Rede von Agnieszka Brugger Ukraine
Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Ihre Kinder malen Bilder, nicht von Autos, nicht von Blumenwiesen, nicht von Einhörnern, sondern von Flugzeugen, die Bomben abwerfen, und von Kellern voller Blut! Genau das berichtet das Kinderhilfswerk UNICEF aus der Ukraine. Zehntausende ukrainische Kinder wurden ihren Familien entrissen, nach Russland entführt. Sie müssen in Lagern leben und werden gegen ihren Willen zwangsadoptiert. In Russland unterstützt das sogenannte Russische Rote Kreuz im Auftrag des Putin-Regimes offenbar militärische Ausbildungslager für Kinder. Jungen und Mädchen werden darin gedrillt, Tarnnetze zu flechten und mit Gewehren zu schießen. Die Kindheit wird diesen kleinen Wesen in der Ukraine, aber auch in Russland durch die Grausamkeit infolge von Putins Krieg geraubt. Diese Kinder sollten doch einfach unbekümmert lachen, lernen und spielen dürfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, die Friedensordnung unseres europäischen Kontinents wurde nach zwei verheerenden und blutigen Weltkriegen geschmiedet, auch mit der Hoffnung, dass dann endlich alle Kinder in Europa in Frieden leben können. Es sind Vereinbarungen, die von allen Staaten mitgestaltet wurden, auch und gerade von Russland. Sie beruhen darauf, dass Grenzen nicht mit militärischer Macht verschoben werden. Und sie beruhen darauf, dass Konflikte zwischen Staaten am Verhandlungstisch und nicht auf dem Schlachtfeld geklärt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Jede russische Rakete, jeder russische Schuss zielt auf maximale Zerstörung von Wohnhäusern, Kraftwerken und Krankenhäusern, auf den Tod von ukrainischen Kindern, Frauen und Männern. Aber jede Rakete und jeder Schuss ist auch eine Attacke auf unsere so kostbare Friedensordnung. Diese historischen Errungenschaften dürfen wir nicht einfach der brachialen Gewalt preisgeben, sondern wir müssen sie entschieden verteidigen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Die Menschen in der Ukraine, die Menschen in unserem Land, wir alle hier in den demokratischen Fraktionen: Uns alle verbindet die Sehnsucht nach Frieden und der große Wunsch nach einem Ende dieser blutigen Gewalt in der Ukraine.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Doch wie lässt sich das erreichen, wenn alle Verhandlungsbemühungen vom Kreml mit Bomben beantwortet werden und wir sehen, dass die Gewalt in den besetzten Gebieten für die Menschen dort mitnichten endet? Deshalb stehen wir vor der Wahl: Lassen wir die Unterstützung der Ukraine auslaufen, oder tun wir viel, aber leider eben nicht genug? Zögern wir, und wiederholen wir immer dieselben Debatten, bis es zu spät ist, und riskieren wir als Politiker damit auch, dass Putin den Krieg am Ende doch gewinnen könnte? Dieses Szenario wäre der größte Horror für die Menschen in der Ukraine. Aber es ist auch die größte Gefahr für unsere Sicherheit und für unsere Friedensordnung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Deshalb sollten wir die Ukraine mit aller Kraft so unterstützen, dass sie diesen Krieg gewinnen kann – mit Diplomatie und neuen Bündnissen, mit humanitärer Hilfe, mit lückenlosen Sanktionen und einer Energiepolitik, die nicht die Kriegskassen von Putin füllt, auch mit Waffen. Und natürlich werden alle Risiken sorgfältig abgewogen. Wir sind uns alle der Tragweite dieser Entscheidungen bewusst, und das lassen wir uns als Grüne von niemandem absprechen, auch nicht vom Bundeskanzler.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Michael Roth [Heringen] [SPD])
Gemeinsam haben wir in der Koalition, aber auch mit der Opposition schon klar gesagt: keine Bodentruppen, keine Flugverbotszone. Wir verlangen von der Ukraine immer wieder, dass sie angesichts der Risiken und der Gefahren nicht all das tut, was sie nach dem Völkerrecht bei ihrer Selbstverteidigung eigentlich tun dürfte. Umso mehr müssen wir das machen, was für uns möglich ist.
Ja, wir tun bereits sehr viel, aber wir haben in der letzten Sitzungswoche in einem Antrag der Koalition klargemacht, dass noch mehr geht und dass es noch mehr braucht. Die drängendste Frage ist in der Tat die der Munition, aber auch die weitreichender Waffen wie Taurus. Für uns Grüne ist das auch kein Entweder-oder; es braucht beides.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Aha! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Willige Koalition der Kriegstreiber!)
Zur vollen Wahrheit gehört: Auch Zögern und Zaudern kann am Ende zur Eskalation beitragen. Denn wenn wir dem skrupellosen Kriegsverbrecher Putin signalisieren, dass wir Angst haben, dass wir streiten, dass wir uns seiner Erpressung beugen, und dann zu wenig tun, dann kann auch Wladimir Putin zur Auffassung kommen, immer einen noch brutaleren Schritt weiterzugehen.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Wir erwarten aber dann, dass Sie persönlich an die Front gehen!)
Auch dieses Risiko gilt es sorgfältig mit allen anderen Gefahren abzuwägen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Und weil es in ungewissen Situationen, bei denen so viel auf dem Spiel steht, immer wieder hilft, auf die Realität zu schauen, statt mit Gefühlen zu argumentieren oder mit ihnen zu spielen: Frankreich und Großbritannien haben bereits ähnliche, wenn auch nicht ganz so weitreichende Marschflugkörper geliefert.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Gehen Sie an die Front! Mit gutem Beispiel voran an die Front!)
Das hat bisher nicht zur weiteren Eskalation beigetragen. Das hat auch nicht dazu geführt, dass sie auf Moskau abgefeuert werden. Es gibt kein Beispiel für eine Lieferung von Waffen an die Ukraine, bei denen die Ukraine das Vertrauen missbraucht und die Absprachen, die damit getroffen worden sind, gebrochen hätte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: So ist das! Genau so ist das!)
Meine Damen und Herren, das Leid der Menschen in der Ukraine ist zu groß, die Gefahr für unsere Sicherheit, für unsere Verbündeten und für unsere Friedensordnung ist zu hoch, als dass eine Debatte darüber einfach für beendet erklärt werden kann.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, das stimmt!)
Die Zeiten von Gerhard Schröder sind zum Glück schon lange vorbei.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)
Das gilt für seine gescheiterte Russlandpolitik, und das gilt auch für sein Kanzler-Basta.
Unsere Position als Grüne und, ich glaube, die Position aller Fraktionen ist mehr als glasklar. Wir brauchen dafür auch nicht jede Woche einen Antrag von der Union, der wenig hilfreich ist und den wir auch dieses Mal ablehnen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Warum denn eigentlich? Warum denn?)
Sie wissen genauso gut wie ich: Am Ende entscheidet der Bundessicherheitsrat, und am Ende braucht es dafür Einstimmigkeit.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das war jetzt kein überzeugendes Argument!)
Der gewichtigen Verantwortung bei diesen Fragen werden wir nicht gerecht mit Schaufensteranträgen, mit Sprüchen wie „den Stier bei den Hörnern packen“ und auch nicht, indem wir vermeintliche Geschichten von Frieden erzählen, die offensichtlich nur bis zum nächsten Wahlkampf halten sollen. Unsere Aufgabe ist es, in einem großen Bewusstsein die Risiken unseres Handelns und unseres Nichthandelns sorgfältig, vorsichtig gegeneinander abzuwägen. Diese Verantwortung tragen wir hier alle gemeinsam.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
In der Realität das zu tun, was in den nächsten Jahren unsere Friedensordnung schützt und die Sicherheit auf unserem Kontinent erhöht: das gebietet der Amtseid.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Präsidentin Bärbel Bas:
Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Johann Wadephul.
(Beifall bei der CDU/CSU)