Rede von Kai Gehring Wissenschaft, Forschung und Innovation

14.12.2018

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltoffenheit gehört seit eh und je zum Wesenskern der Wissenschaft. Neue Ideen überwinden die Grenzen in den Köpfen, genauso wie Forscherinnen und Forscher die Grenzen zwischen Staaten. Bald feiern wir den 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt. Er verkörpert den Forscher als Weltbürger wie kein anderer. Ob Berlin, Paris, Mexiko oder Sankt Petersburg, überall war er zu Hause. Unzählige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind inzwischen in seine Fußstapfen getreten, und das ist super so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Auslandsmobilität an unseren Hochschulen ist hoch. Unser Wissenschaftsstandort ist hochattraktiv. Deutschland ist das drittbeliebteste Gastland für internationale Studis aus allen Himmelsrichtungen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen zu uns kommen. Ich finde, darauf können wir echt stolz sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Dietlind Tiemann [CDU/CSU] und Dr. Wiebke Esdar [SPD] – Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Ja, aber Spitze muss auch her!)

Wir müssen jedoch selbstkritisch bleiben und noch besser werden. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist nicht der Weisheit letzter Schluss, und für viele Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher ist Deutschland nicht die erste Adresse. An der Stelle hat Herr Sattelberger in seinem Antrag recht. Die Lösung aber, die Sie, Herr Sattelberger, präsentieren, geht am Problem völlig vorbei.

(Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Das wollen wir mal sehen!)

Wir brauchen keine nationale Headhunting-Agentur, die weltweit die klügsten Köpfe identifiziert und akquiriert.

(Beifall der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD] und Nicole Gohlke [DIE LINKE])

Wissenschaft ist doch keine Castingshow und auch kein Konzern. Wissenschaft kann das sehr gut selbst. Wissenschaft braucht Kooperation statt Ellbogen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD] und Nicole Gohlke [DIE LINKE] – Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Häufig in Seilschaften!)

Das Problem liegt woanders: Der Rahmen muss stimmen. Meist sind es die Einreise- und Arbeitsbedingungen, die Topforscher von einem Wechsel nach Deutschland abschrecken. Da müssen wir ran, um beste Bedingungen für Spitzenforschung zu schaffen.

(Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Welch banale Lösung!)

Wir fordern in unserem Antrag daher unter anderem – das können Sie sich, Herr Sattelberger, noch einmal anschauen – mehr Flexibilität bei Berufungen, verlässliche Karrierewege für den wissenschaftlichen Nachwuchs, Chancengerechtigkeit für Frauen und Diversity-Leitbilder, Perspektiven für Wissenschaftspaare und ein kluges Einwanderungsgesetz sowie eine schnellere Visavergabe für Studis und Forscher. Talente brauchen offene Arme statt Grenzzäune.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Internationalisierung muss vor Ort gelebt werden, auf dem Campus und in jeder Hochschulstadt. Wer neu ist, muss sich willkommen fühlen. Dazu ist es heute leider auch notwendig, Forscherinnen und Forscher aus dem Ausland vor Anfeindungen zu schützen;

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

denn wo der rechte Mob in den Straßen tobt, fürchtet sich die pakistanische Gastwissenschaftlerin genauso wie der syrische Geflüchtete.

(Beatrix von Storch [AfD]: Wie in Hamburg! Bei G 20!)

Aber jede und jeder muss sich hier sicher fühlen. Nur mit Technik, Toleranz und Talenten boomt unsere Volkswirtschaft und gedeiht Kreativität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Darum lassen wir eine solche Verrohung weder auf der Straße noch hier im Parlament zu.

(Albrecht Glaser [AfD]: G 20! – Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Antrag nicht verstanden!)

Es ist gut, dass mit uns auch FDP und Linke konstruktive Anträge eingebracht haben. Die demokratische Opposition steht damit für weltoffene und vielfältige Wissenschaft.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Rechts außen muss da gar nicht protestieren. Es sind doch Ihre rechten Gesinnungsgenossen, die in Ungarn Gender-Studies verbieten,

(Beatrix von Storch [AfD]: Sehr gut!)

in den USA die Sozialwissenschaften zusammenkürzen und in Brasilien Klimaforscher verleugnen und verfolgen. In den Haushaltsberatungen hat die AfD gezeigt, dass sie die gleichen Pläne hat, Forschung für sozial-ökologische Innovation zu zertrümmern. Vor solchen Übergriffen werden wir die Wissenschaftsfreiheit in unserem Land verteidigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir rufen die Bundesregierung auf, das international ebenso zu tun. In der Türkei, in Indien, in Ungarn und an vielen anderen Orten wollen Nationalisten den freien Geist in Ketten legen. Bei solchen Grundrechtsverletzungen muss die Regierung endlich klare Kante zeigen. Gleichzeitig müssen wir mithilfe unserer Mittlerorganisationen die Brücken zu Wissenschaftlern in diesen Ländern aufrechterhalten und verfolgten, an Leib und Leben bedrohten Wissenschaftlern hier Exil geben. Daher gehören die Mittel der Philipp-Schwartz-Initiative verdoppelt; denn wer im Labor oder im Hörsaal für ein besseres Morgen arbeitet, verdient unsere Unterstützung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir Grünen wollen eine internationale Wissenschaftspolitik, von der alle beteiligten Gesellschaften profitieren. Es geht eben nicht darum, liebe FDP, sich per Headhunting im internationalen Wettbewerb egoistisch nach vorne zu bringen.

(Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Wer nicht rechnen will!)

Gerade Länder des globalen Südens brauchen Braincirculation statt Braindrain. In Europa haben wir es geschafft, aus 27 Systemen einen gemeinsamen Forschungsraum zu schaffen, ein gutes, ein kooperatives globales Beispiel. Davon profitieren alle. Davon hätte der alte Humboldt nur träumen können, und das lassen wir uns von Neonationalisten auch nicht wieder kaputtmachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir wollen mehr. Eine Karriere in der Spitzenwissenschaft kann heute viele Stationen haben: Nairobi, Oxford, Köln oder Eberswalde, Paris, Peking. Auch hier hat sich seit Humboldt einiges getan. Die Wissenschaft ist zum Glück vielfältiger geworden. Es bleibt aber unsere Aufgabe, die Wege des internationalen Austauschs für möglichst viele Talente zu öffnen. Damit sind wir das absolute Gegenteil dieser AfD, die die Grenzzäune schließen will und deshalb von Wissenschaftsdiplomatie rein gar nichts versteht.

(Christian Dürr [FDP]: Die AfD will die nicht reinlassen! Und Sie sagen: Die dürfen woanders nicht weggehen! Wo ist der Unterschied?)

– Diese Beleidigung können wir dann im Protokoll ja noch mal nachlesen, vielen Dank. Aber Wissenschaft braucht freien Geist, und da sind Sie das glatte Gegenteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Herr Gehring, mit Wissenschaft haben Sie doch gar nichts zu tun! Herr Gehring, was haben Sie denn mit Wissenschaft zu tun? Sie sind doch der blanke Ideologe! Sie sind doch überall einfach nur ideologisch! Wissenschaft ist Ihnen doch fremd, Herr Gehring! Hören Sie auf!)

Wenn es um internationalen Austausch geht, dann gilt das für die ägyptische Ingenieurin ebenso wie für das Arbeiterkind aus dem Ruhrpott; denn nur wenn weltweit die klügsten Köpfe zusammenkommen, werden wir gemeinsam Lösungen für die großen globalen Herausforderungen finden, und das brauchen wir mehr denn je.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)