Rede von Linda Heitmann Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Linda Heitmann
01.12.2022

Linda Heitmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Union, in der Problembeschreibung Ihres Gesetzentwurfs – das muss ich ehrlich zugeben – sind wir uns ja einig. Sie schreiben von dem starken Anstieg der Zahlen im Maßregelvollzug. 2002 waren in Deutschland noch rund 2 000 Menschen im Maßregelvollzug, zuletzt 5 280. Und ja, wir müssen den Maßregelvollzug entlasten. Was auch richtig ist: Der Anteil der Suchtkranken ist in der gleichen Zeit deutlich gestiegen, nämlich von circa 20 Prozent auf 60 Prozent. Aber ich finde, die Konsequenz kann jetzt nicht sein, dass wir bei der Behandlung von Suchtkranken in Haft die Standards absenken und auf diese Weise Kosten einsparen wollen.

(Beifall der Abg. Heike Engelhardt [SPD])

Denn – das muss ich ehrlich sagen – im Grundsatz gilt immer noch „Therapie statt Strafe“ für suchtkranke Straftäter/-innen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heike Engelhardt [SPD])

Ich bin in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes über diese Kostenaufstellung gestolpert, nach der ein Tag im Maßregelvollzug etwa 320 Euro kostet, im regulären Vollzug nur 119 Euro. Sie schreiben, es ließen sich doch deutlich Kosten einsparen, wenn die Suchtkranken jetzt statt in den Maßregelvollzug in den regulären Vollzug kämen. Aber ich finde, das kann wirklich kein Anreiz sein; denn nicht ohne Grund ist die Rückfallquote nach dem Maßregelvollzug bei Suchtkranken deutlich geringer als nach einer regulären Haft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE])

Deshalb müssen wir in der Konsequenz jetzt wirklich das Gesamtsystem „Haft“ betrachten und gucken, was wir im regulären System verbessern können, um suchtkranken Menschen dort besser gerecht zu werden. Hierzu müssen wir auch eng mit den Ländern zusammenarbeiten; denn es fängt schon damit an, dass es in Deutschland keine einheitliche Datenlage zu suchtkranken Menschen in Haft gibt. 2018 gab es erstmals eine bundesweite Studie zu dem Thema, aber auch in diese sind nur Daten aus 12 von 16 Bundesländern eingeflossen.

Die Studie hat aber trotzdem deutlich gemacht: Sucht in Haft ist in Deutschland ein ernsthaftes Problem; denn 44 Prozent aller Gefangenen haben ein Abhängigkeitsproblem. Rund 20 Prozent sind von Alkohol abhängig, rund 20 Prozent von Opioiden; bei vielen ist auch ein Multipler Substanzgebrauch festzustellen. Am allerhöchsten sind die Zahlen leider bei den Menschen, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden. Auch im Bereich Substitution sieht es deutlich schlechter aus, als es aussehen könnte. Ungefähr 3 350 Menschen werden derzeit in Haft substituiert. Das Statistische Bundesamt geht aber davon aus, dass bis zu 6 000 dafür infrage kommen würden.

Lassen Sie uns hier daran arbeiten, dass die Behandlung von suchtkranken Menschen in Haft wirklich besser wird! Nur in Baden-Württemberg ist es tatsächlich momentan gesetzlich verankert, dass Menschen in Haft beispielsweise auch mit Diamorphin substituiert werden können. Wir müssen wirklich gemeinsam daran arbeiten, hier eine bessere Datengrundlage und eine bessere Vereinheitlichung bei der Behandlung von Suchtkranken in Haft hinzukriegen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Heike Engelhardt [SPD])

Deshalb ist es uns wirklich wichtig, dass wir hier ein schlüssiges Gesamtkonzept vorlegen. Ja, die Entlastung des Maßregelvollzugs wollen wir auch; aber sie darf nicht auf Kosten der suchtkranken Menschen in den Haftanstalten unseres Landes gehen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Heitmann. – Nächster Redner ist der Kollege Ates Gürpinar, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)