Rede von Claudia Müller Wirtschaftshilfen für Unternehmen

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26.02.2021

Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Es fühlt sich langsam an wie ein wöchentliches Ritual. Aufgrund einer Initiative der drei demokratischen Oppositionsfraktionen sprechen wir hier über das Coronahilfenchaos, und das zu Recht; denn leider versteht die Bundesregierung weiterhin nicht, in welcher Lage sich vor allem kleine Unternehmen und insbesondere ihre Inhaberinnen befinden, in welch prekärer, für einige scheinbar hoffnungsloser Situation viele Soloselbstständige sind. Jede Ankündigung auf schnelle, unbürokratische Hilfe weckte bisher neue Hoffnungen, um dann bitterlich enttäuscht zu werden. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir hier darüber reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Noch wichtiger wäre aber, dass die zuständigen Minister Scholz und Altmaier, der ja immerhin anwesend ist, auch ernsthaft zuhören und dann entsprechend handeln. Aber an diesem Punkt scheinen wir ein Jahr nach Beginn der Pandemie leider immer noch nicht zu sein; denn weiterhin hat die Bundesregierung vor allen Dingen die großen Konzerne im Blick. Verstehen Sie mich nicht falsch! Natürlich sollen alle Hilfe erhalten, die sie durch Corona nötig haben, aber eben alle und nicht nur die Großen und die besonders Lauten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Werfen wir einen Blick auf die derzeitigen Programme. Auch bei der Hilfe für vollständig geschlossene Unternehmen bestehen Sie darauf, dass 10 Prozent der Fixkosten von den Unternehmen selbst getragen werden, und verstecken sich hinter dem EU-Beihilferecht. Doch das ist tatsächlich nicht richtig; denn für Beträge bis zu 2 Millionen Euro wäre auch eine 100-prozentige Hilfe möglich. Sie ist auch dringend notwendig; denn vollständig geschlossene Unternehmen, die seit Monaten keine Einkünfte und auch keine Reserven mehr haben, können selbst diese 10 Prozent nicht aufbringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wovon soll denn die selbstständige Veranstaltungstechnikerin, die nun schon seit fast zwölf Monaten keine Einnahmen mehr hat, diese 10 Prozent aufbringen? 90 Prozent ist in diesem Fall zum Leben zu wenig.

Gucken wir uns die Neustarthilfe für Selbstständige an. Kollege Vogel hat sie bereits angesprochen. Es ist gut, dass der maximale Auszahlungsbetrag angehoben wurde, und es ist auch gut, dass es sich um eine Pauschale handelt. Aber es ist eben eine Fixkostenpauschale. Deswegen haben Sie gesagt, dass die Mittel der Grundsicherung nicht darauf angerechnet werden. Das begrüßen wir; das ist gut. Aber leider gilt das nur für die Grundsicherung. Andere Formen der Mittel für den Lebensunterhalt werden angerechnet, zum Beispiel auch das ALG I, Elterngeld oder wenn ich über andere Möglichkeiten für meinen Lebensunterhalt gesorgt habe. Diese Mittel werden in der Endabrechnung angerechnet und sorgen somit für eine Benachteiligung all derjenigen, die nicht in der Grundsicherung sind.

Wenn zum Beispiel eine Soloselbstständige ALG I bezieht, weil sie freiwillig eingezahlt hat – sie bekommt übrigens nur ALG I, wenn sie sich komplett arbeitslos meldet, was ein Hemmnis ist, wenn sie später wieder eine Tätigkeit aufnehmen will –, bekommt sie eben keine vergleichbare Leistung wie das Kurzarbeitergeld. Wenn sie jetzt die Neustarthilfe beantragt, wird das in der Endabrechnung mitberücksichtigt, ob sie antragsberechtigt war oder nicht. Das ist doch eine absolute Ungerechtigkeit im Vergleich zu den unterschiedlichen Sozialleistungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder nehmen wir die junge Unternehmerin im Lebensmittelbereich, die momentan ihre Produkte nicht vertreiben kann, weil ihre Hauptabnehmer Restaurants sind. Sie ist nicht antragsberechtigt, weil sie einen ganz kleinen Nebenjob als Dozentin an der lokalen Hochschule hat. Deswegen kann sie keine Neustarthilfe bekommen. Das ist nicht gerecht. Ich fordere Sie auf, an dieser Stelle nachzubessern. Das ist doch das Gegenteil dessen, was wir wollen. Das gibt keinen Anreiz zur Selbstständigkeit und dazu, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, sondern Sie setzen damit leider genau den gegenteiligen Anreiz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Todtenhausen [FDP])

Das zeigt wieder einmal, wie wenig Sie die Realität der modernen Arbeitswelt verstanden haben.

Meine Fraktion fordert seit Monaten – ich glaube, demnächst können wir sagen: seit Jahren – endlich Unterstützung für diese besonders betroffenen Gruppen. Die wichtigste Unterstützung wäre – und das auch rückwirkend – ein Unternehmerinnenlohn, wie es einige Bundesländer, und zwar unabhängig von der Farbe, schon machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ebenfalls hilfreich wäre die Anerkennung der Krankenkassenbeiträge für den Betreffenden selbst als Betriebsausgabe. Auch das ist ja momentan an dieser Stelle nicht gedeckt, auch das sorgt bei vielen Betroffenen für eine große Verunsicherung.

Wir haben während der Pandemie an diesen Stellen immer wieder Vorschläge unterbreitet. Ich weigere mich, hier aufzugeben, weil viele Betroffene inzwischen an dem Punkt sind – ich erlebe wirklich sehr viele demoralisierte Menschen –, nicht mehr zu glauben, dass Politik ihnen helfen will, nicht mehr zu glauben, dass wir ihnen zuhören und ihre Nöte und Ängste sehen.

Kommen wir zum Schluss zu dem neuesten Hilfsprogramm, dem Härtefallfonds: Ausgestaltung unklar, möglicherweise auch zwischen den Bundesländern uneinheitlich. Und ganz ehrlich: Dieser Fonds ist doch ein Eingeständnis, dass Sie bei Ihren Hilfen zu viele Leerstellen gelassen haben, dass diese bei den Betroffenen nicht ankommen.

(Timon Gremmels [SPD]: Nein! Quatsch!)

Daran, ob dieser jetzige Fonds dies dann ausgleichen wird, habe ich nach den Erfahrungen, die wir mit den Hilfen bis jetzt haben, erhebliche Zweifel.

Wir stehen Ihnen gerne für sachdienliche Hinweise zur Verfügung, was man machen kann. Aber die großen Lücken, wie sie zum Beispiel – wie im Ausschuss gesagt wurde – für Mischbetriebe bestehen, sind doch kein Fall für eine Härtefallregelung. Sie haben hier große Lücken, die Sie eigentlich über die regulären Programme abdecken müssen und nicht über einen Härtefallfonds.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz kurz zu den beiden Anträgen von Linken und FDP. Wir werden uns bei beiden enthalten. Wir haben viel Sympathie dafür; sie enthalten aber zum Teil Ausgestaltungen, denen wir nicht komplett folgen können. Aber ich will eines deutlich machen: Uns drei eint doch, dass wir in der Vergangenheit, im letzten Jahr, immer wieder konstruktive Vorschläge gemacht haben, wie man diese Hilfen besser ausgestalten kann. Wir haben das Thema immer wieder in den Bundestag geholt.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Und da gehört es auch hin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Axel Knoerig, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)