Rede von Dr. Manuela Rottmann Untersuchungsausschuss zur Corona-Pandemie

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30.10.2020

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gefahr durch Covid-19 ist ernst. Wir müssen und wir können jetzt verhindern, dass unser Gesundheitssystem kollabiert. Wir müssen und wir können solidarisch durch diese Krise kommen, und wir brauchen jeden konstruktiven Beitrag zur Lösung dieser Krise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir Grüne sind konstruktiv. Wir regieren in vielen Bundesländern mit. Wir tragen die Verantwortung auch mit. Wir haben die harten Entscheidungen im Frühjahr mitgetragen, und wir sind auch jetzt der Auffassung, dass es eine deutliche und schnelle Verringerung der Kontakte braucht. Wir drücken uns nicht, wenn es darum geht, einschneidende Maßnahmen zu erklären und auch zu verteidigen. Dass anders als im Frühjahr jetzt die Sicherung der Beschulung und Kinderbetreuung im Mittelpunkt steht, dafür haben wir Grüne von Anfang an gekämpft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber wir sind in einer Frage ganz klar: Wir brauchen dringend die Beteiligung der Parlamente und eine hinreichende parlamentarische Grundlage für derart einschneidende Grundrechtseingriffe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Edgar Franke [SPD])

Das ist im achten Monat der Pandemie eben keine kleinliche Förmelei mehr. Die Verordnungsermächtigungen im Infektionsschutzgesetz sind nicht hinreichend bestimmt, um erneute wochenlange Beschränkungen zu rechtfertigen.

Wenn wieder Einschränkungen verhängt werden müssen – und das ist hart genug –, dann werden auch wir uns als Gesetzgeber mit der Frage der Entschädigung befassen müssen. Auch das kann man nicht einfach im Haushalt regeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade wer zu bundeseinheitlichen, für Bürgerinnen und Bürger berechenbaren Regelungen kommen will, der braucht eine parlamentarische Grundlage. Ein Weiter-so allein über den Verordnungsweg wird die Gerichte zwingen, Maßnahmen wegen mangelnder Gesetzesgrundlage von Fall zu Fall wieder aufzuheben, und das wollen wir alle nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD])

Infektionseindämmung und Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts sind keine Gegensätze; sie gehören zusammen.

Frau Helling-Plahr, ich finde, es ist ein Fortschritt, dass die FDP in dieser Woche einen Antrag dazu eingebracht hat, der diskussionswürdig ist; denn noch vor Kurzem wollte die FDP das Problem der parlamentarischen Legitimation mit der Axt lösen. Der Bundestag sollte feststellen, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite erledigt ist. Sie haben es eben selber gesagt – und ich gebe Ihnen recht –: Das war falsch. Wir sind mitten in der Pandemie. Die Einschätzung ist leider widerlegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Florian Toncar [FDP]: Sie haben das doch nicht im Ansatz verstanden!)

Ihr Vorschlag damals hatte auch einen fundamentalen Denkfehler. Auch die FDP hat damals die Wahrung der Grundsätze der Gewaltenteilung faktisch unter den Vorbehalt eines Endes der Krise gestellt. Das ist ein äußerst gefährlicher Gedanke.

(Dr. Florian Toncar [FDP]: Meine Güte! Das ist ja vollkommen absurd!)

Das Grundgesetz gilt nicht nur bei schönem Wetter, es bewährt sich gerade in der Krise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Florian Toncar [FDP]: Das ist ja die absurdeste Rede der letzten halben Stunde!)

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat in der vergangenen Woche die Mahnungen von Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtlern und unsere Impulse aus der Opposition für ein schnelles und dennoch legitimierendes Entscheidungsverfahren in den Parlamenten aufgegriffen; vielen Dank dafür. Ich hatte die Hoffnung, dass sich der exekutive Profilierungsrausch der Koalition vom Frühjahr, der bei der Union wohl genauso viel mit Corona wie mit der offenen Führungsfrage zu tun hat, gelegt hat.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Helling-Plahr?

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Natürlich.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Bitte, gerne. – Frau Kollegin.

Katrin Helling-Plahr (FDP):

Frau Kollegin, stimmen Sie mit mir überein, dass ich nicht gesagt habe, wir hätten uns in der Vergangenheit falsch verhalten, hätten etwas Falsches beantragt, und dass wir auch zu keinem Zeitpunkt in der Vergangenheit gesagt haben, die Pandemie oder eine pandemische Lage wäre vorbei, sondern dass es etwas diametral anderes ist, auf der einen Seite die pandemische Lage von nationaler Tragweite, wie wir sie als Rechtskonstrukt geschaffen haben, abzuschaffen und auf der anderen Seite über die pandemische Lage in unserem Land zu reden?

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich stimme Ihnen zu, dass Sie nicht gesagt haben, dass Sie in der Vergangenheit etwas Falsches beantragt haben. Das habe ich gesagt, ich habe das aufgeklärt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Florian Toncar [FDP]: Das haben Sie doch mit Absicht verdreht! Sie haben es verstanden, aber mit Absicht verdreht!)

Es ist so, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite in § 5 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes, die zu viel zu weitgehenden Verordnungsermächtigungen des Bundesgesundheitsministers führt, gerade nicht diesen Teil betrifft, über den wir mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren. Da geht es um Fragen wie „Haben wir ein nationales Intensivbettenregister?“, um all diese Fragen, die jetzt wieder virulent sind, da es um unsere Krankenhauskapazitäten geht. An der Stelle muss ich sagen: Sie finden das, was Sie da beantragt haben, nicht falsch; ich glaube, es war ein großer Fehler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Florian Toncar [FDP]: Sie haben gesagt, Frau Helling-Plahr hätte das als Fehler bezeichnet! Und das ist falsch!)

– Nein. Frau Helling-Plahr würde ich nie was Falsches unterstellen.

(Dr. Florian Toncar [FDP]: Das ist aber nett!)

Frau Helling-Plahr hat richtigerweise gesagt, dass wir jetzt noch mitten in der Pandemie sind. Sie hat damit gezeigt, dass sie und, wie ich denke, die ganze FDP-Fraktion in den letzten Wochen gelernt haben, was ich sehr lobe; das finde ich gut.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du bist aber großzügig heute!)

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat Vorschläge vorgelegt. Ich habe es schon gesagt: Ich danke ihm sehr dafür. Ich hatte die Hoffnung, dass sich bei der Koalition der Profilierungsrausch vom Frühjahr gelegt hat. Ich habe auch gehofft, dass die Vorschläge von Wolfgang Schäuble auf offene Ohren stoßen, auch in seiner eigenen Fraktion. In der Rede von Herrn Schnieder eben hörte sich das ein bisschen so an. Aber gestern habe ich Ihren Fraktionsvorsitzenden hier gehört. Im Monat acht der Pandemie stellte sich Ihr Fraktionsvorsitzender hierhin und machte sich letztlich über dieses Ansinnen, über diese Kritik an den brüchigen rechtlichen Grundlagen lustig.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Nein, nein, nein!)

Ich finde, diese Mischung aus Hochmut und Borniertheit ist eines Parlamentariers in Fragen der Gewaltenteilung nicht würdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP] – Zurufe von der CDU/CSU)

Sie schädigt das Vertrauen der Bevölkerung in politische Entscheidungen, und sie schadet damit dem Ziel, gemeinsam durch die schweren Wochen zu kommen, die noch vor uns liegen. Ich appelliere deshalb dringend an Sie, an die Koalition: Kommen Sie herunter von Ihrem hohen Ross! Nutzen Sie die parlamentarische Entscheidung als Chance, besser zu werden! Da ist auch bei Ihnen noch Luft nach oben.

Dass eine zweite Infektionswelle wahrscheinlich ist, haben viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler frühzeitig gesagt. Sie haben auch gesagt, dass wenige Wochen später die Krankenhauskapazitäten knapp werden. Die Abgeordneten der AfD haben monatelang das Risiko einer zweiten Welle geleugnet, Wissenschaftler auf inakzeptable Weise angegriffen und ihre Warnungen verhöhnt. Genau diese Warnungen haben sich jetzt als richtig erwiesen. Das wäre der Moment, in dem einem ein Licht aufgehen könnte,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

in dem man sich vielleicht sogar entschuldigen könnte. Bei normalen Leuten könnte man das erwarten.

Dass Ihr Untersuchungsausschuss über Verschwörungstheorien das Letzte ist, was uns jetzt weiterhilft, haben die Kollegen ausführlich gewürdigt. Sie wollen einen Untersuchungsausschuss einrichten, der nachweisen soll, dass Vorkehrungen gegen die Pandemie jede Grundrechtseinschränkung hätten verhindern können. Und gleichzeitig leugnen Mitglieder Ihrer Partei und Ihrer Fraktion zuhauf, dass es diese Pandemie überhaupt gibt. Es tut mir leid, aus diesem Irrsinn kann Ihnen kein Untersuchungsausschuss heraushelfen. Ein Untersuchungsausschuss ist nämlich keine therapeutische Sitzgruppe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Professor Dr. Patrick Sensburg hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)