Foto von Agnieszka Brugger MdB
19.01.2023

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kreml hält sich schon lange an keine Regeln und kein Völkerrecht mehr und geht mit roher Gewalt und größtmöglicher Brutalität gegen die Menschen in der Ukraine vor. Das zeigen nicht nur die heftigen Drohnen- und Raketenangriffe gegen zivile Ziele und die Energieinfrastruktur vom letzten Wochenende mit dem Ziel, durch Gewalt, durch Angst, durch Kälte die Ukraine immer weiter zu terrorisieren. Angesichts dieser Verbrechen gibt es keine Gewöhnung und auch kein Vergessen. Wir sind Außenministerin Baerbock für ihre wichtige Reise nach Charkiw dankbar, wo sie gezeigt hat, was für uns alle gelten sollte: dass wir weiter fest, solidarisch und klar an der Seite der unschuldigen Menschen in der Ukraine stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dass viele Raketen wirksam abgefangen werden, zeigt, wie groß die Wirkung der auch von Deutschland in den letzten Monaten gelieferten Luftverteidigungssysteme ist und dass sie auch konkret Menschenleben schützen. So wichtig diese auch sind, sie können im besten Fall nur den schlimmsten Schaden abwenden. Zugleich ist unübersehbar, wie viel Waffen, Munition, Panzer und neue Soldaten gerade in Russland für eine erbitterte Gegenoffensive zusammengezogen werden. Deshalb braucht die Ukraine schnellstmöglich moderne Panzersysteme zur Abschreckung, zum Schutz, zum sicheren Transport der eigenen Truppen und zur Befreiung der besetzten Gebiete, in denen die Menschen Tag für Tag unter Folter, unter Morden, unter Kindesentführungen durch die russischen Besatzer leiden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Dass sich die Bundesregierung endlich zur Lieferung des Schützenpanzers Marder entschieden hat, ist deshalb richtig und geboten. Aber wir sollten, nein, wir müssen auch den nächsten Schritt gehen. Schützenpanzer sind für den gemeinsamen Einsatz mit Kampfpanzern vorgesehen. Die alten Panzer aus der Sowjetzeit, mit denen die Ukraine gerade kämpft, haben nicht nur ein deutlich geringeres Schutzniveau, sondern von Woche zu Woche verschärfen sich auch die Probleme bei der Instandsetzung und der Munition. Auch deshalb schauen wir mit großer Erwartung auf die Ramstein-Konferenz am Wochenende und können nur wiederholen: Es gibt keine überzeugenden Gründe, die Leopard-Panzer im europäischen Verbund nicht zu liefern. Die Bundesregierung hat bei weiteren Beiträgen unsere vollste Unterstützung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Florian Hahn [CDU/CSU]: Herr Nietan, hören Sie mal zu!)

Meine Damen und Herren, es sind keine einfachen Debatten, die den neuen Verteidigungsminister national wie international gleich am ersten Tag nach Amtsantritt erwarten. Das Verteidigungsministerium ist das schwierigste Ressort und in diesen Krisenzeiten eines der wichtigsten. Ich möchte Christine Lambrecht auch hier für ihren Einsatz für unsere Soldatinnen und Soldaten im vergangenen Jahr und ihren Dienst in unserem Land und an der Demokratie danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Natürlich wünschen wir auch dem neuen Verteidigungsminister viel Kraft, Entschlossenheit und Erfolg bei dieser nicht einfachen Aufgabe, bei der ihm kaum Einarbeitungszeit geschenkt wird. Ich möchte im Namen meiner Fraktion größte Unterstützung und gute Zusammenarbeit anbieten und versprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Bärbel Bas:

Frau Brugger, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung aus der AfD-Fraktion?

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein. – Dabei werden wir, wie das in der Ampelkoalition bei vielen Fragen so ist, vielleicht nicht bei jeder Frage von Anfang an einer Meinung sein. Aber wir wollen und werden im ehrlichen Austausch den besten Weg für eine kluge Sicherheitspolitik im Sinne der beeindruckenden Menschen in der Bundeswehr gemeinsam gestalten. Die Liste der Herausforderungen ist lang: bei Material, bei Beschaffung, bei Personal, angesichts unserer Rolle und Verpflichtung im Bündnis und eben auch bei der Unterstützung der Ukraine.

Meine Damen und Herren, ich bedaure es in diesen schwierigen Zeiten wirklich sehr, dass ein solch ehrlicher Austausch, ein verantwortungsvolles Ringen um die richtigen Antworten mit der Opposition nicht möglich ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])

Nun mag man von der AfD – wir haben es gerade wieder gesehen – und leider auch von der Linkspartei an dieser Stelle nicht viel erwarten.

(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Das entscheidet nicht ihr!)

Aber auch an der Spitze der Union mangelt es in dieser Frage an Konsequenz, an Klarheit und an Konsistenz; das wird nicht nur in Ihrem Antrag deutlich. Die Unterstützung gerade Ihres Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz ist nicht ehrlich und folgt vor allem einer Logik, nämlich um jeden Preis die Bundesregierung zu kritisieren, statt in gemeinsamer Verantwortung um die Beantwortung der schwierigen Fragen zu ringen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das machen wir doch nicht stärker als Sie!)

Ich kann ja nachvollziehen, dass Sie sich jetzt angegriffen fühlen,

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Nein!)

aber ich sage das nicht ohne Grund. Ihr Fraktionsvorsitzender hat im März letzten Jahres einen sofortigen Stopp der russischen Energieimporte gefordert.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ach, Frau Brugger! – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Olle Kamellen!)

Ja, damals war es schmerzhaft, dass wir diesen Schritt nicht sofort gehen konnten. Aber statt daran mitzuwirken, von den Lieferungen des Kriegsverbrechers Putin so schnell wie möglich unabhängig zu werden, Versorgungssicherheit zu wahren und die harten Folgen für die Menschen hierzulande abzufedern, hat die Union in dieser ernsten Lage Zwietracht gesät und mit ihren Aussagen über Blackouts und Gasmangellage ständig Panik verbreitet. Ihre Prognosen waren falsch; die Bundesregierung – da schaue ich den Vizekanzler Habeck an – hat entschieden die richtigen Maßnahmen ergriffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, Saudi-Arabien zum Beispiel! Das ist ja nicht zu fassen! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: War das jetzt der Entlastungsangriff, oder was war das?)

Ich will mir gar nicht ausmalen, wie das letzte Jahr ausgesehen hätte, wenn wir Ihren falschen Analysen und hysterischen Statements gefolgt wären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dietmar Nietan [SPD] – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Wenn die Grünen unserem Vorschlag für Flüssiggasterminals vor zwei Jahren gefolgt wären!)

Aber vor allem will ich nicht wissen, was ein Herr Merz in Regierungsverantwortung eigentlich praktisch unternommen hätte, als er den ebenso unsäglichen wie unwahren Vorwurf des Sozialtourismus gegenüber den Menschen geäußert hat, die ihre Heimat angesichts des Kriegsterrors verlassen mussten,

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Können wir mal zu den Kampfpanzern zurückkommen? – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Steht davon was im Antrag?)

die um ihre Liebsten bangen und Angehörige verloren haben. Meine Damen und Herren, gut, dass Sie nicht regieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dietmar Nietan [SPD])

Echte Solidarität mit der Ukraine beginnt nicht, wie bei Ihrem Antrag, in erster Linie mit Panzerlieferungen, so richtig diese auch sind.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Schön, dass wir uns in der Sache einig sind!)

Echte Solidarität beginnt in der Haltung und der Unterstützung gegenüber denjenigen, die hier bei uns Zuflucht und Schutz suchen, und das fehlt einmal mehr in Ihrem Antrag.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nein! Das ist ein anderer Antrag!)

Bald jährt sich der brutale Angriffskrieg zum ersten Mal. Seitdem unterstützen wir die Ukrainerinnen und Ukrainer auf verschiedensten Wegen: politisch, finanziell, wirtschaftlich, humanitär und militärisch. Diesen Weg wollen wir weiter beschreiten. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das gemeinsam und in Verantwortung als demokratische Fraktionen hier im Hohen Hause tun können.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Sie wollen wohl nicht mitmachen? Warum grenzen Sie sich aus?)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Dietmar Bartsch.

(Beifall bei der LINKEN)