Dr. Sebastian Schäfer
06.09.2023

Dr. Sebastian Schäfer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Wehrbeauftragte! Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind mitten in der Zeitenwende, die der Bundeskanzler hier im Februar 2022 ausgerufen hat, nach dem Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine.

Die bisherige Unterstützung des Westens für die Ukraine wirkt, auch wenn sie für eine schnellere Offensive im vergangenen Herbst zu spät und nicht ausreichend war. Es war eine wichtige Entscheidung, dass wir Ende März die Mittel für die Ertüchtigungsinitiative nochmals deutlich, um 12 Milliarden Euro, steigern konnten. Damit finanzieren wir ganz wesentliche Ausrüstung für die Ukraine und auch die Ersatzbeschaffung von Waffen und Material, die aus den Beständen der Bundeswehr an die Ukraine abgegeben werden.

Ich will an dieser Stelle unterstreichen, dass unsere Bundeswehr durch diese Ersatzbeschaffung exzellentes neues Material erhält. Das wird deutlich beim Leopard 2: Abgegeben haben wir das Modell A6; die Bundeswehr erhält das deutlich verbesserte Modell A8. Auch die Panzerhaubitze 2000 erhält die Bundeswehr selbstverständlich in der neuesten, weiter verbesserten Form. So wird die Bundeswehr durch die Abgaben an die Ukraine zwar kurzfristig geschwächt; mittelfristig aber wird ihre Abschreckungskraft durch modernstes Material weiter gestärkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Dem geschätzten Kollegen Andreas Schwarz und mir gegenüber wurde bei unserem Besuch in der Ukraine vor zwei Wochen große Dankbarkeit geäußert, insbesondere für die modernen Systeme der Luftabwehr, die wir der Ukraine zur Verfügung gestellt haben und die mehr Sicherheit für die Zivilbevölkerung gebracht haben, Dankbarkeit für die Aufnahme von mehr als 1 Million Menschen aus der Ukraine in unserem Land, hauptsächlich Frauen und Kinder. Uns wurde aber auch berichtet, was die Ukraine für weitere Erfolge braucht. Marschflugkörper mit großer Reichweite stehen da ganz zentral auf der Agenda. Es wurde aber vor allem immer wieder betont, dass bei der Wartung und der Instandhaltung der modernen Waffensysteme aus Deutschland Optimierungsbedarf besteht. Die Ukraine hat keine Zeit für Verzögerungen. Da ist die Rüstungsindustrie in der Pflicht, unbürokratisch und schnell Abhilfe zu schaffen, mit der Bereitstellung von Ersatzteilen, aber auch mit Handbüchern und Service-Manualen insbesondere in ukrainischer oder englischer Sprache. Wir brauchen mehr Reparaturzentren direkt in der Ukraine, um Wege möglichst kurz zu halten und eine verlässliche Planung sicherzustellen.

Wir sind weiterhin in der Pflicht, alles dafür zu tun, dass die Ukraine ihre Freiheit und Selbstbestimmung verteidigen kann: mehr Luftabwehr, mehr Munition, mehr schweres Gerät. Die Ukraine kämpft diesen Kampf auch für uns. Ich werde einen Satz eines ukrainischen Soldaten mein Leben lang nicht vergessen: Unser Ziel ist, dass unsere Kinder nicht mehr wissen, was Krieg ist. – Darum geht es, dafür setzen wir uns ein, und dafür muss die Ukraine diesen Krieg gewinnen und ihr Territorium befreien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Das Sondervermögen ist das Herzstück der finanziellen Zeitenwende im Verteidigungshaushalt. Die Notwendigkeit des Sondervermögens zeigt sich auch am Haushaltsplan 2024. Die investiven Posten für Beschaffungen und Forschung sinken im Kernhaushalt im Vergleich zum letzten Jahr, obwohl es eine Etatsteigerung gab. Als Ampel öffnen wir das Sondervermögen,

(Florian Hahn [CDU/CSU]: „Missbrauchen“ ist das bessere Wort!)

damit das Geld schneller bei der Truppe ankommt und die Bundeswehr angemessen ausgerüstet wird, auch und insbesondere mit Blick auf unsere internationalen Verpflichtungen. Der Schwerpunkt des Sondervermögens muss aber weiterhin auf der Finanzierung von Großvorhaben liegen, um die Lücken bei der Ausrüstung möglichst schnell zu schließen.

Wir haben das Sondervermögen bisher klug eingesetzt. Wir haben nach Jahren der Unterversorgung dafür gesorgt, dass zukünftig ausreichend persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten sichergestellt ist. Gefechtshelme, Schutzwesten, Kampfbekleidung, Stiefel, Rucksäcke – was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, war in unserer Bundeswehr leider keine.

Wir haben mit der Beschaffung der F-35 als Nachfolger des Kampfflugzeugs Tornado zur nuklearen Teilhabe und des schweren Transporthubschraubers dafür gesorgt, dass die Luftwaffe über das Sondervermögen eine moderne Ausstattung erhält. Fliegende Oldtimer bei der Bundeswehr sind teuer in der Unterhaltung und sind weder unserer Verantwortung noch der Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft angemessen. Wir erweitern die Fähigkeiten des Heers quantitativ und qualitativ durch die Bestellung des zweiten Loses des Schützenpanzers Puma und die Nachrüstung der bisherigen Puma-Flotte. Dazu kommen weitere Projekte wie das Überschneefahrzeug oder künftig der schwere Waffenträger für die Infanterie. Für unsere Marine bedeutet das Sondervermögen die sichere Finanzierung der neuen Fregatten, U-Boote und Korvetten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Insgesamt ermöglicht das Sondervermögen, dass wir die von uns versprochenen Fähigkeiten im Rahmen unserer Bündnisverpflichtungen besser erfüllen werden können. Unsere Partner können sich auf unser Land verlassen.

Allein mit der Finanzierung ist es nicht getan. Wir müssen weiter aktiv daran arbeiten, Bremsen bei der Beschaffung zu lösen und gleichzeitig Kosten zu sparen. Wir dürfen uns nicht in der Entwicklung vieler verschiedener Rüstungsprojekte verzetteln, die erst einmal erforscht und erprobt werden müssen. Auch wenn wir es an dieser Stelle schon oft gesagt haben: Es gilt, konsequent auf marktverfügbare Rüstungsgüter zu setzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir sollten weiter gemeinsam Bestellungen mit anderen Bündnispartnern vorantreiben. Ein gutes Beispiel ist das potenzielle Pooling bei den neuen Leopard 2 A8 oder die Beschaffung der neuen Überschneefahrzeuge für die Gebirgsjäger gemeinsam mit Schweden und Großbritannien. Die gemeinsame europäische Rüstungskooperation zur Entwicklung der Waffensysteme der Zukunft müssen wir endlich konsequent umsetzen; da dürfen wir keine Zeit verlieren. Wir müssen auch europäisch handlungsfähig sein. Mich beunruhigen die Berichte über verschiedene Kooperationen beim Panzerbau. Wettbewerb ist sicherlich grundsätzlich hilfreich; aber wir sollten wissen, wo wir landen wollen, wenn wir mit neuen Projekten beginnen.

(Beifall der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Umsetzung der Zeitenwende bleibt eine langwierige Aufgabe; der Bundeskanzler hat das heute Morgen in seiner Rede beschrieben. Da haben wir auch große haushaltspolitische Aufgaben vor uns. Wir müssen die Zeitenwende zum Erfolg machen. Daran arbeiten wir auch in diesem Haushalt.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Der nächste Redner ist Rüdiger Lucassen für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)