Rede von Dr. Janosch Dahmen Transparenz in Krankenhäusern

21.09.2023

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Bevor ich zur Sache selbst komme, erlauben Sie mir bitte – ich glaube, das würde der Debatte guttun –,

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

dass ich zu den Ausführungen, die die Union durch ihren gesundheitspolitischen Sprecher hier gerade vorgetragen hat, kurz einige Worte sage.

Lieber Tino Sorge, ich glaube, du bist nicht nur in deiner Rede vom Wege abgekommen, sondern auch politisch scheint mir hier einiges aus dem Ruder geraten zu sein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist es!)

Ich will einmal den Ernst der Lage deutlich machen. Wir haben 16 Jahre lang einen absoluten Stillstand in der Reform der Krankenhauslandschaft gehabt. Durch diesen Reformstau sind die Kliniken in eine absolute Misere geraten. Und alles, was der Union nach dieser Zeit jetzt in der Opposition einfällt, ist, einen zweistündigen Krankenhausgipfel abzuhalten, bei dem es keinen einzigen Finanzierungs- und Reformvorschlag gab,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Abg. Tino Sorge [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

sondern ausschließlich gesagt wurde, was alles nicht sein soll: dass nämlich eine Krankenhausreform nicht kommen und Transparenz nicht hergestellt werden soll

(Stephan Pilsinger [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

und warum es sachlogisch ist, dass die unionsgeführten Länder heute wie in der Vergangenheit ihren Investitionskostenverpflichtungen nicht nachkommen. Das ist Politik mit Realitätsverweigerung, die vom Wege abgekommen ist und sich der Verantwortung entzieht. Ich finde, es grenzt schon an Ironie und führt zur Verdummung der Menschen, dass hier so getan wird, als würde es den Kliniken schlecht gehen, nicht etwa weil ein Reformstau die Kliniken in eine schwierige Lage gebracht hat, sondern weil jetzt Reformen auf den Weg gebracht werden. Hier ist doch etwas aus dem Ruder geraten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Sorge?

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bitte.

Tino Sorge (CDU/CSU):

Lieber Janosch Dahmen, weil ich direkt angesprochen worden bin, will ich mal grundsätzlich darauf antworten. Mich nervt zunehmend, dass Sie bei allen Debatten, die wir hier in diesem Hohen Hause führen, meinen, den Diskussionskorridor bestimmen zu dürfen und vorgeben zu können, worüber wir hier diskutieren. Wenn Sie sich gestern die Zeit genommen hätten – Sie sprechen lapidar von zwei Stunden Krankenhausgipfel; hätten Sie sich mal diese zwei Stunden Zeit genommen –, dann hätten Sie mitbekommen, dass das hier keine Panikmache von uns ist, sondern dass das die Realität vor Ort ist. Den Häusern steht das Wasser bis zum Hals,

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb machen wir doch die Reform!)

und Sie stehen hier und sagen allen Ernstes, man könne doch so nicht diskutieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweiter Punkt. Sie tun immer so, als hätte die Union in den letzten 16 Jahren allein regiert. Ich darf Sie ganz dezent daran erinnern,

(Axel Müller [CDU/CSU]: Ja!)

dass Herr Kollege Lauterbach und die SPD in den letzten acht Jahren mit uns zusammen regiert haben. Wir haben viele gute Dinge auf den Weg gebracht. Ich denke an die Verbesserungen im Bereich der Pflege.

(Zuruf des Abg. Axel Müller [CDU/CSU])

Ich denke auch an die Energiepolitik und die Umweltpolitik, wo wir viele gute Dinge gemacht haben.

Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen, diese Problematik sei aus den letzten 16 Jahren entstanden, dann darf ich dezent daran erinnern: Die Fallpauschalen, die DRGs, die zu der vorhandenen Schieflage geführt haben, hat Herr Kollege Lauterbach als damaliger Berater von Bundesministerin Ulla Schmidt 2002 mit auf den Weg gebracht. Sie sollten die entsprechenden Protokolle lesen. Wir als Union haben damals davor gewarnt, ausschließlich auf diese Fallpauschalen zu setzen.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Deswegen ändern wir es ja jetzt!)

Es ist trotzdem gemacht worden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sich jetzt hier hinzustellen und uns den schwarzen Peter zuzuschieben, das ist unredlich, und das ist eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Tino Sorge, vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit geben, noch mal gezielt darauf einzugehen. – Im Bund hat die Union in den letzten acht Jahren das Gesundheitsministerium verantwortet.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Wir haben doch nicht allein regiert!)

In den Ländern trägt die Union mit ihren Ministerpräsidenten und Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsministern in wesentlichen Teilen Verantwortung für die Investitionskosten und kommt ihr nicht nach.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist doch Blödsinn!)

Sie haben die Kliniken ausbluten lassen. Sie haben sie in die Lage gebracht, dass sie jetzt „Alarmstufe Rot!“ schreien,

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich! Wir haben die Energiepreissteigerungen! Das ist doch Blödsinn!)

und zwar nicht, weil es jetzt eine Reform geben wird, sondern weil es bisher keine gab, für die Sie hätten Verantwortung tragen sollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie haben nicht dafür gesorgt, dass die Kliniken gut aufgestellt sind. All das, was Sie hier vortragen, sind Nebelkerzen, ohne tatsächliche Lösungen mit einem Refinanzierungsmodell vorzulegen. Und das ändern wir jetzt.

Wir ändern es heute mit einer umfassenden Krankenhausreform,

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Wann kommt die denn?)

die Gegenstand dieser Debatte ist. Wir ändern es mit einem Transparenzgesetz,

(Lachen der Abg. Simone Borchardt [CDU/CSU])

mit dem wir für Transparenz in der Qualität sorgen, mit dem wir für Transparenz bei den Ressourcen sorgen, mit dem wir Transparenz bei der Aufgabenverteilung in der stationären Krankenversorgung herstellen.

Im Kern geht es darum: Es ist doch geradezu aberwitzig, dass wir selbst nach den Jahren der Pandemie nicht sagen können, wie viele Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus arbeiten. Das ändern wir mit diesem Gesetz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir sorgen jetzt dafür, dass die Anzahl der Pflegekräfte, die Anzahl der Ärzte, die Anzahl der Kliniken, die sich auf die Durchführung bestimmter Operationen spezialisiert haben,

(Abg. Axel Müller [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

ausgewiesen werden, sodass die Patientinnen und Patienten, aber auch die politisch Verantwortlichen informiert sind

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)

und damit auf Fakten basierende politische Entscheidungen treffen können. Dann muss man nicht nach Bauchgefühl auf irgendeinem Krankenhausgipfel sagen:

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Sie schaffen einen Datenfriedhof, ein Bürokratiemonster!)

„Man müsste mal, man könnte mal“, ohne eine Finanzierung vorzulegen. Es ist allerhöchste Eisenbahn. Das hilft tatsächlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal von Herrn Müller aus der CDU-Fraktion?

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gerne.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das müsste von der Redezeit der Fraktion gehen! – Zurufe von der SPD: Oah! – Gegenruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]: Ihr seid wie der Falschfahrer, der sagt: Auf der Autobahn kommt mir jemand entgegen!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das Wort hat jetzt Herr Müller, nicht Herr Sorge.

Axel Müller (CDU/CSU):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kollege Dahmen, ich habe jetzt doch eine Zwischenfrage. Gestern im Gesundheitsausschuss hat uns Herr Staatssekretär Professor Dr. Franke gesagt, dass die Gesetzesgrundlage für die angepeilte Klinikreform frühestens Anfang 2024 kommen und die Umsetzung der Reform bis Ende 2025, eher bis ins Jahr 2026 hinein dauern wird.

Wir haben aktuell ein Liquiditätsproblem der Kliniken. Das ist nicht wegzudiskutieren. Reden wir nicht nur über Ursachen, sondern reden wir auch über Wirkungen! 50 Prozent der Kliniken sind in diesem Jahr im Defizit, im nächsten Jahr sind es nach der DKG voraussichtlich 70 Prozent. Den gesetzlichen Krankenkassen fehlen 14 Milliarden Euro. Dieses Defizit wird aus dem Etat des Gesundheitsministeriums ausgeglichen. Fakt ist aber, dass 10 Milliarden Euro für im Grunde genommen versicherungsfremde Leistungen von den Beitragszahlern getragen werden müssen, weil die Krankenkassen für die Gesundheitsleistungen der Bürgergeldempfänger aufkommen müssen.

Jetzt frage ich Sie: Warum schaffen Sie es nicht – das wäre doch mal ein konkreter Vorschlag, um im Etat Geld freizuschaufeln, das dann als Liquiditätshilfe gegeben werden könnte für die Zeit bis spätestens 2026 –, die Gesundheitsleistungen der Bürgergeldempfänger aus dem allgemeinen Staatshaushalt zu bezahlen?

(Beifall bei der CDU/CSU – Tino Sorge [CDU/CSU]: Steht sogar im Koalitionsvertrag der Ampel!)

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie haben jetzt, wo es eigentlich um die Krankenhäuser geht, eine haushaltspolitische Debatte über die Folgewirkungen und die Ausfinanzierung der Sozialversicherungen aufgemacht. Ich bin mir sicher: Wir werden mit Blick auf den Haushalt für das Jahr 2024 ausreichend Zeit für Debatten haben, um uns das im Detail anzuschauen. Wir haben einen Koalitionsvertrag, in dem wir uns hinreichende Maßnahmen für die Ausfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommen haben, und ich bin zuversichtlich, dass wir in dieser Legislatur die Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag nach und nach umsetzen werden.

Zur Sache selbst. Wir haben als Bund zusätzlich zu dem Etat für die Betriebskosten von 80 Milliarden Euro, der jährlich den Krankenhäusern zur Verfügung steht, allein in den letzten Jahren 21 Milliarden Euro an Coronahilfen und weitere 6 Milliarden Euro für Energie- und Inflationshilfen auf den Weg gebracht – zusätzliches Geld, das den Krankenhäusern zur Verfügung steht. Wir werden jetzt die schnellere Anpassung des Landesbasisfallwerts und die schnellere Auszahlung der Pflegebudgets auf den Weg bringen. Das hilft konkret. Das ist Cash in die Taschen der Krankenhäuser, um in der akuten Situation besser auszukommen. Aber man muss nicht Christian Lindner heißen, um zu sagen: Es geht nicht einfach so weiter mit der Gießkanne.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir brauchen echte Reformen, die nachhaltig und wirkungsvoll eine funktionierende Krankenhauslandschaft in diesem Land auf den Weg bringen. Und das gehen wir an mit einem Transparenzgesetz, mit einer Krankenhausreform und weiteren Reformschritten, die notwendig sind und längst hätten passieren müssen, damit die Kliniken erst gar nicht in eine solche prekäre Lage geraten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich fahre nun mit meiner Rede fort. Auf die Kritik, das sei alles nicht durchführbar, weil der bürokratische Aufwand zu groß sei, will ich noch einmal sagen: Es ist doch ein Irrsinn – und das betrifft nicht nur diese, sondern viele andere Debatten, die wir in Deutschland führen –, dass wir fragmentiert an vielen Orten Daten digitalisiert verfügbar haben, sie aber nicht zusammenführen und dadurch politisch vernünftige, datengeleitete Entscheidungen nicht treffen können. Das ändern wir jetzt, indem wir Daten zu Arztzahlen, Zertifizierungen, Anzahl an Komplikationen bei durchgeführten Eingriffen und Ausgestaltung der Versorgungslandschaft der Krankenhäuser erheben. Das ist doch nur sinnvoll für jeden, der Verantwortung trägt, um richtige Entscheidungen zu treffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Damit ist kein zusätzlicher Aufwand verbunden, sondern es werden nur Daten, die sowieso da sind, zusammengeführt.

Auch der Kritikpunkt, man solle, statt für Transparenz zu sorgen, lieber mehr Geld geben – darauf habe ich gerade schon geantwortet –, ist wirklich hinfällig. Man kann nicht einfach nur irgendwo Geld hingeben, ohne sich zu fragen: Was ist denn versorgungsnotwendig? Welchen Standort brauchen wir besonders? Wer ist besonders bedürftig? Wo sollten wir effizient unser Geld reinstecken?

Zum Schluss. Der Minister hat es schon angesprochen: Jede und jeder von uns, die bzw. der in diesem Hohen Hause sitzt, ist wahrscheinlich unter dem Strich deutlich besser in der Lage, wenn er oder sie selbst oder Angehörige krank werden, auf Ressourcen zurückzugreifen und sich zu erkundigen: Wo werde ich gut behandelt und wo gehe ich hin? Dass wir uns herausnehmen, dass das nur für uns politische Verantwortliche so sein soll und dass wir den Menschen die entsprechenden Daten und Informationsquellen nicht zur Verfügung stellen, um selber für sich zu entscheiden, wo sie sich behandeln lassen, dass nicht längst alle Bürgerinnen und Bürger diese Entscheidung treffen können, egal ob arm oder reich, ist wirklich ein Hohn. Das ändern wir mit dem Transparenzgesetz – ein sehr wichtiges Gesetz –; das hätte längst passieren müssen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren. Ich freue mich auf die Beratungen und darauf, dieses wichtige Gesetz schnell auf den Weg zu bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das Wort erhält für die AfD-Fraktion Thomas Dietz.

(Beifall bei der AfD)