rechtsruck leider eben nicht vor der jungen Generation haltmacht; sie zeigt auch erschreckend auf, wie stark der Großteil der jungen Menschen unter unserer krisenhaften Zeit leidet: dass Jugendliche spätestens seit der Pandemie einsam sind und dass ihnen nicht nur das Heute, sondern vor allem auch das Morgen Sorgen macht. Gleichzeitig fühlen sich acht von zehn jungen Menschen nicht ausreichend gesehen von uns, den Politikerinnen und Politikern.
Ich selbst gehöre zu den jungen Menschen,
(Martin Reichardt [AfD]: … die keiner sehen will!)
die deshalb entschieden haben, es selbst in die Hand zu nehmen. Oh, ich hatte so High Hopes, als ich für den Bundestag kandidiert habe, hatte eine klare Vision vor Augen, eine Politik, die die Zukunft der jungen Generation sichert, eine Jugendpolitik, die nicht nur von Lippenbekenntnissen lebt, sondern zuhört und gemeinsam echte Veränderung schafft.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, am heutigen Tag können wir endlich eine Gesetzesnovelle vorlegen, die einigen der langjährigen Forderungen von Trägern und Freiwilligen nachkommt – nicht, um am Ende die Welt zu retten oder gar das System der Freiwilligendienste komplett umzukrempeln, sondern um es entscheidend zu verbessern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Viel zu oft hatten wir als Parlamentarier/-innen für diese Novelle leider keinen einzigen Cent vom Finanzministerium zur Verfügung. Trotzdem konnten wir an drei Stellschrauben die Situation für die kommenden Generationen von Freiwilligen verbessern:
Erstens schafft dieses Gesetz endlich eine Grundlage für die Einsatzstellen, um ein höheres Taschengeld und Mobilitätszuschläge zahlen zu können.
Zweitens schaffen wir Rechtssicherheit bei den Urlaubsregelungen.
Drittens können Freiwillige endlich – endlich! – ihren Dienst in Teilzeit absolvieren, und das nicht nur in Ausnahmefällen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
So wird das FSJ offener. Auch Menschen, die nicht in Vollzeit im Dienst sein können oder wollen, Menschen mit besonderem Förderbedarf oder Sorgeverantwortung zu Hause, können einen Freiwilligendienst antreten, und das ist ein riesiger Erfolg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir müssen auch der Tatsache ins Auge sehen: Man kann von einem Freiwilligendienst allein gerade nicht leben. Und auch wenn ich ein anderes politisches Ideal habe, bietet das Freiwilligen-Teilzeitgesetz die Chance, dass auch junge Menschen, die keine finanzielle Unterstützung von ihrer Familie bekommen können, die Möglichkeit haben, einen Dienst zu machen und sich diesen durch einen Teilzeitjob nebenher zu finanzieren.
Die Gesetzesnovellierung ist wichtig, und es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ihr zuzustimmen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])
auch wenn diese Reform nicht alle Probleme löst; gar keine Frage.
Allem voran steht natürlich – und da muss man auch sagen, dass der Abschluss dieses Gesetzes leider im Schatten der finanziellen Entwicklungen steht – die Planungssicherheit. Wie man es auch dreht und wendet: Es wird im kommenden Jahr nicht mehr so viele Freiwillige geben können wie im jetzt laufenden, wenn sich am Spardiktat des Bundesfinanzministers nicht endlich etwas ändert.
(Martin Reichardt [AfD]: Das ist doch Ihre Koalition! Haben Sie das noch nicht verstanden? – Zuruf von der CDU/CSU: Das entscheidet die Ampel! – Jens Teutrine [FDP]: 5 000 Behördenmitarbeiter mehr!)
Wenn er den Geldhahn für die Programme und Projekte, also auch die Freiwilligendienste, im Familienministerium zudreht und sogar die bereits zugesprochenen Mittel für die Jugend nicht in eine Überjährigkeit übersetzt, hat das einen Aderlass bei Freiwilligendiensten und Jugendverbänden zur Folge.
(Jens Teutrine [FDP]: 5 000 Behördenmitarbeiter!)
In meinen Augen ist das ein hausgemachtes Problem, das sich aber nicht durch einen Ergänzungsantrag lösen lässt, liebe Union. Denn auch Sie als Bundestagsfraktion stehen ja, entgegen der Haltung Ihrer Länder – außer Bayern; herzlichen Glückwunsch! –, in der Frage Schuldenbremse an der Seite von Christian Lindner. Solange Sie also keinen Gegenfinanzierungsvorschlag haben, ist Ihre Initiative nichts als unseriös und scheinheilig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Selbstverständlich steht Lisa Paus’ Ministerium bereits im engen Austausch mit den Trägern und zuständigen Akteuren, und die Evaluierung eines Gesetzes ist gängige Praxis. Das ist nichts als Augenwischerei. Der Antrag ist abzulehnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie oft junge Menschen als Sündenbock herhalten müssen? Jahrzehntelang wurde die Digitalisierung am Arbeitsplatz verschlafen; Geflüchteten wird das Arbeiten größtenteils verboten. Aber schuld am Fachkräftemangel ist natürlich die Jugend. Die ist nämlich faul und will nur noch eine Viertagewoche.
(Martin Reichardt [AfD]: Wer sagt denn so was? Das habe ich ja noch nie gehört! – Zurufe von der CDU/CSU)
Gleichzeitig werden Ausbildungen total schlecht vergütet, und das große Aufstiegsversprechen ist schon lange gescheitert. Es geht hier um legitime Bedürfnisse, finanzielle Absicherung und Sinnhaftigkeit.
Ein anderes Beispiel. Viel zu oft versagt der Staat dabei, soziale Infrastruktur abzusichern, muss er etwa die Obdachlosenhilfe, andere Notdienste und Vereine stark durch das Engagement von Ehrenamtlichen tragen lassen. Langsam geht dieses brüchige Konstrukt in die Knie; es gibt Nachwuchsmangel.
Da sollten wir doch die jungen Menschen mal verpflichten. Die sollen erst mal lernen, richtig anzupacken und sich nützlich zu machen! Ja, und nebenher sind das praktischerweise ja auch total billige Arbeitskräfte. Das kostet sehr viel weniger, als Fachkräfte für die gute Sache auch wirklich gut zu bezahlen.
(Zuruf der Abg. Mareike Lotte Wulf [CDU/CSU])
So richtig schön absurd wird das alles, wenn man sich anschaut, wie engagiert junge Menschen sind.
(Zuruf des Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU])
50 Prozent der Gen Z engagieren sich, und weitere 40 Prozent können es sich vorstellen. Was hindert sie daran? Die Befragung u_count der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung hat dazu sehr wichtige Erkenntnisse gebracht. Hinderungsgründe für ein Engagement sind fehlender ÖPNV, fehlende Vereinbarkeit und fehlende zeitliche Ressourcen. Und speziell zum FSJ sagt jede zweite Befragte, es sei halt finanziell nicht machbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Engagement muss man sich leisten können. Und viele, gerade junge Menschen – Sie erinnern sich vielleicht: jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf; das wollten wir gerne durch die Kindergrundsicherung ändern,
(Martin Reichardt [AfD]: Das klappt ja auch alles nicht, was Sie da vorhaben! Funktioniert doch alles nicht!)
aber Lindner rückt nicht genug Geld raus –, würden sich gerne engagieren, aber sie müssen stattdessen arbeiten. Diese faule Generation Z!
(Martin Reichardt [AfD]: Hat die Rede irgendwer geschrieben, oder habt ihr das selber gemacht? – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)
Eigentlich liegt es doch auf der Hand: Es sind nicht die jungen Menschen, die wir ändern müssen, sondern es sind die Bedingungen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und damit fangen wir heute an. Auf dass es nur der Anfang ist!
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Ralph Edelhäußer für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)