Sascha Müller MdB
17.11.2023

Sascha Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! 246 Seiten schwer war das Wachstumschancengesetz schon im Entwurf. Mit unseren Änderungsanträgen im Ausschuss haben wir von der Ampel das Gesetz noch ein bisschen umfangreicher gemacht. Dabei haben wir aber der Versuchung widerstanden, die milliardenschweren Entlastungen für Menschen und Unternehmen noch etwas schwerer zu machen – gerade im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes am Mittwoch sicher eine weise Entscheidung. Wir haben stattdessen sehr darauf geachtet, dass Entlastungen zielgenauer werden und ein Mehr an einer Stelle eine Kompensation an anderer Stelle bewirkt hat. Nun liegt der Ball bei den Ländern.

Entlastungen sind natürlich nicht immer in Geld zu bewerten. Manches ist auch einfach Bürokratieentlastung. Da gibt es Dinge, die schon im Ursprungsentwurf gut waren, wie die Verdoppelung der Grenze zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen oder zur Anhebung der Grenzwerte für die originäre Buchführungspflicht von 600 000 Euro auf 800 000 Euro Umsatz oder von 60 000 Euro auf 80 000 Euro Gewinn. Die sind nun auch in der Version nach der parlamentarischen Beratung gut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was steht noch Gutes in diesem Gesetz?

Präsidentin Bärbel Bas:

Entschuldigung, Herr Müller. Es gibt schon eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Herrn Lenkert aus der Fraktion Die Linke. Möchten Sie die zulassen?

Sascha Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gerne.

Ralph Lenkert (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Kollege, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprachen eben von Bürokratieentlastung. Ist Ihnen bekannt – es sollte Ihnen bekannt sein –, dass Sie beschlossen haben, die Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme ab 1. März wieder auf 19 Prozent anzuheben, was übrigens im Winter eine sehr schlechte Entscheidung ist?

(Beifall bei der LINKEN)

Gleichzeitig haben Sie die Preisbremse bis zum letztmöglichen Datum, das die EU zugelassen hat, bis 31. März, verlängert.

Unternehmen, die zurzeit einen Fernwärme- oder Gaspreis kurz unterhalb der Preisbremse zahlen, müssen dann Ende Februar eine Preiserhöhung an ihre Kundinnen und Kunden weitergeben, die genau für vier Wochen gültig ist – weil die Mehrwertsteuererhöhung über die Preisbremse führt –, um dann vier Wochen später die nächste Erhöhung zu verkünden, weil dann die Preisbremse wegfällt und das komplett weitergegeben werden muss. Sie verursachen damit nicht nur höhere Kosten bei Verbraucherinnen und Verbrauchern. Vielmehr müssen die Energiebranche bzw. die Versorger einen zusätzlichen Aufwand in Höhe von mehreren Millionen Euro stemmen, nur weil Sie es nicht geschafft haben, die Mehrwertsteuersenkung wenigstens bis 31. März aufrechtzuerhalten. Sie sprechen hier von Bürokratieentlastung? Das ist Bürokratieaufbau.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Robert Farle [fraktionslos])

Sascha Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wie Sie wissen, haben wir die Preisbremsen verlängert, weil es immer noch Altverträge gibt, die unter die Preisbremsen fallen. Neuverträge liegen inzwischen längst unterhalb der Preisbremsen. Das heißt, die Preisbremsen können immer weiter entfallen. Das ist ein Erfolg unserer Energiepolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Weil die Preise immer weiter zum Niveau von vor zwei Jahren zurückgekehrt sind, stellt sich auch die Frage der Sinnhaftigkeit, ob wir die sowieso temporär befristete Umsatzsteuersenkung bis zum Schluss ausreizen wollen. Deswegen haben wir das einfach verkürzt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Christian Görke [DIE LINKE]: Das ist mehr Bürokratieaufbau! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das hat er aber nicht gefragt!)

Ich fahre in meiner Rede fort. Was steht weiterhin Gutes in dem Gesetz? Viel zu viel, als dass es in fünf Minuten Redezeit passen würde. Beispielhaft sei die Bauwirtschaft erwähnt, die in der Zinswende erhebliche Probleme hat. So mancher Bauträger – auch bei mir daheim in Nürnberg – hat Insolvenz anmelden müssen. Wir wissen alle, dass der dringend benötigte Wohnungsbau ins Stocken geraten ist. Deshalb ist es so wichtig, dass die Baubranche nun mit zusätzlichen Abschreibungsmöglichkeiten zusätzliche Liquidität erhält. Dennoch haben wir mit der Kombinierbarkeit verschiedener Instrumente einen Anreiz gegeben, besonders nachhaltig und klimaschonend zu bauen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir machen also beides: Wir unterstützen die Bauwirtschaft und geben positive Anreize in Richtung Klimaneutralität.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Markus Herbrand [FDP])

Aber wir denken nicht nur an die Bauträger, sondern auch an die Bauarbeiter. Im gleichen Gesetz haben wir den steuerlich geltend zu machenden Verpflegungsmehraufwand gegenüber dem Regierungsentwurf noch einmal erhöht. Durch geschicktes Umschichten innerhalb des Gesetzes kamen wir nicht auf 1 Euro, sondern auf 2 Euro zusätzlich, sodass wir nun bei 16 Euro landen. Bei mehrtätiger Abwesenheit sind es dann künftig 32 Euro, also 4 Euro mehr. Das klingt jetzt erst mal nicht viel, aber bei vielen Tagen auf der Baustelle kommt dann so einiges zusammen. Das entlastet beispielsweise diejenigen, die mit ihrer harten Arbeit die dringend benötigten neuen Wohnungen bauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Markus Herbrand [FDP])

Übrigens haben wir auch an die Berufskraftfahrer gedacht: mit einem erhöhten Pauschbetrag für das Übernachten im Fahrzeug.

Lassen Sie mich zu einem anderen Thema sprechen: der Dienstwagenbesteuerung. Wir sind hier einer Empfehlung des Bundesrates gefolgt. Ab dem Jahr 2025 angeschaffte Hybridfahrzeuge fallen für das Ansetzen des Privatanteils nur dann in die halbprozentige Besteuerung des Listenpreises, wenn das Fahrzeug einen Kohlendioxidausstoß von höchstens 50 Gramm je gefahrenen Kilometer hat. Die bisher vorgesehene Alternative einer elektrischen Mindestreichweite des Fahrzeuges von mindestens 80 Kilometer entfällt. Es kommt dann also nur noch auf die Klimawirkung an und nicht mehr auf die Reichweite. Zugleich haben wir die vorgesehene Erhöhung der Bruttolistenpreisgrenze für E-Autos auf 70 000 Euro pro Fahrzeug begrenzt statt auf 80 000 Euro, wie im Regierungsentwurf vorgesehen. Diese Grenze halten wir für die allermeisten elektrischen Fahrzeuge aus deutscher Produktion für absolut ausreichend.

Ich weiß, dass sich viele, denen der Klimaschutz und die Reduktion von umweltschädlichen Subventionen wichtig sind, noch mehr an Reformen haben vorstellen können. Aber natürlich sind Kompromisse nun mal notwendig, um so ein umfangreiches Gesetzespaket zu bekommen. Wir als Fraktion haben uns jedenfalls fest vorgenommen – auch im Sinne unseres Koalitionsvertrages –, an dem Thema des Abbaus umweltschädlicher Subventionen dranzubleiben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss noch ein Wort zu dem wichtigen Thema „Rentenbesteuerung bzw. Vermeidung einer Doppelbesteuerung“. Dieses Thema gehen wir als Koalition endlich an.

(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Wir beginnen mit der Lösung, die wir im Koalitionsvertrag gemeinsam vereinbart haben. Damit zeigen wir, dass es uns ernst ist, das Problem wirklich zu lösen. Wir haben miteinander vereinbart, dass wir uns schon im kommenden Jahr das Problem noch genauer ansehen werden. Wir werden prüfen, in welcher Form welche Daten bei welchem Rentenversicherungsträger vorhanden sind und ob wir nicht baldmöglichst eine zielgenauere, typisierte Form für einen Rentenfreibetrag umsetzen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD])

Es gilt also das, was ich schon in der ersten Lesung angekündigt habe: Wir werden nach der Verabschiedung dieses Gesetzes nicht zum letzten Mal über dieses Thema gesprochen haben.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Ein umfangreiches, gutes Gesetz mit Investitionsanreizen, Bürokratieabbau und vielen weiteren Maßnahmen, die unser Steuersystem fairer machen, haben wir in langen Beratungen noch besser gemacht. Wir als Bundestag haben unseren Teil damit fürs Erste erfüllt. Nun spielen wir den Ball zum Bundesrat und hoffen dort ebenfalls auf erfolgreiche Beratungen.

(Christian Görke [DIE LINKE]: Hoffentlich nicht!)

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächste hat das Wort für die SPD-Fraktion Frauke Heiligenstadt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)