Foto von Omid Nouripour MdB
22.09.2022

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ansage Putins, dass es jetzt eine Teilmobilmachung gibt, bringt einiges an Veränderungen mit sich: Erstens ist das eine schlechte Nachricht für Frieden in Europa. Zweitens – von all den falschen Dingen, die Sie gerade gesagt haben, Herr Gauland, hat mich das am meisten wahnsinnig gemacht – ist das eine Absage an Verhandlungen; denn was da passiert, ist eine Vorbereitung für den Frühling, eine Vorbereitung für einen langen Krieg. Das ist nicht die Vorbereitung von Verhandlungen. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Drittens zeigt das, wie groß der Druck auf Putin und den Kreml ist nach all den Verlusten, die sie jetzt erlitten haben. Der zentrale Grund für diese Verluste ist der Heldenmut der Ukrainerinnen und Ukrainer. Den darf man nicht unterschätzen, den muss man unterstützen. Deshalb ist es zynisch, dass seit acht Monaten Leute Briefe schreiben und Appelle formulieren, in denen die Ukraine aufgefordert wird, einfach die Waffen fallen zu lassen. Das ist der reinste Zynismus. Die Argumente dieser Leute werden jetzt, in diesem Augenblick, widerlegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Gerade weil wir sehen, was im Kreml passiert, ist es erst recht notwendig, dass wir einen langen Atem haben bei der Unterstützung der Ukraine – und den werden wir haben; das ist unsere Verpflichtung. Auch der Schutz des Völkerrechts ist unsere Verpflichtung. Das tun wir auch in der Ukraine. Man sieht: Die Waffensysteme helfen, die Waffensysteme helfen, Leben zu schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist deshalb richtig, das weiterhin zu machen.

Ich muss aber sagen: Es ist ein bisschen ermüdend, immer wieder über neue und einzelne Waffensysteme zu sprechen. Wir müssen über Fähigkeiten sprechen und über den Bedarf der Ukraine und dann innerhalb des Bündnisses miteinander entscheiden. Ganz ehrlich: Ob das Panzerhaubitzen sind, Schützenpanzer oder Kampfpanzer, am Ende muss die Balance stimmen zwischen einer Abwägung innerhalb des Bündnisses und dem Bedarf der Ukraine. Das ist eine Abwägung jeden einzelnen Tag. Das machen wir in der Bundesregierung, so wie es andere Partnerstaaten auch machen.

Herr Wadephul, ich war letzte Woche in den USA. Ich kann Ihnen sagen, da werden exakt dieselben Debatten geführt. Die Abwägungen dort sind genau dieselben, ebenso wie auch in Frankreich. Richtig ist: Wir müssen schneller werden, wir müssen substanzieller werden, alle miteinander. Aber das werden wir zusammen im Bündnis tun müssen; das ist überhaupt keine Frage. Anders geht das nicht.

Herr Wadephul, Sie haben vorhin einen Satz gesagt, der mich ein bisschen hat aufhorchen lassen. Sie haben gesagt: Es ist klar, dass wir vollständig auf der Seite der Ukraine stehen müssen. – Ja, das stimmt; wir teilen das. Aber es gibt ein paar Fragen, die sich daraus ergeben: Wann stellt sich jemand von Ihnen hierhin und sagt mal was zum „Correctiv“-Bericht über Mitglieder Ihrer Partei, die privatwirtschaftlich an Nord Stream verdient haben, was uns in diese Lage gebracht hat?

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Hä? – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ist die Lage so ernsthaft, dass Sie vom Thema abweichen müssen? Keine Argumente mehr zur Sache!)

– Okay, kommen wir zum Thema zurück. „Vollständig auf der Seite der Ukraine stehen“, das war doch Ihr Thema. Heute gab es im Haushaltsausschuss eine Abstimmung über einen Fonds. Bei diesem Fonds ging es um Kredite für Unternehmen auch im Westen der Ukraine. Es ging um 25 Millionen Euro. Es ging darum, dass Unternehmen Kredite bekommen zur Ernährungssicherheit, die so neuralgisch ist in diesen Tagen. Erklären Sie doch mal, wie Sie vollständig auf der Seite der Ukraine stehen wollen, wenn Ihre Leute mit dem Argument, das Geld werde in Deutschland gebraucht, diese Kredite heute im Haushaltsausschuss abgelehnt haben! Das ist doch einfach nicht redlich, was Sie gerade veranstalten. Das ist schlicht nicht redlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Bengt Bergt [SPD]: Da sollte man sich schämen!)

Das ist heute im Haushaltsausschuss des Hohen Hauses genau so passiert.

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist ein wirklich billiges Ablenkungsmanöver! Das ist ein Ablenkungsmanöver dafür, dass ihr euch heute hier drückt!)

– Nein, das ist keine Ablenkung. Das war das konkrete Abstimmungsverhalten der Union heute im Haushaltsausschuss.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Sag mal was zu schweren Waffen!)

Richtig ist, dass wir in der Koalition miteinander daran arbeiten, dass wir so viel wie möglich im Rahmen des Bündnisses helfen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Es ist aber mehr möglich!)

Richtig ist, dass wir das, wo es geht, mit den demokratischen Parteien zusammen machen und machen müssen. Richtig ist, dass wir präzise argumentieren müssen bei der Frage, was geht und was nicht geht. Das haben die Menschen in der Ukraine verdient.

Es gibt auch Argumente, denen ich nicht folgen kann. Das Argument, unsere Waffen führten zur Eskalation, setzt ja voraus, dass die russische Seite Ausreden braucht für die Eskalation. Das ist grotesk.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Richtig, also dem Antrag zustimmen! Dann sind wir uns doch einig!)

Natürlich braucht sie keine Ausreden. Die Aggression ist da. Und die Waffensysteme schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Richtig ist, dass man gerade da, wo der Ringtausch nicht funktioniert, schauen muss, welche Bestände der Bundeswehr und der Industrie helfen. Es ist ja offensichtlich, dass uns im NATO-Hauptquartier klar und deutlich gemacht wurde, dass es hilfreich wäre, dort zu helfen. Und richtig ist, dass das alles bekannt ist und dass die Bundesregierung in Gesprächen mit unseren Partnerstaaten alles tut, was notwendig ist, damit das auch geschieht.

Unsere Solidarität mit der Ukraine bleibt ungebrochen.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Eingeschränkt!)

– Herr Wadephul, jetzt mal ganz ehrlich: Wir hatten heute die Debatten zur Energiesicherheit.

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Nämlich ganze zwei! Billig!)

Nach all dem, was die Union dazu beigetragen hat, dass wir im Bereich Energiesicherheit da sind, wo wir sind, gerade von Ihnen Belehrungen zu bekommen im Hinblick auf die Solidarität mit der Ukraine, die wir ja brauchen, macht uns, ehrlich gesagt, sprachlos.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Seid ihr für die Lieferung schwerer Waffen oder nicht? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir brauchen Ihre Anträge nicht. Wir Grüne standen von der ersten Sekunde an, nicht nur bei Nord Stream 2, sondern auch auf dem Maidan, an der Seite der Menschen in der Ukraine.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Die SPD auch?)

Das werden wir auch weiterhin tun, unabhängig davon, was Sie hier beantragen oder nicht beantragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Peter Beyer [CDU/CSU]: Kein Wort zum Antrag, kein einziges Wort! – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Thema weitgehend verfehlt!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Ali Al-Dailami, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: So, jetzt kommt der Kollege von Frau Wagenknecht!)