Lamya Kaddor
18.01.2024

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder des Bundestages! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Den vorliegenden Antrag haben wir zuletzt im Juni des letzten Jahres debattiert. An der Relevanz des Themas hat sich seitdem nichts oder wenig geändert. Vielmehr noch: Erneut hat sich die terroristische Bedrohungslage durch den Angriff der Hamas am 7. Oktober auf israelische Zivilisten und durch alle davon ausgehenden Folgen verschärft. Laut des Bundesamts für Verfassungsschutz ist die Anschlagsgefahr in Deutschland so hoch wie lange nicht mehr. Daher ist es gut und richtig, dass wir heute gerade im Kontext der Vereitelung möglicher Anschlagspläne – auf den Kölner Dom beispielsweise – über Terrorismusbekämpfung sprechen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, im Ziel sind wir uns doch einig: Wir wollen unser Land und unsere Bevölkerung effektiv vor Terrorgefahr schützen. Doch was Sie in Ihrem Antrag und in den Diskussionen fordern, bedient nach wie vor die alte Klaviatur von klassischer gescheiterter Unionspolitik.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: „Gescheitert“? Wir sind eines der sichersten Länder auf der Welt! Was ist daran „gescheitert“?)

Mit der Ausweitung der Kompetenzen und Befugnisse von Polizei und Ermittlungsbehörden – wir haben es ja gerade gehört – meinen Sie den Terrorgefahren zu begegnen. Dabei steht nicht nur hinter der Rechtmäßigkeit der von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen, nämlich Speicherung von IP-Adressen und Quellen-TKÜ, ein großes Fragezeichen. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung oder die Ausweitung der zulässigen Dauer eines Präventivgewahrsams bieten immer die Möglichkeit, unschuldige Personen zu treffen, und auch Raum für Missbrauch, meine Damen und Herren.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Deswegen haben wir Gerichte!)

Vor allem ist unklar, inwiefern die Ausweitung der Kompetenzen tatsächlich zu effektiver Terrorismusprävention beiträgt.

Um das auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen, hat die Bundesregierung das entsprechende Max-Planck-Institut in der letzten Woche damit beauftragt, eine Überwachungsgesamtrechnung durchzuführen. So sollen die Überwachungsbefugnisse von Polizei und Nachrichtendiensten systematisch erfasst und inhaltlich bewertet werden. Das ist doch der absolut richtige Weg, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dorothee Martin [SPD] – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Ergebnisse? In zehn Jahren! – Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Wann ist das denn endlich mal fertig?)

Die Vereitelung der Anschlagspläne auf den Leverkusener Weihnachtsmarkt oder auf den Kölner Dom im vergangenen Dezember zeigen ja, dass unsere Sicherheitsbehörden hervorragend arbeiten und ihnen die notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Sie haben doch gerade gesagt, die Sicherheitspolitik ist gescheitert!)

Und trotzdem: Die Lage ist ernst, und wir müssen die Entwicklungen und die Bestrebungen sehr genau beobachten.

Schauen wir uns also die aktuelle Situation an. Seit dem 7. Oktober sieht das Bundesamt für Verfassungsschutz im dschihadistischen Spektrum Aufrufe zu Attentaten und ein – Zitat – „‚Andockenʼ von ‚Al-Qaidaʼ und IS an den Nahostkonflikt“. Hoch emotionalisierte, durch Triggerereignisse inspirierte Personen werden gezielt angesprochen und zu Anschlägen auf sogenannte weiche Ziele mit einfachen Tatmitteln angestachelt. Hier sind natürlich in allererster Linie die Kriminalämter und der Verfassungsschutz gefragt. Sie müssen alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel ausnutzen und die Szene genau beobachten. Dazu gehört übrigens auch, dass Bundes- und Landesbehörden effektiv zusammenarbeiten. Deswegen stellen wir als Ampel das GTAZ zum ersten Mal auf eine rechtliche Grundlage.

Doch Terrorismusprävention bedeutet noch so viel mehr – es steht ja auch im Titel des Antrags –, nämlich Bevölkerungsschutz. Doch davon sprechen Sie in Ihrem Antrag kaum. Was viele der aktuell aktiven Extremisten in unserem Land eint, ob Islamisten, deutsche oder türkische Links- oder Rechtsextremisten und Anhänger extremistischer palästinensischer Organisationen, sind Antisemitismus und Israelfeindlichkeit. Dies bekämpft man auch mit Bildung, Begegnungsarbeit, Aufklärung und Sensibilisierung und nicht nur mit der Erhöhung von Strafmaßen und dem Schaffen neuer Straftatbestände, liebe Damen und Herren von der Union.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dunja Kreiser [SPD] – Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Wie denn dann? Mit der Überwachungsgesamtrechnung? Die bringt was!)

Gleichzeitig schafft der ebenfalls zunehmende antimuslimische Rassismus ein gesellschaftliches Klima, das insbesondere junge Muslime in die Arme der Hetzer und Hassprediger treibt oder zu eigenen Taten anstachelt. Hier braucht es ebenfalls präventive Arbeit in den Schulen und in der Jugend- und Sozialarbeit. Dafür bedarf es Unterstützung für die Wissenschaft, die Radikalisierungsmuster erforscht und so Ansätze für die Praxis aufzeigt.

(Alexander Föhr [CDU/CSU]: Bei Ihnen geht anscheinend immer nur eins!)

Darüber hinaus bedarf es einer effektiven Moderation sozialer Netzwerke – davon hört man bei Ihnen gar nichts –, sodass sich die Aufwiegelungen auf Tiktok nicht verbreiten können.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Macht das der Polizeibeauftragte?)

Immerhin nennen Sie in Ihrem Antrag dann doch mal einen sehr wichtigen Aspekt der Terrorismusbekämpfung, nämlich die Radikalisierungsarbeit in Gefängnissen. Dieser müssen wir uns dringend stärker widmen, und dafür brauchen wir Psychologinnen und Psychologen, ein gut sensibilisiertes Justizvollzugspersonal und eine ansprechende Gefängnisseelsorge. Dafür haben wir uns starkgemacht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auffallend ist, wie fast immer, Ihre Vernachlässigung von rechtem Terrorismus. In Ihrem Antrag gehen Sie auf diesen nämlich kaum ein. Derweil – das haben wir ja gerade gehört – bereiten Akteure aus dem rechten Spektrum, finanziert von reichen Gönnern, gemeinsam mit der AfD und Mitgliedern der WerteUnion sowie Identitären

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Und der CDU!)

– und der CDU – die Deportation, also einen groß angelegten Angriff auf Millionen Menschen in Deutschland, vor.

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Dass Sie über das Stöckchen springen! Mann, Mann, Mann, Mann, Mann! – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Immer übers Stöckchen springen! In was für einer Realität leben Sie? Meine Güte! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Och!)

– Klären Sie das doch gleich unter sich!

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Sie haben das gesagt! – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Wir wollten das eigentlich mit Ihnen ganz gerne klären!)

Der Verfassungsschutz hat uns gestern im Ausschuss zu diesen Plänen gesagt, dass der Identitäre Martin Sellner in seiner Videokolumne im „COMPACT-Magazin“ davon gesprochen hat, dass die drei zu deportierenden Gruppen – ich zitiere – „Ausreisepflichtige“, „Nichtstaatsbürger mit Aufenthaltstitel“ und „nichtassimilierte Deutsche“, was auch immer die sein sollen, an die 14 Millionen Menschen umfasst. „Terrorismusbekämpfung und Bevölkerungsschutz“, wie es im Titel des vorliegenden Antrags heißt, bedeutet heute vor allem auch einen unmissverständlichen und konsequenten Kampf gegen rechts.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern Sie erneut auf, sich an dieser Bekämpfung nun endlich aktiv und auch gemeinsam mit uns allen hier zu beteiligen. Die Zeit drängt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])