Rede von Agnieszka Brugger Verteidigung
Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Wehrbeauftragte! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, so ehrlich wollten Sie sein, aber es hat nicht geklappt.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich meine, dieses Bild haben viele Ihrer Redner/-innen in den anderen Debatten auch schon bedient. Sie behaupten hier, dass die wirtschaftliche Lage in Deutschland so schlecht ist.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Ja, unter anderem wegen Ihres Ministers, Frau Kollegin!)
Natürlich erleben die Menschen viele Probleme in ihrem Alltag, auch die Unternehmen. Sie sind eine Folge des brutalen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Deswegen geht es den anderen Ländern auch so schlecht!)
Es gehört schon einiges dazu, Teil der Bundesregierung zu sein. Das sind übrigens die Leute, die gerade Ihre Versäumnisse aufgeräumt haben.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Frau Brugger, Sie waren doch gar nicht für 2 Prozent! Wieso haben wir was versäumt?)
Sie haben uns in diese fossile Abhängigkeit geführt, die uns teuer zu stehen gekommen ist. Da gehört einiges dazu. Ehrlich ist das nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Was soll denn das? – Zuruf des Abg. Gerold Otten [AfD])
Dieser Krieg bedeutet 18 Monate voll von Gewalt, von Terror und Tod – es war ein völkerrechtswidriger Überfall Russlands auf seinen friedlichen Nachbarn, die Ukraine –, 18 Monate, in denen die russischen Truppen fast jedes Tabu und jede Regel des Kriegsvölkerrechts gebrochen haben, 18 Monate, in denen Kindesentführungen, Folter und Zerstörung von Städten, Theatern und Krankenhäusern stattfanden. Tag für Tag trotzen mutige Menschen in der Ukraine seit 18 Monaten dieser brutalen Gewalt des Kremlregimes und verteidigen dabei mehr als nur ihr Land, ihr Leben und ihre Freiheit; denn sie schützen auch unsere Sicherheit.
Die Sicherheitslage auf unserem Kontinent hat sich fundamental verändert. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir diesen Bundeshaushalt und gerade auch den Verteidigungsetat.
Man sieht es Tag für Tag an so vielen Tatsachen: Es ist Wladimir Putin, der nicht verhandeln will und der immer weiter mit Gewalt eskaliert. Dazu braucht er auch keinen Anlass von irgendjemandem; sein brutales Kalkül scheint zu sein, diesen Krieg und Terror immer weiter in die Länge zu ziehen, damit die Menschen in der Ukraine und auch ihre vielen Unterstützerinnen und Unterstützer weltweit müde werden. Aber diesen Gefallen werden wir ihm nicht tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Solange Russland nicht bereit ist, die Gewalt zu beenden und zu Verhandlungen über einen gerechten Frieden zu kommen, haben wir zwei Optionen:
Wir könnten beschließen, die Unterstützung der Ukrainer bei ihrer legitimen Selbstverteidigung zu beenden. Ich will das nicht; denn das würde bedeuten, dass Russland früher oder später diesen Krieg gewinnt – mit verheerenden Folgen für die Menschen in der Ukraine. Es ist doch eine Illusion, zu glauben, dass die Gewalt in diesem Fall endet. Das zeigt der Alltag in den besetzten Gebieten, das zeigen die Verbrechen in Städten wie Irpin und Butscha.
Aber auch die Folgen für unsere Sicherheit wären katastrophal. Besetzte Territorien, die uns geografisch deutlich näher liegen, könnten für die Stationierung von Waffensystemen genutzt werden. Und wer garantiert, dass dort nicht früher oder später eine militärische Übung beginnt, die dann zum nächsten völkerrechtswidrigen Überfall führt? Nicht zuletzt würde von einem russischen Sieg die Botschaft an alle anderen Aggressoren und Autokraten dieser Welt ausgehen, dass sich Völkerrechtsbrüche am Ende lohnen.
Einen solchen Weg kann ich und können viele hier nicht verantworten, und zwar nicht nur aufgrund unserer Werte und der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, sondern auch, weil wir die Risiken für unser Land und die Folgen für unsere gesamte regelbasierte Ordnung sehen. Denn diese beruht auf dem Grundsatz, dass Konflikte zwischen Staaten mit Worten und Verhandlungen ausgetragen werden und nicht mit Raketen und Kriegsverbrechen. Diesen Anspruch dürfen wir niemals aufgeben und auch nicht dem Recht des militärisch Stärkeren und Skrupellosen beugen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Alternative ist, die Ukraine weiter entschlossen und unermüdlich zu unterstützen. So wichtig Diplomatie und Sanktionen sind – man muss hier immer mehr tun und alles versuchen –: Am Ende war es vor allem die mutige Gegenwehr der Ukraine mit unserer Unterstützung, die zur Befreiung besetzter Gebiete und zumindest dort zu einem Ende des Terrors geführt hat. Waffenlieferungen sind nicht das Gegenteil von Diplomatie, vielmehr besteht unser Kalkül doch genau darin, Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen, indem er endlich realisiert, dass er seine Ziele auf dem Schlachtfeld niemals wird erreichen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Deshalb geht auch von der zweiten Haushaltsdebatte, die wir seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 führen, ganz klar die Botschaft aus: Deutschland steht als zweitgrößter Unterstützer nach den USA weiter solidarisch an der Seite der unschuldigen Menschen in der Ukraine – wie jüngst mit der Lieferung von weiteren Leopard-1-Panzern, der Übergabe eines Feldlazaretts oder – endlich, endlich! – neu produzierter und dringend benötigter Munition für den Gepard.
Natürlich wägen wir die Risiken, die mit Waffenlieferungen und jedem Waffensystem verbunden sind, sorgfältig ab. Aber ich will einmal sehr klar sagen: Auch Verweigern und Verzögern kann einen hohen Preis haben
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
und am Ende, sicher nicht gewollt, zur Eskalation beitragen.
Angesichts der brutalen russischen Luftangriffe auf zivile Infrastruktur, auf Krankenhäuser, Schulen, Kultureinrichtungen und Energieversorgung, ist gerade der Schwerpunkt bei der Luftverteidigung so besonders wichtig. Die militärisch größten Schwächen der russischen Streitkräfte in ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind Logistik, Versorgung und Material. Alle Fähigkeiten, die der Ukraine hier eine größere Reichweite für gezielte Schläge gegen militärische Ziele ermöglicht haben, haben im letzten Jahr einen relevanten Unterschied gemacht. Die Ukraine hat gezeigt, dass sie beim Einsatz von gelieferten Waffen ein verlässlicher Partner ist. Deshalb befürworten wir auch die Lieferung von Taurus.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Mit welcher Konsequenz?)
Eines will ich aber auch Richtung Bundeswehr und Soldatinnen und Soldaten in aller Deutlichkeit sagen: Wir als Abgeordnete der demokratischen Fraktionen im Verteidigungsausschuss wissen, dass wir in die ohnehin unzureichende Ausstattung der Bundeswehr große Lücken reißen, die sie gerade bei Übung und Ausbildung beeinträchtigen.
(Gerold Otten [AfD]: Dazu haben Sie jahrelang beigetragen!)
Wir brauchen in diesen unsicheren Zeiten mehr denn je eine gut ausgestattete und einsatzbereite Bundeswehr. Das schließt die zügige Nachbeschaffung der an die Ukraine gelieferten Systeme ebenso mit ein wie Neubeschaffungen.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ja!)
Dafür haben wir in diesem Haushalt und mit dem Sondervermögen wichtige erste Grundlagen geschaffen. Diese Fragen haben für die Bundesregierung und für unsere Koalition eine hohe Priorität.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Erste Maßnahmen!)
Meine Damen und Herren, vielleicht haben Sie die eine oder andere Schlagzeile der letzten Jahre über unsere Bundeswehr in Erinnerung: „Trümmertruppe“, „Bedingt einsatzbereit“. Ich will an der Stelle einmal sagen, was ich und, ich glaube, viele im Verteidigungsausschuss in den letzten Jahren gesehen und erlebt haben. Was unsere Soldatinnen und Soldaten Tag für Tag geleistet haben, ob das die Bewältigung der Pandemie, die Versorgung von Geflüchteten, die Flutkatastrophe, die Ausbildung der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten, die Unterstützung unserer Verbündeten an der Ostflanke der NATO oder gefährliche Einsätze wie jüngst bei der Evakuierungsmission aus dem Sudan waren, all das zeigt eine Bundeswehr, der wir als Gesellschaft unsere größte Hochachtung für ihren wichtigen und schweren Dienst entgegenbringen sollten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Martin Hess [AfD]: Das sagen die Grünen! – Zuruf des Abg. Gerold Otten [AfD])
– Ja, das sagen die Grünen. Die Bundeswehr ist nämlich immer da und packt an, wo es brenzlig und schwierig wird und wo wir sie brauchen. Dafür ein großes Danke.
(Gerold Otten [AfD]: Widerlich! – Weitere Zurufe von der AfD)
Meine Damen und Herren, es gibt grundsätzliche Fragen – nach dem Ende des Krieges, nach der neuen Sicherheitsordnung in Europa,
(Gerold Otten [AfD]: Kriegstreiber!)
nach dem Wert von Sicherheit in unserer Gesellschaft –, auf die dieser Haushalt keine abschließende Antwort gibt und geben kann. Das sind wichtige Debatten, die wir miteinander in diesem Haus in den nächsten Jahren führen müssen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie jetzt erst einmal auch von dieser Stelle und gebe das Wort an Dr. Michael Espendiller für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)