Rede von Filiz Polat Unterbringung von Geflüchteten

Foto von Filiz Polat MdB
30.03.2023

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute über die Unterbringung von Geflüchteten reden. Denn dies gibt uns Gelegenheit, zu betonen: Unser Kompass ist auf Menschen ausgerichtet, nicht auf Zahlen. Das ist der Unterschied zwischen der einen Seite in diesem Haus und der anderen. Sie reden im Abschottungsmodus von Zahlen, Obergrenzen, Migrationsströmen und Belastungen, wir reden von Menschen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie auf der rechten Seite dieses Hauses rufen unablässig nach Abschiebung.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Wer glaubt, mit Abschiebung Kapazitäten zu schaffen, der macht Politik, die Fakten bewusst ausblendet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gottfried Curio [AfD]: Abschiebung schafft Wohnraum!)

Wer sagt, wir hätten ein Abschiebungsdefizit, verkennt, wer die Menschen sind, die in unseren Kommunen unter der Ausreisepflicht leben müssen – wir haben gestern darüber diskutiert –: Afghaninnen, Jesidinnen aus dem Irak oder auch aus dem Iran.

Ich rate Ihnen, nicht zu zündeln. Beherzigen Sie lieber den heutigen Appell von Pro Asyl. Die berechtigten Forderungen der Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten dürfen nicht für eine auf Abschottung ausgerichtete Flüchtlingspolitik instrumentalisiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zurufe der Abg. Carolin Bachmann [AfD] und Beatrix von Storch [AfD])

Mehr als 1 Million Schutzsuchende aus der Ukraine haben wir im vergangenen Jahr bei uns aufgenommen und versorgt, zusätzlich zu Geflüchteten aus anderen Ländern, wo Krieg, Terror und Gewalt herrschen. Dies ist unbestritten eine Riesenherausforderung, die auch und gerade bewältigt werden konnte, weil die Kommunen mit Unterstützung unzähliger Ehrenamtlicher und Hauptamtlicher großartige Arbeit geleistet haben und immer noch leisten. Das sowie die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft Tausender Familien und Einzelpersonen kann man gar nicht oft genug würdigen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Putins Angriffskrieg und die durch ihn ausgelöste millionenfache Vertreibung haben uns gezeigt: Staaten und die EU können schnell und unbürokratisch Schutz gewähren, wenn der Wille da ist, gemeinsam zu handeln. – Diese Konsequenz für das uneingeschränkte Eintreten des Flüchtlingsrechts muss allerdings für alle Geflüchteten gleichermaßen gelten,

(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

innerhalb der Europäischen Union und auch in Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben. Ich hoffe, darin sind wir uns einig. Wir wollen über Verantwortung sprechen. Das ist doch die Haltung, die unsere Gesellschaft auszeichnet, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Kommunen sind die zentralen Akteure vor Ort. Sie sind es, die wir bei ihrer unverzichtbaren Arbeit weiterhin tatkräftig unterstützen und unterstützen werden. Wenn also Anfang Mai die Ministerpräsident/-innenkonferenz ansteht, erwarten wir ein erneutes Signal des Bundeskanzlers zur angemessenen finanziellen Unterstützung der Kommunen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es braucht eine faire Lastenteilung der Kosten zwischen Bund und Ländern, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Christian Görke [DIE LINKE])

Daneben setzen wir auf die Aussage im Koalitionsvertrag zur Verstetigung einer Bundesbeteiligung an den Aufwendungen von Ländern und Kommunen. Kommunen müssen finanziell entlastet werden und brauchen Planungssicherheit. Es gilt, dafür zu sorgen, dass die Kommunen nicht nur das Heute bewältigen, sondern sich auch frühzeitig auf das Morgen einstellen können.

Meine Damen und Herren, um die immensen Herausforderungen zu meistern, brauchen die Kommunen aber nicht nur mehr Geld. Nötig sind auch mehr Flexibilität sowie weniger Bürokratie. Die Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch; die Arbeitsgruppen haben nach dem Flüchtlingsgipfel gearbeitet. Es braucht mehr Flexibilität. Die Verpflichtung für Geflüchtete, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, muss fallen; denn was für ukrainische Geflüchtete gilt und ihnen hilft, muss auch allen anderen ermöglicht werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Möglichkeit, schlichtweg bei Verwandten in Deutschland wohnen zu dürfen, muss für alle gleichermaßen gelten, meine Damen und Herren. Es liegt doch auf der Hand: Wer bei Familienangehörigen oder Freunden unterkommen kann, wird mit Trauer, Traumata oder Trennung leichter fertigwerden als in einer zentralen Unterkunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies gilt insbesondere für Kinder.

Wer einen Krankenversicherungsschutz erhält, wie ihn die Ukrainer/-innen bekommen haben, kann auch eine psychologische Versorgung in Anspruch nehmen. Wer Integrationskurse, die Schule, die Kita von Anfang an besuchen kann, wird auch unsere Sprache schneller erlernen. Wer keinem Arbeitsverbot unterliegt, kann sein Leben selbstbestimmt gestalten

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rainer Semet [FDP])

und der Gesellschaft etwas zurückgeben, und das wollen alle Geflüchteten in Deutschland, die hier Schutz erhalten und Schutz bekommen.

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das, meine Damen und Herren, hilft den Menschen, und das entlastet auch unsere Kommunen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dr. Jurisch.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Alexander Bartz [SPD])